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Tory-Triumph in Großbritannien King Boris

Um sich als Brexit-Hardliner zu inszenieren, hat der britische Premier Boris Johnson demokratische Institutionen geschmäht und die Spaltung seiner Tories in Kauf genommen. Die Taktik ging auf. Vier Lehren aus der Wahl.

Spät am Abend dieses 12. Dezember veröffentlicht Boris Johnson auf Twitter ein Bild. Der Premier reckt darauf den linken Daumen nach oben. Neben ihm stehen Arbeiter, einer der Männer trägt ein Schild mit der Aufschrift: "Wir lieben Boris." Johnson bedankt sich bei seinen Unterstützern, er schreibt: "Wir leben in der großartigsten Demokratie der Welt."

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Die Prognose zu einer wahrlich historischen Wahl ist da kaum eine halbe Stunde alt. Doch das Ergebnis ist so eindeutig, dass selbst bei aller Vorsicht mit den nicht immer zuverlässigen britischen Umfragen klar ist: die Tories haben diese Parlamentswahl gewonnen. Und es wird ein Erdrutschsieg. Da sieht auch Johnson, sowieso nicht bekannt für Bescheidenheit, keinen Grund mehr zur Zurückhaltung.

Zugewinne von mehr als 50 Sitzen sagt die Nachwahlbefragung den Konservativen voraus, während die oppositionelle Labour-Partei dramatisch einbricht. In der Nacht und am Morgen, als nach und nach die Ergebnisse aus den Wahlkreisen eintrudeln, bestätigt sich dieses Bild. Johnsons Tories liegen klar vorne. Nach mehr als zwei Jahren Minderheitsregierung haben sie künftig wieder allein die Macht. Es ist eine Entscheidung mit gravierenden Folgen - für die Parteien, für das Vereinigte Königreich, für Europa. Vier Lehren.

Lehre 1: Populismus siegt

Seit seiner Amtsübernahme als Tory-Chef und Premier im Juli hat Johnson auf eine Taktik gesetzt, die man in normalen Zeiten in London wohl kaum für möglich gehalten hätte. Es war eine Strategie des radikalen Populismus, offenbar ausgetüftelt vom hochumstrittenen Brexit-Mastermind Dominic Cummings, Johnsons Chefberater in Downing Street.

Ziel waren immer Neuwahlen, die Johnson bestätigen und ihm eine deutliche Mehrheit im zersplitterten Unterhaus beschaffen sollten. Von Beginn an schalteten der Premier und sein Team deshalb auf einen rücksichtslosen Wahlkampfmodus. Das Kalkül: Johnson wollte die Tories als standfeste Brexit-Partei gegen ein vermeintliches Establishment inszenieren, während sich die Oppositionsparteien im linken und proeuropäischen Lager zerreiben.

Johnson nahm dafür die Spaltung seiner Partei in Kauf. Er warf verdiente Minister aus dem Kabinett und später gar mehr als 20 Tories, die seinen Kurs nicht mitgehen wollten, aus der Fraktion. Er attackierte aggressiv das Unterhaus und sogar die Gerichte und akzeptierte damit, dass das Vertrauen in demokratische Institutionen weiter bröckelte. Und er spannte die Queen für seine Sache ein, indem er sie rechtswidrig das Parlament auflösen ließ. Das Ergebnis dieser Wahl zeigt: die Taktik ist aufgegangen.

Lehre 2: Der Brexit kommt

Die Brexit-Debatten dauerten vor allem deshalb so quälend lang, weil es im britischen Unterhaus für keine Seite eine Mehrheit gab: nicht für die radikalen EU-Hasser, nicht für die, die einen sanften Ausstieg wollen, nicht für jene, die den Brexit am liebsten absagen würden. Die Tories konnten nur mit Unterstützung der nordirischen DUP regieren - und waren in sich zerstritten. Ebenso Labour.

Doch die Zeiten unklarer Verhältnisse sind nun vorbei. Johnsons Mehrheit ist künftig wohl derart komfortabel, dass er sich selbst jede Menge Abweichler leisten kann. Das heißt auch: der Weg für den Brexit ist frei. Johnson hatte den Gesetzgebungsprozess, der sein mit der EU ausverhandeltes Brexit-Abkommen in britisches Recht übertragen sollte, im Herbst gestoppt. Er wollte nicht hinnehmen, dass die Abgeordneten den Deal verändern und beim Brexit umsteuern. Diese Gefahr ist für ihn nun gebannt. Gut möglich, dass der Premier das Abkommen noch vor Weihnachten durchs Parlament peitscht. Der neue Austrittstermin wurde auf den 31. Januar festgelegt - es ist jetzt sehr wahrscheinlich, dass die Briten dann tatsächlich die EU verlassen.

Die Frage ist, wie es danach weitergeht. Johnson wird schnellstmöglich mit Brüssel ein Freihandelsabkommen vereinbaren wollen. Es ist jedoch auch nicht ausgeschlossen, dass er sich fortan wieder moderater präsentiert. Denn nach dieser Wahl muss er weniger Rücksicht nehmen - auch nicht auf den rechtskonservativen Hardliner-Flügel seiner Partei.

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Foto: Isabel Infantes/ AFP

Lehre 3: Das Ende der Corbyn-Ära

2017 war er noch der große Held, Hoffnungsträger einer linken Massenbewegung - jetzt naht das Ende für Jeremy Corbyn an der Labourspitze. In der Nacht erklärte er, die Partei in keine weitere Wahl führen zu wollen. Alles Weitere werde man nun klären.

Damit ist klar: Eines der denkwürdigsten Kapitel in der jüngeren Labour-Geschichte ist vorbei. Corbyn hatte in der Partei für eine Linkswende und eine Abkehr von der wirtschaftsliberalen Linie der Blair-Jahre gesorgt. Zugleich sind unter ihm Tausende Linksaktivisten in die Partei geströmt - und haben das Gesicht der Basis verändert.

Allerdings stand Corbyn auch für einen Schlingerkurs beim Brexit, der ihm Konkurrenz gleich auf zwei Seiten bescherte: Den Proeuropäern machten Liberale und Grüne konsequentere Angebote, während Labour vor allem in seinen traditionellen Arbeiterhochburgen, in denen es besonders viele Brexit-Befürworter gibt, Wähler an Johnsons Tories verlor. Zu all dem kam das Dauerthema Antisemitismus, das der Oppositionsführer in seiner Partei nie in den Griff bekam. Labour kassiert jetzt das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten.

Corbyn ist für Labour zum Problem geworden, auch weil sich fast die versammelte britische Presse regelrecht auf den Altlinken eingeschossen hat. Mit einem anderen, weniger polarisierenden Kandidaten, glauben viele Parteimitglieder, hätte man Johnson schlagen können. Labour steht nun ein Machtkampf bevor. Und die Frage, welche Richtung die Partei künftig einschlägt, ist wieder offen.

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Foto: Andy Buchanan/ AFP

Lehre 4: Die Einheit des Königreichs bröckelt

Neben den Tories gibt es einen zweiten großen Gewinner bei dieser Wahl: die schottische SNP. Die schottischen Separatisten, klare Brexit-Gegner, holen voraussichtlich einen Großteil der 59 Sitze im Norden. Damit dürften ihre Rufe nach einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum in Zukunft wieder deutlich lauter werden. Scharfe Konflikte mit London sind programmiert. Denn um eine solche Volksabstimmung abzuhalten, benötigt Edinburgh die Zustimmung der Regierung in Westminster. Die Tories aber lehnen ein Referendum vehement ab.

Doch auch in Nordirland verschieben sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der Separatisten. Die probritischen Nationalkonservativen von der DUP verlieren wohl mehrere Sitze an Politiker, die für eine Vereinigung des Landes mit Irland eintreten. Besonders schmerzhaft für Johnsons bisherigen Partner: Nigel Dodds, Parteivize und DUP-Chef im Unterhaus, scheitert in seinem Wahlkreis.

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