Verhörpraxis in Guantanamo CIA-Anwalt erklärte Folter zur Ansichtssache
Berlin - Es war der 2. Oktober 2002, als die illustre Runde sich auf dem US-Militärstützpunkt Guantanamo auf Kuba zusammenfand: Ein CIA-Anwalt war dabei, eine Pentagon-Anwältin sowie einige Militärs, die in dem hastig errichteten Internierungslager als Verhörer eingesetzt waren. Der 11. September 2001 war da knapp 13 Monate her, der Krieg in Afghanistan fast genau ein Jahr alt. Es war die erste Phase des "Krieges gegen den Terror" - und jede US-Institution, die daran beteiligt war, suchte nach schnellen Lösungen für komplexe Probleme, die das Unternehmen aufgeworfen hatte. Eines dieser Probleme: Was dürfen die Verhörer mit den gefangenen mutmaßlichen Qaida- und Taliban-Kämpfern anstellen?
Die Aufgabe des CIA-Anwalts Jonathan Fredman war es, in genau dieser Frage Ratschläge zu erteilen, denn der US-Auslandsgeheimdienst hatte zu diesem Zeitpunkt bereits erste Erfahrungen mit "harschen" Verhörmethoden gesammelt. Fredman nahm bei der Sitzung kein Blatt vor den Mund: Ob eine bestimmte Verhörmethode Folter sei oder nicht , erklärte er mit Blick auf die Folter-Konvention, sei "im Wesentlichen Ansichtssache", da das Abkommen so vage formuliert sei. "Wenn der Gefangene stirbt, macht Ihr es falsch", leitete er daraus ab.
Ratschläge zum "Waterboarding"
Wenn die CIA "aggressivere Techniken" anwenden wollte, so Fredman weiter, dann hätten die Beamten des FBI jeweils den Ort des Geschehens verlassen. In den "seltenen Fällen", in denen man auf solche Techniken zurückgegriffen habe, sei das allerdings "sehr hilfreich" gewesen. Fredman erwähnte auch, dass das US-Verteidigungsministerium unterstützend agiert habe: Wenn zum Beispiel das "Internationale Komitee vom Roten Kreuz" (IKRK) aus den Anliegen bestimmter Gefangener "eine große Sache" machte, dann habe das Pentagon diese Inhaftierten "fortgeschafft". Auf Nachfrage des IKRK habe das Pentagon dann erklärt, die Inhaftierten hätten keinen Status nach der Genfer Konvention.
"Wir brauchen Dokumentation, um uns abzusichern", sagte die Pentagon-Anwältin nach diesen Ausführungen. "Ja", erwiderte Fredman, "falls jemand stirbt, während man aggressive Techniken anwendet, egal, was der Todesgrund ist, dann wäre die entstehende Aufmerksamkeit kontraproduktiv."
Auch über das sogenannte "Waterboarding" gab Fredman Auskunft: "Wenn ein gut ausgebildetes Individuum diese Technik ausführt, dann kann es sich anfühlen, als ob man ertrinkt... Es ist sehr effektiv, um herauszubekommen, was für Phobien jemand hat, um sie auszunutzen, zum Beispiel Insekten, Schlangen, Klaustrophobie."
Die CIA, erklärte Fredman, habe rechtliche Rückendeckung durch das Justizministerium erhalten.
Und noch einen Rat gab der CIA-Anwalt: Besser keine Aufnahmen machen, denn "Videoaufnahmen selbst von völlig legalen Praktiken sehen hässlich aus".
Die Verhörleitlinien gelangen nach Afghanistan und Irak
Das Dokument, in dem dieses Gespräch rekonstruiert wird, ist eine Art Protokoll des Treffens auf Guantanamo - es ist nicht das eigentliche Memo, das nach wie vor als geheim eingestuft ist, weshalb die Zitate nicht zwangsläufig wörtlich so gefallen sein müssen. Das Protokoll ist eines von ungefähr zwei Dutzend Dokumenten, die am gestrigen Dienstag im Rahmen einer Anhörung im US-Kongress öffentlich gemacht wurden. Sie erlauben es, einen Blick auf jene Zeit zu werfen, in der die von Menschenrechtlern als Folter kritisierten "harschen" Verhörmethoden in Guantanamo Einzug hielten, die später auch in Afghanistan und im Irak Anwendung fanden.
Abgeordnete aus den Reihen der Demokraten wie der Republikaner reagierten am Dienstag empört auf die Dokumente: "Wie um Himmels Willen sind wir an einen Punkt gelangt, an dem ein hochrangiger Anwalt im Staatsdienst sagt, dass es Ansichtssache sei, ob eine Verhörmethode Folter darstellt oder nicht?", fragte Senator Carl Levin, Demokrat aus Michigan.
Senator Lindsey O. Graham, Republikaner aus South Carolina, erklärte laut "Washington Post": "Die Ratschläge, die zu jener Zeit gegeben wurden, werden in die Geschichte eingehen als einige der verantwortungslosesten und kurzsichtigsten rechtlichen Analysen, die dem Militär und den Nachrichtendiensten unserer Nation jemals zugänglich gemacht wurden."
Bisher war nicht bekannt, dass die CIA derart eng an der Entwicklung einer Position in Sachen Verhörmethoden in Guantanamo beteiligt war.
Aus Soldatentraining wurde ein Verhörprogramm
Auch in anderen Details helfen die freigegebenen Dokumente, eine differenzierte Sicht auf jene entscheidende Phase im "Krieg gegen den Terror" zu entwickeln. So geht aus ihnen etwa hervor, dass Anwälte der Teilstreitkräfte teils heftig gegen die vom Pentagon erarbeitete Vorschlagsliste für Verhörmethoden waren. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld autorisierte dennoch die meisten von ihnen.
Schon länger ist hingegen bekannt, dass die Verhörer in Guantanamo die Inspiration für einige ihrer Methoden ausgerechnet aus Kursen der US-Armee bezogen, in denen Soldaten solchen Praktiken ausgesetzt wurden, von denen man annahm, Feinde der USA würden sie anwenden. So detailliert, wie es aus den Dokumenten hervorgeht, konnte man bisher aber noch nicht nachvollziehen, wie aus Abhärtungsmaßnahmen für eigene Soldaten Verhörmethoden für "Enemy Combatants" wurden.
In einem ersten Schritt wurde in Guantanamo festgelegt, dass diese an fünf Militärschulen demonstrierten Praktiken "für Verhöre in der echten Welt geeignet sind". Im zweiten Schritt wurden die Offiziere, die dort an ihren eigenen Soldaten demonstriert hatten, was Feinde eventuell mit ihnen anstellen würden, nach Kuba gebracht, um die Verhörer dort im Verhören zu schulen - obwohl sie das nie gelernt hatten. Auch hier gab es internen Widerspruch, auch hier wurde er übergangen, wie die Dokumente zeigen.
Aus den Unterlagen geht ebenfalls hervor, wie die nach und nach in Guantanamo entwickelten Verhörleitlinien zunächst nach Afghanistan und später auch in den Irak gelangten.
Die Anhörungen im Militärausschuss des Kongresses sind Teil des Versuchs herauszufinden, wie Beamte des Verteidigungsministeriums das umstrittene Verhörprogramm in Guantanamo entwickelten. Senator Levin kündigte bereits an, sich um die Freigabe weiterer Dokumente zu bemühen. Laut "Washington Post" weigerte sich CIA-Sprecher George Little, zu den neuen Erkenntnissen über die Mitwirkung seiner Behörde Stellung zu nehmen. Er erklärte lediglich, der wichtigere Punkt sei, dass die CIA-Verhöre stets genau überprüft worden seien - und Menschenleben gerettet hätten.