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Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi: "Heute beginnt eine neue Ära"

Foto: Angelo Carconi/ dpa

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi Knochenjob für die Fünf-Sterne-Frau

Rom wird künftig von der Fünf-Sterne-Protestbewegung regiert. Bürgermeisterin wird eine junge Frau, die bislang nur wenig mit Politik zu tun hatte. Viele Römer sehen darin eine Chance.

Die Politiker-Pose beherrscht sie schon. Am Sonntagnachmittag sah man Virginia Raggi auf allen TV- und Internet-Kanälen, fröhlich bei der Stimmabgabe. Selbstsicher, professionell posierte sie vor dem Pulk von Fotografen im Wahllokal. Weiße Bluse, lange schwarze Haare, nett, jung, sympathisch. Aber gegen Mitternacht, als klar wurde, dass sie tatsächlich gewonnen hatte und Bürgermeisterin der "Ewigen Stadt" würde, flossen ein paar Tränen. Was sie den Römern noch sympathischer machte.

Virginia Raggi, geboren 1978 in Rom, studierte Juristin, verheiratet und Mutter eines Kindes, ist der neue Star der italienischen Hauptstadt, vielleicht des ganzen Landes.

Sie ist es zum einen, weil eine kleine Schar von Römern sie zur Kandidatin des "MoVimento 5 Stelle" gekürt hat. 1764 eingeschriebene Mitglieder gaben der 37-Jährigen ihre Stimme. Das sind für eine Millionenstadt wie Rom zwar nicht gerade viele Stimmen, und auch gemessen an den "Fünf Sterne"-Mitgliedern der Stadt sind es gerade einmal 18 Prozent gewesen - aber eben die Mehrheit. Damit war Raggi Kandidatin.

Und die Mitglieder der Fünf Sterne, die keine Partei, sondern eine Protestbewegung sein will, haben offensichtlich mit Bedacht gewählt. Und mit Erfolg. Zwei Drittel der Römer - zumindest jener Hälfte der Wahlberechtigten, die ihre Stimme abgaben - wählten die noch vor Kurzem weithin unbekannte Frau. Und zwar überwiegend aus einem entscheidenden Grund: Weil sie damit gegen alle anderen, gegen die gesamte italienische Politik stimmen konnten.

"Ich bin bereit zu regieren", sagte Raggi in einer nächtlichen Pressekonferenz selbstbewusst. "Heute beginnt eine neue Ära". Seit 20 Jahren werde Rom schlecht regiert, jetzt seien "Legalität und Transparenz" angesagt.

Dabei erwarten die Römer gar nicht viel. Es ist ein Experiment. Mal schauen, ob die Newcomerin aus der Fünf-Sterne-Truppe des einstigen Komikers und Kabarettisten Beppe Grillo wirklich etwas verändern kann. Das Risiko ist gleich null: Mehr als ihre Vorgänger kann man eine Stadt kaum herunterwirtschaften. Ob von rechts oder links, "alles das gleiche Gesindel", sagen viele Römer.

Im Video: Virginia Raggi wird Bürgermeisterin von Rom

Roms Verwaltung: Unfähig und unwillig

Der letzte Stadtobere, der Mediziner Ignazio Marino, ist im Oktober vorigen Jahres von seinem sozialdemokratischen Parteichef, Italiens Ministerpräsidenten Matteo Renzi, persönlich aus dem Amt gedrängt worden. Marino war nur durch Schummeleien seiner Spesenabrechnung aufgefallen, ansonsten aber auffällig untätig. Sein Vorgänger versorgte dagegen immerhin Verwandte und Freunde eifrig mit guten Jobs und lukrativen Aufträgen.

Seit den Zeiten des antiken Roms leidet die Stadt unter Korruption. Im Laufe der Zeit entstand so eine völlig unfähige und dienstunwillige Verwaltung mit ineffizienten kommunalen Unternehmen und knapp 50.000 Mitarbeitern. Der städtische Schuldenberg wuchs auf ungefähr 12 Milliarden Euro - ganz genau kann die Summe niemand beziffern. Die Schulden wurden so lange hin- und hergeschoben, in Sonderfonds versteckt und wieder anders verbucht, bis selbst im Rathaus niemand mehr richtig durchblickte. Selbst die Schuldner und die Gläubiger sind nur etwa zur Hälfte bekannt.

Auf diese Weise wurden manche Familien reich und mächtig, die Stadt dagegen verkam:

  • In den Straßen türmt sich regelmäßig Dreck und Abfall , obwohl die Müllentsorgung Millionen verschlingt; die einzige Mülldeponie wurde ersatzlos geschlossen, der Abfall wird jetzt teils bis nach Deutschland gebracht.
  • Der öffentliche Nahverkehr funktioniert schlecht, in vielen Außenbezirken gar nicht. Dort wohnt aber die große Mehrheit der offiziell rund 2,6 Millionen Einwohner (tatsächlich sind es weit mehr).
  • Das Gesundheitssystem ist eine Katastrophe. Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet, Ärzte und Pflegepersonal fehlen, manche haben einen Paralleljob in einer Privatklinik; die Wartezeit auf eine Mammografie bei akutem Krebsverdacht kann für Kassenpatienten acht Monate dauern.
  • Die Straßen sind voller Löcher; fehlende, zerbröselte Kanaldeckel werden oft monatelang nicht ersetzt, bei starkem Regen steht der Verkehr still, regelmäßig auch die U-Bahn.
  • Immobilienpreise und Mieten steigen trotzdem horrend, Wohnungseinbrüche gehören zum Alltag, genauso wie Smog und Dauerstreiks als Profilierungselemente rivalisierender Klein-Gewerkschaften.

Das alles haben die Römer satt.

Darum soll jetzt der Schreihals Grillo zeigen, was seine Fünf-Sterne-Bewegung kann, was seine Kandidatin in Rom zu leisten vermag. Versprochen haben sie im Wahlkampf vieles: bessere Straßen, Sonderspuren für die Busse, eine funktionierende und ökologische Müllentsorgung, mehr Sicherheit durch eine besser organisierte Polizei und für alle Römer das Recht auf eine Wohnung, die nicht mehr als 20 Prozent des Einkommens verschlingt.

Eine gigantische Aufgabe, für die es viel Erfahrung im Umbau von Unternehmen und Ämtern braucht. Raggi hat hier bislang nicht besonders viel vorzuweisen. Sie ist Juristin, angestellt in einer großen Kanzlei und spezialisiert auf Urheber, Patent- und Markenrecht. Und sie hat während des Studiums Erfahrungen bei allerlei Jobs gesammelt, sagt sie. Ehrenamtlich ist sie in einer Gruppe tätig, die sich dem "solidarischen Handel" verschrieben hat, sie hat sich um die Resozialisierung jugendlicher Straftäter gekümmert und um Hunde in einem Tierheim.

Bei Anruf Rücktritt

Hinter ihr steht aber die große Internetgemeinschaft der Grillo-Anhänger. Dort, vor allem in den sozialen Netzwerken, wird die Parteipolitik gemacht. Zunächst wird die Grillo-Schar erst einmal entscheiden, wer die wichtigen kommunalen Ressorts - für Verkehr, Müll, Umwelt und so weiter - im Rathaus besetzen soll. Und über dies und alles Weitere wird wohl auch der Fünf-Sterne-Gründer selbst seine lenkende Hand halten. Und Raggi, der neue römische Star, soll ihm und der gesamten Fünf Sterne-Community fest zugesagt haben, dass sie sofort zurücktritt, wenn man es von ihr fordert.

In der Tat, eine neue Ära.


Zusammengefasst: Rom hat eine neue Bürgermeisterin: Virginia Raggi, von der Fünf-Sterne-Protestbewegung. Obwohl politisch unerfahren, soll sie die siechende Metropole wieder nach vorn bringen. Die Wahl ist vor allem eine Blamage für die etablierten Parteien, die zuletzt schwache Vertreter in das Amt gehoben hatten.

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