Vorwahlen Hibbeln bis zum Umfallen
Gar nicht einfach herauszufinden, warum Joshua Wick immer leicht auf und ab hüpft. Ist es die beißende Kälte, in der er ohne Handschuhe seit Stunden sein "Dean for President"-Schild Autofahrern hinreckt? Die sechste Tasse Kaffee, die er um zwei Uhr nachmittags zu sich nimmt? Oder einfach der Schlafentzug wegen der vielen Nachteinsätze?
Egal, denn Joshs Hüpfen fügt sich harmonisch in das Straßenbild ein. Seine rund 20 Dean-Mitstreiter hibbeln so fieberhaft mit Armen und Beinen, dass sie von Weitem wie eine Gruppe Aufziehfiguren aussehen. Als ein paar Schritte weg Helfer von Ex-General Wesley Clark für eine Kundgebung rüsten, drehen sich die Aktivisten sofort den Kontrahenten zu, lassen ihre Schilder los, schreien, nur Howard Dean sei die klare Wahl.
Da stürzen plötzlich rund 30 Unterstützer des Favoriten John Kerry dazu und entfachen etwas, das aussieht wie eine Schulhofrauferei. Vor der Kulisse verkeilter Helfer berichten TV-Reporter in Japanisch, Spanisch oder Dänisch, dass in ein paar Stunden die ganze Welt auf New Hampshire schauen wird.
Dann werden die Anhänger der Demokraten in diesem Mini-Staat ihre Stimmen abgegeben und damit die zweite Abstimmung in der langen Kette von Vowahlen entschieden haben. Wenn die so ermittelten Delegierten auf dem Wahlparteitag in Boston Ende Juli zusammenkommen, soll der Kandidat herauskommen, dem die Parteimitglieder die größten Chancen gegen US-Präsident Bush zusprechen.
Die ersten Wähler hatten traditionell kurz nach Mitternacht in den kleinen Ortschaften Dixville Notch und Hart's Location im Norden von New Hampshire abgestimmt. In einer am Montag veröffentlichten Meinungsumfrage der American Research Group lag Senator Kerry, der hochdekorierte Vietnam-Veteran, mit 35 Prozent der Stimmen vorn. Es folgten Dean mit 25 Prozent, Senator John Edwards mit 15 und der ehemalige NATO-General Wesley Clark mit 13 Prozent. Auf Senator Joe Lieberman entfielen sechs Prozent.
Selten verzahnen sich Graswurzelengagement und Weltpolitik so eng wie in diesen Tagen der Präsidentenvorwahlen. Es gibt keine solide Parteiorganisation in den USA, und ein Begriff wie Ortsvereinssitzung ist nicht nur linguistisch schwer vermittelbar.
Doch für die Kampagnen um wichtige politische Ämter verschreiben sich Tausende Helfer bedingungslos einem Kandidaten - besonders im kleinen New Hampshire, wo Wahlen durch direkten Kontakt zum Wähler gewonnen werden, nicht wie in größeren Staaten über Fernsehspots oder Radiobotschaften.
Joshua, Filmproduzent in New York, hilft Howard Dean seit zehn Tagen im unbezahlten Urlaub. "Ich rief an und die besorgten mir eine Couch bei einem anderen Helfer." Dann bekam Joshua eine 45-Minuten-Einführung in effektives Buhlen. "Wenn Dich jemand abwürgen will an Haustür oder Telefon, wiederhole selbstbewusst deine Botschaft", sagt er und zupft einen seiner Dean-Ansticker fest.
Die Botschaft hat der 30-Jährige nach einer Woche Haustüren sicher drauf. "Howard Dean ist der Kandidat, der gegen den Krieg klar Position bezogen hat". Dessen Rückschlag in Iowa kann Joshua nicht entmutigen. Schon wegen des schlechten Gewissens. "Ich habe bei der Gore-Kampagne etwas mitgeholfen - und hatte später das Gefühl, ich hätte mehr tun müssen."
Das scheinen viele zu wollen. Rund 10.000 Helfer sind für die sieben Kandidaten in die verschlafenen Städte New Hampshires eingefallen, verteilen Eiscreme in Uni-Mensen, bahnen Kandidaten den Weg zum Pfannkuchenbacken oder Wohnzimmeransprachen. So viele, dass das demokratische Parteiestablishment von kollektiver Entschlossenheit raunt, Bush aus dem Weißen Haus zu jagen.
Aber wer ist da eigentlich aktiv? Die Dean-Helfer, von denen viele wie Josh über Internetgruppen zusammenfanden, gelten als die "College-Kids". "Doch wir haben auch ältere Leute, darunter Ex-Republikaner", sagt Joshua.
Bei Wesley Clark finden sich picklige Highschool-Schüler, die staatsmännisch moralische Führungsqualitäten des Generals loben und gepflegten Frauen in den frühen Sechzigern mit einem Ehemann in der Armee.
Und dann gibt es die 18 Jahre alten Helfer des aussichtslosen Pazifisten und Veganer Dennis Kucinich, die ihren Einsatz als politischen Appell an die junge Generation verstehen.
Doch irgendwann ist es vorbei mit der Streiterei: Die Helfer aller Kandidaten sitzen fast jeden Abend in derselben Bar, beim Bier für zwei Dollar. Irgendwie müssen sie sich ja vertragen, denn es wird nur ein Bewerber übrigbleiben - bei dem die anderen vielleicht anheuern möchten, wenn die Rivalität nicht zu hässlich war.
Nähe zum möglichen nächsten Präsidenten kann der Schritt zur politischen Karriere werden. Der erste Helfer für Howard Dean hat den unbekannten Ex-Gouverneur in dessen Familienauto herumkutschierte. Als John Kerry vorige Woche in Iowa triumphierte, fiel er spätnachts in der Hotellobby seinen wichtigsten Helfern minutenlang in die Arme. Wichtige Vorwahlstaaten sind ein besseres Karrieresprungbrett als Washington.
Joshua hat solche Ambitionen nicht. Doch bei dem erregten Schreiwettbewerb mit den Kerry- und Clark-Helfern wandern die Blicke seiner Mitstreiter oft zu einem kleingewachsenen Beobachter ganz in Schwarz - George Stephanapolous, legendärer Wahlkampfmanager für Bill Clinton, später Kommunikationsdirektor im Weißen Haus, nun TV-Moderator. Stephanapolous hat mal auf das richtige Pferd gesetzt, aber wenn man ihn nach dem richtigen Tipp für dieses Jahr fragen will, sagt er nur sanft, es werde wohl ein langer Kampf um die Nominierung...