Justizwillkür Schäuble vergleicht Türkei mit der DDR

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
Foto: Kay Nietfeld/ dpaZahllose Appelle und Warnungen hatten nicht die gewünschte Wirkung erzielt - deshalb will die Bundesregierung ihre Türkei-Politik nun neu ausrichten. Dazu gehört offenbar auch eine verschärfte Rhetorik gegenüber Ankara: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat angesichts der Inhaftierungen von Menschenrechtlern und Journalisten in der Türkei einen Vergleich mit der DDR gezogen.
"Die Türkei verhaftet inzwischen willkürlich und hält konsularische Mindeststandards nicht ein. Das erinnert mich daran, wie es früher in der DDR war", sagte Schäuble der "Bild"-Zeitung. "Wer dort gereist ist, dem war klar: Wenn dir jetzt etwas passiert, kann dir keiner helfen."
Inzwischen sei die Türkei auch für deutsche Touristen zum Risikoland geworden. "Wenn die Türkei diese Spielchen - wie auch um Abgeordnetenbesuche auf dem Nato-Stützpunkt Konya - nicht weglässt, müssen wir den Leuten sagen: 'Ihr reist auf eigenes Risiko in die Türkei, wir können euch nichts mehr garantieren.'"
"Absolut notwendig"
Als Reaktion auf die Verhaftung des Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer Deutscher hatte das Auswärtige Amt die Reisehinweise für das beliebte Urlaubsland am Donnerstag verschärft. Das Außenamt rät Türkei-Reisenden nun offiziell zu "erhöhter Vorsicht". Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte der "Bild"-Zeitung: "Klar ist: Wer in die Türkei reist, verbringt seinen Urlaub leider nicht in einem Rechtsstaat."
Die von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) verkündeten Maßnahmen seien "absolut notwendig", sagte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU). Das Verhalten der Türkei sei inakzeptabel. "Wir haben eine Schutzpflicht für unsere Bürger und Unternehmen", sagte Altmaier. Ankara müsse erkennen, dass die Bundesregierung "einig und geschlossen" sei.
Außenminister Gabriel hatte zudem angekündigt, die staatliche Absicherung von Türkei-Geschäften der deutschen Wirtschaft durch sogenannte Hermes-Bürgschaften auf den Prüfstand zu stellen. Der "Bild"-Zeitung zufolge soll auch ein geplante und bereits bestehende Rüstungsprojekte mit der Türkei vorläufig auf Eis gelegt werden.
Videoanalyse zum Streit mit der Türkei:
Die türkische Regierung reagierte empört auf die Ankündigungen und warf der Bundesregierung "Erpressung" vor. Als Hauptgrund für die "ernsthafte Vertrauenskrise" nannte das Außenministerium in Ankara die "Doppelmoral" der Bundesregierung im Umgang mit der Türkei. Während die Bundesregierung Terroristen der Gülen-Bewegung und der kurdischen Untergrundorganisation PKK gewähren lasse, fordere sie die Freilassung von Terrorverdächtigen in der Türkei.
Erdogan macht den im US-Exil lebenden Prediger Fethullah Gülen für den Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs vor einem Jahr verantwortlich. Unter dem von Erdogan ausgerufenen Ausnahmezustand wurden seither Zehntausende angebliche Gülen-Anhänger in Untersuchungshaft gesperrt, zahlreiche Medien geschlossen und mehr als 100.000 Staatsbedienstete entlassen oder suspendiert.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz warf der türkischen Regierung vor, "rote Linien" überschritten zu haben. Er glaube, "dass wir dieser Willkür, die in der Türkei herrscht, nicht mehr tatenlos zusehen können", sagte er.
Wie soll man mit Erdogan umgehen?
Der türkische Journalist und Regierungskritiker Can Dündar erwartet dennoch nicht, dass sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nachhaltig von den Maßnahmen beeindrucken lässt. "Erdogan kümmert sich nicht mehr um Reaktionen von der westlichen Seite. Protest oder Kritik an seiner Politik gegen Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten spielt für ihn keine Rolle", sagte Dündar.
Die deutsche Regierung habe zu lange gewartet, um zu Erdogan mit einer klaren Sprache zu sprechen, sagte Dündar. "Sie wussten nicht, wie sie mit einem politischen Führer wie Erdogan umgehen sollen. (...) Keiner weiß, wie man damit umgehen soll, wenn jemand plötzlich anfängt, dich als Nazis oder Terroristen zu bezeichnen", erklärte Dündar. Inzwischen habe sie verstanden, mit was für einer Regierung sie es in der Türkei zu tun habe. "Und jetzt verhalten sie sich viel klarer - es ist dafür natürlich etwas spät."