Verschollener iranischer Forscher Das rätselhafte Verschwinden von Schahram Amiri

Der Fall ist mysteriös. Ein iranischer Forscher verschwindet auf einer Pilgerreise nach Mekka spurlos. Ist er verschleppt worden oder freiwillig übergelaufen? Hat er über das Atomprogramm Irans geplaudert? Außenminister Mottaki beschuldigt die USA, in die Affäre verwickelt zu sein.

Teheran - Ein letzter Anruf aus dem saudischen Medina bei seiner Frau, dann war Schahram Amiri wie vom Erdboden verschluckt. Das Rätsel um den verschollenen iranischen Forscher im Juni auf Pilgerreise nach Mekka sorgt für neuen Ärger zwischen den Regierungen in Teheran und Washington. Irans Außenminister Manutschehr Mottaki brachte diesen und ähnliche Fälle kürzlich formell bei Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Sprache und beschuldigte die US-Regierungsbehörden, die Hand im Spiel zu haben.

Atomprogramm

Im offiziellen Sprachgebrauch Irans wurde Amiri, der in das des Landes eingebunden gewesen sein soll, nicht als Nuklearwissenschaftler, sondern lediglich als iranischer Staatsbürger bezeichnet. Nach Angaben seiner Frau forschte er an einer Universität über medizinische Anwendungen der Nukleartechnologie und hatte mit dem international umstrittenen Atomprogramm nichts zu tun.

Verschwinden vor Aufdeckung zweiter Uran-Anlage

Amiri verschwand wenige Monate, bevor die Existenz einer zweiten Uran-Anreicherungsanlage in Iran bekannt wurde. Angesichts dessen fragen sich Fachleute, ob er dem Westen Informationen darüber oder andere Aspekte des Atomprogramms geliefert hat.

Die Entdeckung der Anreicherungsanlage bei Kom gilt als Coup westlicher Geheimdienste. Iran bestreitet, dass er sie geheim halten wollte; nach Darstellung der Regierung in Teheran war man noch nicht zur Anmeldung bei der Atomenergiebehörde verpflichtet. US-Beamte führten die Entdeckung auf Erkenntnisse aus verschiedenen nachrichtendienstlichen Quellen, vor allem auf Spionagesatelliten zurück. Ob zu diesen Quellen auch iranische Informanten gehörten, führten sie nicht näher aus.

Über Amiri ist nicht viel bekannt. Was aus ihm geworden ist, bleibt vier Monate nach seinem Verschwinden ein Rätsel. Iran habe Saudi-Arabien um Auskunft über seinen Verbleib gebeten, aber keine Antwort erhalten, erklärte Außenministeriumssprecher Hassan Kaschkawi. Amiris Angehörige demonstrierten mehrmals vor der saudischen Botschaft in Teheran.

Letzter Anruf am 3. Juni

Im amtlichen englischsprachigen Nachrichtensender Press TV hieß es, Amiri habe als Forscher an der Teheraner Malek-Aschtar-Universität gewirkt. Die Universität gilt bei der Uno als Atomforschungsstätte; sie soll unter Kontrolle der Revolutionsgarden stehen. Auf der den iranischen Konservativen nahestehenden Website Dschahannews hieß es ohne Quellenangabe, Amiri habe in der Anlage bei Kom gearbeitet und sich in Saudi-Arabien abgesetzt.

Amiri war am 31. Mai zur Omra, der islamischen Pilgerfahrt gen Mekka, nach Saudi-Arabien gereist, wie seine Frau laut Nachrichtenagentur ISNA sagte. Zuletzt habe sie am 3. Juni von ihm gehört, als er sie aus Medina angerufen habe. Dabei habe er berichtet, dass er bei der Ankunft in Saudi-Arabien auf dem Flughafen von der Polizei eingehend befragt worden sei, "mehr als alle anderen Passagiere".

Mottaki behauptete am Mittwoch, Amiri sei auf Betreiben der USA festgenommen worden. "Wir haben Dokumente gefunden, die belegen, dass die USA das Verschwinden beeinflusst haben", sagte Mottaki einem Bericht des TV-Senders al-Dschasira zufolge. Iran halte Saudi-Arabien verantwortlich für sein Befinden. Berichte, dass Amiri Mitarbeiter der iranischen Atomenergieorganisation gewesen sei, bezeichnete er laut ISNA als "Spekulationen westlicher Medien". Aus Saudi-Arabien gab es keine Stellungnahme. Das US-Außenministerium bestritt al-Dschasira zufolge jegliche Beteiligung an dem Fall. "Wir haben keine Informationen über diesen Menschen", wurde ein Ministeriumssprecher zitiert.

Die saudischen Geschäftsleuten gehörende arabische Zeitung "Aschark al-Ausat" berichtete vorige Woche, Mottaki habe sich bei Ban förmlich wegen des Verschwindens von Amiri und anderen Iranern in den letzten Jahren beschwert, bei einigen, von denen zu befürchten sei, dass sie nukleartechnische Informationen an den Westen gegeben hätten. Eine Uno-Sprecherin bestätigte ohne weitere Einzelheiten, dass das Thema bei einem vertraulichen Gespräch behandelt wurde.

Ex-General und Geschäftsmann sind ebenfalls verschollen

Auf der von Mottaki übergebenen Liste stand auch Ali Resa Asghari, ein ehemaliger General der Revolutionsgarden und stellvertretender Verteidigungsminister, der im Dezember 2007 bei einem Privatbesuch in der Türkei verschwand.

Nur mit Nachnamen genannt wurde ein Mann namens Ardebili, der kürzlich in Georgien festgenommen worden sein soll. Außenministeriumssprecher Kaschkawi bezeichnete ihn als Geschäftsmann und warf den georgischen Behörden vor, ihn festgehalten und an die USA übergeben zu haben. "Aschark al-Ausat" identifizierte ihn ohne Quellenangabe als mutmaßlichen Waffenhändler. Ein Regierungssprecher in Tiflis wollte keinen Kommentar abgeben.

wit/AP
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