Waffensuche im Irak US-Regierung schmettert Blairs Kronzeugen-Plan ab

Die britische Regierung drängt Washington, sich auf einen Handel mit ranghohen irakischen Gefangenen einzulassen, um schneller auf die Spur von Saddam Hussein und seinen Massenvernichtungswaffen zu kommen. Doch US-Präsident Bush lässt seinen treuesten Vasallen Tony Blair offenbar hängen.

London - Die britische Regierung bittet Washington einem Bericht der "Times" zufolge schon seit geraumer Zeit, irakische Gefangene mit Angeboten bis hin zur Straffreiheit dazu zu bringen, Informationen über Iraks Ex-Präsidenten Saddam Hussein und dessen Massenvernichtungswaffen preiszugeben. Die Zeitung berichtet unter Berufung auf britische Beamte, dass trotz intensiver Verhöre noch keiner der bisher inhaftierten irakischen Ex-Regierungsmitarbeiter ausgepackt habe. London sei mittlerweile davon überzeugt, dass ein Handel mit hochrangigen ehemaligen Beamten der einzige Weg sei, an die wertvollen Informationen heranzukommen.

Zur Frustration der Briten lehnt Washington aber ein solches Vorgehen strikt ab. Vor allem die Hardliner um Pentagon-Chef Donald Rumsfeld würden sich bisher verweigern - und sind dabei in einer komfortablen Situation, da die Fragen nach dem Kriegsgrund und den irakischen Massenvernichtungswaffen die amerikanische Öffentlichkeit weitgehend kalt lassen. Briten-Premier Blair aber steht innenpolitisch bereits mit dem Rücken zur Wand.

"Wir haben versucht, die Amerikaner zu überreden", sagte ein britischer Beamter der "Times". "Aber sie sind uns mit allen möglichen juristischen Einwänden gekommen." Die Iraker würden nach wie vor schweigen, weil sie überzeugt seien, dass Saddam noch am Leben sei. Sie fürchteten, dass die Anhänger des Ex-Diktators Rache an ihren Familien nehmen könnten, sollten die Gefangenen mit den Alliierten kooperieren.

Zu den bisher festgenommenen Irakern gehören unter anderem der frühere Vize-Premierminister Tarik Asis, Militärgeheimdienst-Direktor Suhair Talib Abd al-Sattar al-Nakib und Saddams Wissenschafts- und Technikberater Amir Hamudi Hassan al-Sadi.

Da von den Amerikanern keine Hilfe zu erwarten sei, versuchen die Briten dem Bericht zufolge, irakische Wissenschaftler der mittleren Ebene aufzuspüren, um Hinweise auf Massenvernichtungswaffen zu erhalten. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon setzte sich und die Regierung in London erneut selbst unter Druck: "Wir müssen der Welt demonstrieren, dass es diese Massenvernichtungswaffen im Irak gibt."

Blair verteidigte unterdessen seine Irak-Politik. Er habe nie behauptet, dass ein irakischer Angriff auf Großbritannien bevorstehe, sagte Blair vor dem Parlament. Aber Saddam Hussein sei durchaus eine Bedrohung für die Region und die Welt gewesen. Vor dem Irak-Krieg hatte Blair in einer dramatischen Rede vor dem Unterhaus behauptet, dass Saddam innerhalb von 45 Minuten einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen gegen den Westen führen könnte. Später musste die britische Regierung einräumen, dass diese Information aus einer einzigen, nicht gesicherten Quelle stammte.

Verteidigungsminister Hoon und Innenminister David Blunkett gaben Blair Rückendeckung. Beide wiesen die Kritik ehemaliger Minister vor dem Irak-Untersuchungsausschuss des Parlaments zurück. Die Regierung habe den Irak belastendes Geheimdienstmaterial mitnichten in unangebrachter Weise genutzt, erklärte Hoon bei einem Besuch in Australien. Es habe ausreichend Geheimdienstinformationen gegeben, die die Sorge Londons über die Bedrohung durch irakische Waffen gerechtfertigt hätten.

Blunkett verteidigte Blair gegen Vorwürfe des früheren Außenministers Robin Cook, der am Dienstag vor dem außenpolitischen Ausschuss des Unterhauses erklärt hatte, die Regierung habe Geheimdienstmaterial offenbar gezielt zur Rechtfertigung des Kriegs ausgewählt. Cook hatte aus Protest gegen den Irak-Kurs Blairs im März seinen Posten als Mehrheitsführer im Unterhaus mit Kabinettsrang niedergelegt.

Der Ex-Minister habe nicht Zugang zu allen relevanten Geheimdienstinformationen gehabt, die die Entscheidung zum Krieg gestützt hätten, sagte Blunkett gegenüber der BBC. Zwar habe Cook wohl Kenntnis der Informationen gehabt, die allen Kabinettsmitgliedern zugegangen seien, sagte Blunkett. Aber: "Das ist nicht dasselbe, wie Zugang zu der Führungsspitze des Auslandsgeheimdienstes MI6 zu haben."

Auch die frühere Ministerin für Entwicklungshilfe, Clare Short, hatte der Regierung am Dienstag vorgeworfen, die Bedrohung durch Saddams Massenvernichtungswaffen übertrieben zu haben. Die britische Opposition beschuldigt Blairs Regierung zudem, Geheimdienstmaterial manipuliert zu haben.

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