Wolfgang Kaleck

Deutscher Völkermord an Herero und Nama Worauf wartest du, Deutschland?

114 Jahre liegt der Völkermord durch deutsche Soldaten an Herero und Nama in Namibia bereits zurück. Deutschland muss dafür endlich die Verantwortung übernehmen - juristisch, moralisch und finanziell.
Gefangene der deutschen Truppen im Krieg gegen Herero und Nama (1904-1908)

Gefangene der deutschen Truppen im Krieg gegen Herero und Nama (1904-1908)

Foto: National Archives of Namibia / AFP

In dieser Woche wird Deutschland wieder daran erinnert, dass auch die Bundesrepublik koloniales Unrecht begangen hat, und daran, was für ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte das ist. Menschenschädel, geraubt vor mehr als 100 Jahren im damaligen Deutsch-Südwest-Afrika, werden den Nachfahren aus Namibia im Französischen Dom in Berlin übergeben.

Sie stammen aus einer Zeit, in die auch der Völkermord deutscher Militärs an den Völkern der Herero und Nama fällt - einem Menschheitsverbrechen, dem sich Deutschland auch 114 Jahre danach nicht ordentlich gestellt hat.

Das historische Gedächtnis reicht in Europa meist nur von den Völkermorden in Ruanda und Jugoslawien bis zum Holocaust zurück. Koloniales Unrecht hingegen wird bis heute kleingeredet und kaum aufgearbeitet.

Immerhin: Einige Betroffenengruppen haben zuletzt erfolgreich Entschädigungen eingeklagt, etwa die kenianischen Mau Mau wegen Folter unter britischer Herrschaft und indonesische Dorfbewohner von ihren ehemaligen niederländischen Unterdrückern.

Und während die zwischenstaatlichen Verhandlungen zwischen Namibia und Deutschland seit Jahren nicht vorankommen, ist nun vor einem New Yorker Gericht die Klage von Herero und Nama gegen Deutschland anhängig.

Die Liste deutscher Ausflüchte ist lang

Worum es geht? Von 1884 an wurden Namibias indigene Gemeinschaften durch die deutschen Kolonialherren ihres Landes und ihres Viehs beraubt, ins Exil getrieben und während der Aufstände von Herero und Nama gegen die Deutschen zwischen 1904 und 1908 fast ausgerottet. Dafür fordern die Nachfahren nun eine Entschuldigung und Reparationen.

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Die Liste deutscher Ausflüchte ist lang. Bei einer Gedenkfeier zur Schlacht am Waterberg - die als entscheidend im Krieg der deutschen Kolonialherren gilt - bat die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) im August 2004 zwar um Vergebung, vermied aber wie der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) "entschädigungsrelevante Äußerungen".

Das Wort Reparationen vermeiden die Deutschen ohnehin, bis heute fürchtet die Bundesregierung Ansprüche vieler nicht entschädigter Opfergruppen aus der Nazizeit. In den Gesprächen Deutschlands mit Namibia über das koloniale Unrecht spricht der deutsche Verhandlungsführer Ruprecht Polenz (CDU) - mittlerweile - ausdrücklich nur von einem "historischen Völkermord".

Zu einer Resolution nach dem Beispiel der Resolution zum Völkermord an den Armeniern durch die Türkei aber konnten sich Bundesregierung und Bundestag bisher nicht durchringen.

Man verhandelt von Regierung zu Regierung, ausgewählte Herero und Nama sind beteiligt, aber nicht die Vertreter des weitaus größten Teils der Bevölkerungsgruppen. Deswegen reichten diese Ausgeschlossenen im Januar 2017 Klage beim Distriktgericht in New York ein. Sie fordern die direkte Teilnahme an den Gesprächen und Entschädigung.

Warum, kann man fragen, soll ein New Yorker Gericht über Unrecht urteilen, dass Deutschland vor 114 Jahren in Afrika beging?

Weil international mittlerweile anerkannt ist, dass Völkermorde die Menschheit als Ganzes betreffen. Gibt es keine gerichtliche Instanz, vor der die betreffenden Sachverhalte verhandelt werden, weil die betroffenen Nationalstaaten nicht willens oder in der Lage sind, können der Internationale Strafgerichtshof oder auch nationale Gerichte handeln.

Nach diesem Weltrechtsprinzip mussten sich bereits ein Folterer aus Paraguay im Jahr 1980 für die Ermordung eines Siebenjährigen  sowie die Ölfirma Shell für die Hinrichtung von Naturschützern durch Nigerias Militärjunta  vor US-Zivilgerichten verantworten.

Natürlich wäre es erstrebenswert, es gäbe einen Weltgerichtshof, ein allen Menschen zugängliches und für globale Gerechtigkeit sorgendes Rechtswesen. Solange das aber ein Wunsch bleibt, müssen die Betroffenen zusehen, wo sie Gerichte finden.

Verabredung der europäischen Großmächte zu Mord und Raub

Die Anwälte der Bundesrepublik Deutschland berufen sich auf mangelnde Zuständigkeit und den Grundsatz der Staatenimmunität. Doch die New Yorker Richterin stellte die Klage zu, sodass sich die Deutschen seit Januar 2018 vor Gericht zu verantworten haben. In der Frage der Zuständigkeit soll innerhalb der kommenden Monate entschieden werden.

Egal wie das Verfahren in den USA weitergeht - die Herero und Nama haben ihre Anliegen damit bereits erfolgreich in die internationale Öffentlichkeit getragen. Und die Anwälte der Bundesregierung befeuern den Fall mit ihrer fatalen Taktik: Im Völkerrecht müsse im Prinzip das Recht angewendet werden, das zum Tatzeitpunkt galt.

Das Problem: Das Recht des ausklingenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wurde von den europäischen imperialistischen Großmächten geprägt und ermöglichte, Land zu okkupieren und sogenannte nicht zivilisierte Gesellschaften auszubeuten und zu unterdrücken. Es war schlicht eine Verabredung der europäischen Großmächte zu Mord und Raub in großem Maßstab.

Diese Auffassung - so die Anwälte der Bundesregierung - soll bis heute gelten. Sie argumentieren, dass die Deutschen kein Recht brachen, als sie die Herero und Nama massakrierten. Das ist im Kern derselbe fatale Ausspruch, der den ehemaligen Nazi-Marinerichter Hans Filbinger zum Rücktritt als baden-württembergischer Ministerpräsident zwang: Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein, lautete auch sein Versuch einer Verteidigung.

Dabei ist die Bundesrepublik Deutschland eigentlich weiter. Es hat sich die Formel des Rechtsphilosophen Gustav Radbruch etabliert: Wenn der Widerspruch eines positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein unerträgliches Maß erreicht, muss dieses Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit weichen. Der Bundesgerichtshof entschied auch für die DDR-Mauerschützenprozesse, dass darauf zu achten ist, ob der Staat diese äußerste Grenze überschritten hat.

Warum wird die Radbruch'sche Formel nicht auf koloniales Unrecht angewandt? Weil die Opfer nicht weiße Europäer waren? Weil viele Europäer bis heute koloniales Unrecht leugnen?

Ein bisschen Schuld gibt es nicht

Zuletzt hieß es aus deutschen Regierungskreisen, man wolle das Verfahren in New York abwarten. Das mag nachvollziehbar klingen, aber es ist doch nur eine neue Ausrede im 114. Jahr nach dem Völkermord an Tausenden Herero und Nama in der Wüste Omahek.

Denn natürlich gäbe es die Möglichkeit, sich außergerichtlich zu einigen, indem man die bislang ausgeschlossenen Vertreter hinzubittet, echte Entschädigung, auch hinsichtlich des Landraubes, und eine echte Entschuldigung anbietet. Denn ein bisschen Schuld gibt es nicht.

Weil damit leider nicht zu rechnen ist, ist die Zivilgesellschaft gefragt. Wir müssen mehr tun, um die Regierungen beider Länder zu einer schnellen politischen Lösung zu bewegen. Daneben können auch geeignete Nichtregierungsprojekte wie Erinnerungsorte und Schulpartnerschaften dazu beitragen, das Unrecht an beiden indigenen Gemeinschaften ansatzweise wiedergutzumachen.

Über den Autor
Foto: ECCHR/ Nihad Nino Pusija

Wolfgang Kaleck, 58, ist Rechtsanwalt. 2007 gründete er das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin, dessen Generalsekretär er ist. Als Anwalt vertritt er unter anderem den Whistleblower Edward Snowden. Neben seiner Tätigkeit als Jurist ist Kaleck auch Publizist.

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