Mögliche Waffenruhe in der Ostukraine Putins Etappensieg

Schweigen die Waffen in der Ukraine jetzt dauerhaft? Die Meldungen aus Kiew und Moskau sind widersprüchlich. Gewinner einer Deeskalation wären vor allem Wladimir Putin und die prorussischen Separatisten.
Russischer Präsident Putin (in der Mongolei): Sollen die Waffen ruhen?

Russischer Präsident Putin (in der Mongolei): Sollen die Waffen ruhen?

Foto: Alexei Nikolsky/ AP/dpa

Die Mitteilung des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko war knapp, passte in eine 140-Zeichen-Meldung bei Twitter: Man sei im Zuge eines Telefonats mit dem Präsidenten Russlands zu einer Übereinkunft über einen "dauerhaften Waffenstillstand" gekommen. So knapp, so sensationell. Sogar ein zackiges "Ruhm der Ukraine!" passte noch in den Tweet des ukrainischen Staatschef.

Putin und Poroschenko hatten in der Nacht miteinander gesprochen. Die Ankündigung einer Feuerpause macht Hoffnungen auf ein Ende des Blutvergießens in der Ukraine. Mehr als 2600 Menschen sind seit Ausbruch der Kämpfe ums Leben gekommen.

Viele Fragen aber bleiben. Teile der Verbände der sogenannten "Volksrepubliken" sind nur lose organisiert, nach den Erfolgen der vergangenen Wochen wollen sie womöglich weiterkämpfen.

Zusätzliche Verwirrung stiftete Poroschenkos Präsidialverwaltung, die eine erste Mitteilung zur Waffenruhe korrigierte. Gestrichen wurde der - wichtige - Zusatz "dauerhaft". Stattdessen ist nur noch die Rede von einem vereinbarten "Regime der Feuerpause". Der Kreml erklärt ohnehin, Russland sei ja nicht Konfliktpartei. Dieses Dementi muss nichts heißen, der Kreml geht in der Krise ja ohnehin recht großzügig mit der Wahrheit um.

Egal wer sie ausgehandelt hat und für wie lange: Sollten die Waffen wirklich schweigen, wäre das ein Erfolg für Putin, wenn auch nur ein Etappensieg. Der Kreml ruft seit Langem nach einem Waffenstillstand. Dieser nutzt vor allem den Rebellen, sie können ihre Positionen festigen.

Kiew weiß: Ein militärischer Sieg ist nicht drin

Kiew hatte eine langfristige Feuerpause genau aus diesem Grund bislang abgelehnt und setzte auf eine militärische Lösung. Die Lage der "Volksrepubliken" war bis zuletzt fragil, ihre Kommandeure beklagten den mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung, bis Mitte August verloren sie eine Ortschaft nach der anderen.

Um eine Niederlage der Separatisten zu verhindern, schickte der Kreml noch mehr schwere Waffen und sogar - verdeckt - Angehörige der russischen Armee. Diese frischen Kräfte haben Kiews müde Truppen zuletzt weit zurückgeworfen, teils eingekesselt. Die Nato sprach schon Ende der vergangenen Woche davon, dass Kiew den Krieg nicht mehr gewinnen könne. Zu überlegen seien Putins Einheiten.

Der von Poroschenko verkündete Waffenstillstand zeigt vor allem zwei Dinge. Erstens: Poroschenko muss erkennen, dass ein Sieg seiner Truppen nicht mehr möglich ist. Zweitens: Putin und Poroschenko sprechen miteinander, und zwar offenbar intensiver als bislang gedacht. In Kiew und Moskau war übereinstimmend von mehreren Telefonaten in den vergangenen Tagen die Rede.

Reicht beiden Seiten der Status quo?

Es sind höchstens Anzeichen, dass der Konflikt in eine andere Phase übergehen könnte: Entweder, es kommt zu substanziellen Verhandlungen über den zukünftigen Status der Region. Oder beide Parteien begnügen sich mit dem Status quo. Die Waffenstillstandslinien könnten dann für lange Zeit de facto Grenzen werden - und der Donbass ein weiterer eingefrorener Konflikt wie Transnistrien. Für Putin wäre das ein Sieg.

Die Verkündung des Waffenstillstands fiel nicht zufällig auf den Mittwoch. US-Präsident Barack Obama besucht das Baltikum, er will Osteuropa Amerikas bedingungsloser Unterstützung versichern. Von Estland reist er weiter nach Wales. Dort beginnt am Donnerstag der Gipfel der Nato. Die Allianz hatte als Reaktion auf Russlands verdeckte Kriegsführung in der Ukraine neue Stützpunkte in Osteuropa ins Spiel gebracht, auch eine neue Eingreiftruppe soll aufgestellt werden.

Womöglich hofft der Kreml auch darauf, die nächste Sanktionsstufe zu vermeiden - und dass die Nato auf einen härteren Kurs gegen Moskau verzichtet. Washington und die Osteuropäer wollen sich darauf nicht einlassen. Zu groß sind die Befürchtungen, dass der Kreml lediglich Offenheit vortäuscht, seine Pläne im Donbass aber weiter verfolgt.

Gemischte Reaktionen in Kiew

Entschärft ist der Konflikt in der Ostukraine noch lange nicht. Die "Volksrepubliken" kontrollieren jetzt große, weitgehend zusammenhängende Gebiete. Die Ukraine hat Verhandlungen mit den Separatisten kategorisch abgelehnt. Aber sie kommt nicht mehr an ihnen vorbei.

Für einen Durchbruch ist die Entwicklung vom Mittwoch zu wenig. Zu oft folgten in der Vergangenheit auf große Worte nur wenige Taten. In Kiew löste die Meldung unterschiedliche Reaktionen aus. Einige Journalisten begrüßten Poroschenkos Ankündigung. Andere schrieben auf Twitter, die Ukraine habe sich praktisch ergeben, die "Öffentlichkeit wird erbost sein".

Über Wochen hatten ukrainische Medien und Politiker die Bevölkerung mit Erfolgsmeldungen aus dem Osten eingestellt auf einen militärischen Sieg. Jetzt muss Präsident Poroschenko seine Bürger womöglich auf einen politischen Kompromiss einstimmen. Für viele käme das einer Niederlage gleich.

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