Vize-Kandidatin auf Republikaner-Parteitag Die gefährliche Unschuld der Sarah Palin

Ihre Stimme klang dünn, ihre Argumentation war keck bis anmaßend. Trotzdem riss Sarah Palin die Republikaner mit - denn schon lange wirkte die Partei nicht mehr so menschlich wie in dieser Nacht.
Von Gabor Steingart

Hat Sarah Palin heute Nacht überzeugen können? Auf diese Frage gibt es eine kurze und eine lange Antwort.

Die kurze lautet: nein.

Die Regierungschefin von Alaska hat mit dünner Stimme eine Reihe von Vorwürfen gegen Barack Obama vorgetragen, die man wohlwollend als keck bezeichnen kann. Aber mit selbem Recht auch als anmaßend.

Die längere Antwort lautet: Ja, sie hat den Republikanern einen Dienst erwiesen.

Ihre Schwäche ist ihre größte Stärke. Die Partei des George W. Bush, verantwortlich für einen unnötigen Krieg (Irak) und einen notwendigen, aber erfolglosen Krieg (Afghanistan), stand schon lange nicht mehr so menschlich da.

Schlichtheit kann schön wirken und Schwäche stark.

Die offensichtliche Verletzbarkeit der Sarah P. schützt die Republikaner zumindest vor dem Vorwurf, sie wollten die Amtszeit von George W. Bush und Dick Cheney nahtlos verlängern. Aus dem Nichts ist sie aufgetaucht, forsch, frech, unerfahren. Aber für einen neokonservativen Falken ist sie nicht kriegslüstern und nicht verschlagen genug. Ihr Konservatismus mag antiquiert wirken, aber nicht aggressiv und arrogant.

Plötzlich stand die Partei im Schlafzimmer der Palin-Tochter

Ihre rigide Sexualmoral - Palin hat sich mehrfach gegen Aufklärungsunterricht in der Schule ausgesprochen - wurde von der eigenen 17-jährigen Tochter zwar als weltfremd widerlegt. Ausgerechnet in der Woche des Parteitages musste die Familie die ungewollte Schwangerschaft ihrer Tochter bekanntgeben. Für die amerikanischen Konservativen bedeutet das eine Peinlichkeit sondergleichen. Man wollte über die Bedrohung dieser Welt reden und war plötzlich im Schlafzimmer der Palin-Tochter gelandet.

Aber: Auch diese Peinlichkeit kann politisch nützlich sein.

In die Schadenfreude mischte sich auch Bewunderung für eine Familie, die aus der kleinen Katastrophe keine große machte.

Die schwangere Tochter fand sich – samt ihrem Freund – gestern Nacht auf der Bühne des Parteitages wieder. Und Mama war sichtlich stolz und erkennbar milde gestimmt.

Mit ihren fünf Kindern seien sie eine Familie wie jede andere, rief Palin den Parteifreunden zu. Es gebe Spaß, und es gebe Herausforderungen. Und manchmal bedeute Spaß eben auch Herausforderung.

In Sekundenschnelle wurde da das private politisch. Mit ihr würden amerikanische Mütter einen Freund und Anwalt im Weißen Haus besitzen.

Dass die amerikanischen Medien ihr schwer eingeheizt hatten – die Vorwürfe lauteten von naiv bis verlogen –, kam ihr ebenfalls gut gelegen. Sie gehe nicht nach Washington, um den Medien zu gefallen. Sie sei nunmal nicht Mitglied im politischen Eliteclub von Washington.

Aus der Politikerin einer Regierungspartei war handstreichartig eine Oppositionsfrau geworden.

Unverbraucht und unschuldig soll sie wirken

Für Barack Obama, den Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, dessen Anti-Washington-Kampagne sie damit zu kopieren versuchte, hatte sie erwartungsgemäß nur Spott übrig. Er habe zwei Memoiren vorgelegt, aber niemand erinnere auch nur ein von ihm eingebrachtes Gesetz. Obama sei stolz darauf, Sozialarbeiter gewesen zu sein. Sie sei Bürgermeisterin gewesen – "eine Art Sozialarbeiterin mit echter Verantwortung".

Die Wirkung ihres Auftretens ist mit den Verhörmethoden der Meinungsforscher nicht zu ergründen. Sie sprach zu unbedarft, um vor den Wählern als gefährlich zu erscheinen. Ihre Unsicherheit in Stimme und Körperhaltung wirkte liebenswert, nicht kühl kalkuliert. Sie sagte nicht viel, aber sie setzte einen Ton.

Die Parteistrategen dürften zufrieden gewesen sein. Wenn man die Herrschaft einer Partei verlängern will, die eigentlich abgewirtschaftet hat, muss man sich etwas einfallen lassen.

Etwas, das unverbraucht und unschuldig wirkt – wie Sarah Palin.

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