
Volksabstimmung in Italien: Wasser, Atom und Berlusconi
Volksabstimmung in Italien Berlusconi fürchtet die Wasser-Schlappe
Das Referendum sei "eine Frage von Leben oder Tod", sagt Adriano Celentano. Der Sänger, in Deutschland vor Jahrzehnten mit Spaßliedchen wie "Azzurro" erfolgreich, ist in Italien bis heute nicht nur eine musikalische Größe, sondern auch eine moralische Instanz. Sein Aufruf, gegen die von der Regierung geplante Nutzung der Atomenergie zu votieren wie auch gegen die Privatisierung der Wasserwerke und gegen ein neues, trickreiches Gesetz, das Berlusconi vor den Nachstellungen der Justiz schützen soll, fand umgehend tausendfache Zustimmung im Internet.
Wie Celentano werben in diesen Tagen viele Künstler - vom Musiker Vasco Rossi bis zum Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo - für das Referendum am kommenden Sonntag und Montag. "Wasser muss allen gehören", sagt etwa der Liedermacher und Radiomoderator Rossi.
Dem schließen sich sogar Kirchenmänner in großer Zahl an. Etwa Monsignor Giuseppe Fiorini Morosini, Bischof der süditalienischen Bistümer Locri und Gerace. Wasser müsse "Allgemeingut bleiben", verlangt er und schickt seine Schäfchen zur Abstimmung. Auf dem Petersplatz in Rom betet Padre Zanotelli mit 250 Mitbrüdern für das Referendum. "Wie können wir zulassen, dass Wasser, unsere Mutter, geschändet und zur Ware gemacht wird?"
Und zum Thema Atomenergie meldete sich diese Woche sogar Papst Benedikt XVI. mit seltener Klarheit zu Wort. Er forderte, angesichts der Katastrophe im japanischen Fukushima nur noch solche Energiequellen zu nutzen, die "die Schöpfung bewahren und gefahrlos für den Menschen sind". Dazu gehört die umstrittene Kernenergie wohl kaum.
Tausend Feste für das Referendum
Überall in Italien sind auch Studenten aktiv, ist die Bürgergesellschaft auf den Beinen. Selbst junge Mitglieder der Berlusconi-Partei PdL ("Volk der Freiheit") demonstrieren in Rom gegen den Wiedereinstieg in die seit 1987 per Volksentscheid geächtete Atomenergie und rufen zum Urnengang. Geschäfte, Theater und Kneipen offerieren Sonderpreise oder gar freien Eintritt für alle, die ihre Stimme abgeben.
Lokale Komitees, Umweltverbände, Bürgermeister organisieren Debatten, Konzerte. Vor allem wird gefeiert. "Tausend Feste für das Referendum" sollen helfen, das zu schaffen, was seit über zehn Jahren nicht gelang: bei einer Volksabstimmung das erforderliche Quorum von mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten zu erreichen. Denn sonst bleibt Volkes Stimmabgabe, ungeachtet des Ergebnisses, belanglos, ohne Konsequenz.
Berlusconis Order: die Abstimmung totschweigen
Darauf hofft keiner so sehr wie Silvio Berlusconi, Italiens Regierungschef. Alles hat er versucht, um diese Volksbefragung zu verhindern, bis hin zum Anruf des Verfassungsgerichts. Vergeblich. So heißt die Devise nun: totschweigen. In seinen eigenen privaten wie in den ihm ergebenen staatlichen TV-Programmen kommt das Referendum deshalb kaum vor, trotz einer Rüge der Aufsichtsgremien.
Viele Italiener, die ihre Informationen allein oder überwiegend aus dem Fernsehen beziehen, wissen denn auch bis heute kaum, dass eine Volksbefragung ansteht, geschweige denn, worum es dabei geht. Aber Berlusconis Schweige-Aufruf zielt nicht nur auf die Medien, auch für seine politischen Partner gilt die Order: keine politischen Debatten. Die würden das Thema nur anheizen und die Beteiligung befeuern. Das Referendum soll einfach ein Nicht-Thema sein.
Staatspräsident: Wählerpflicht erfüllen
Aber nicht alle in Italien hören auf den regierenden Milliardär. Der ranghöchste Italiener, der 86-jährige Staatspräsident Giorgio Napolitano, ließ sogleich mitteilen, er werde beim Volksentscheid seine Stimme abgeben. Schließlich sei er "ein Wähler, der immer seine Pflicht erfüllt". Alle verstanden, wie es gemeint war: als präsidialer Aufruf an seine Landsleute, ihrer staatsbürgerlichen Pflicht ebenso nachzukommen. Und was der greise, aber überaus agile Napolitano sagt, hat Gewicht. Mehr als 80 Prozent der Italiener schätzen ihn und vertrauen ihm.
Berlusconi kommt bei solchen Umfragen nicht einmal auf 40 Prozent.
Umso mehr wird er über den neuerlichen Hieb aus dem Quirinal, dem Amtssitz des Staatspräsidenten, geschäumt haben. Immer wieder hat Napolitano in der Vergangenheit den egomanischen Regierungschef gebremst, wenn der nach seiner Meinung allzu leichtfertig mit der Verfassung umging. Auch jetzt löste Napolitano sogleich das aus, was Berlusconi unbedingt vermeiden wollte: Politiker meldeten sich mit Bekenntnissen, am Referendum teilzunehmen oder ihm fernbleiben zu wollen. Und schon reichten die Debatten selbst bis tief in die Regierungsparteien hinein.
Neues Debakel für Berlusconi?
Inzwischen glauben die Aktivisten der "Ich gehe zur Abstimmung"- Kampagnen, dass die nötige Beteiligung von 50 Prozent plus einer Stimme erreicht wird. Auch manche politische Beobachter, die noch Ende voriger Woche äußerst skeptisch waren, halten das inzwischen zwar nicht für sicher, aber immerhin für gut denkbar.
Für Regierungschef Berlusconi wäre das fatal. Nicht nur, dass ein Volksentscheid ihm damit zwei grundsätzliche, richtungweisende Vorhaben kippen könnte. Unmittelbar nach dem Debakel bei den Kommunal- und Regionalwahlen, bei denen Berlusconis Hochburgen gleich reihenweise geschleift wurden, wäre das eine neue schwerer Schlappe - vor allem für ihn selbst.
Denn wie bei den jüngsten Wahlen hat sich auch das Pro und Contra beim Referendum immer stärker zu einem Pro und Contra Berlusconi ausgewachsen. Damit würde eine Mehrheit des italienischen Volkes zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen mit ihrem Stimmzettel bescheinigen: "Danke, es reicht." Seine ohnehin längst chaotische und angstzerfressene Koalition würde noch unberechenbarer - auch ihm gegenüber.
Berlusconi setzt auf ein neues Schutzgesetz
Am ehesten könnte es Berlusconi beim Referendum noch verkraften, dass das Volk dabei auch ein Gesetz eliminiert, das ihn und seine Minister von der Pflicht befreit, sich als Angeklagte im Gerichtssaal zum Prozess einzufinden. Denn auch darum geht es kommenden Sonntag und Montag, neben der Rückkehr zur Atomenergie und dem Verkauf der Trinkwassernetze. Kann der Angeklagte einfach sagen, er habe wichtige Termine andernorts, kommt das Verfahren nur schleppend oder gar nicht voran - und endet meist lange vor einem Richterspruch als "verjährt".
Das wäre prima für den Multi-Angeklagten-Berlusconi, aber er würde es auch verkraften, wenn die hilfreichen Paragrafen nicht kämen. Denn im Parlament liegt schon ein neues Gesetz in der Schlussbearbeitung, dass mit anderen Mitteln das gleiche Ergebnis produzieren würde: mit Hilfe kürzerer Verjährungsfristen. Kommt dieses Gesetz, prophezeien Richter und Staatsanwälte, würden schlagartig 10.000 bis 15.000 Prozesse hinfällig. Einer davon betrifft den Vorwurf, den britischen Rechtsanwalt David Mills bestochen zu haben, damit der vor Gericht die Unwahrheit sagt.
Angeklagter in dem Verfahren: Silvio Berlusconi, Ministerpräsident.