Wahlen in der Schweiz Die Heulsusentruppe
Zürich - Man mag von der Schweizerischen Volkspartei vieles halten. Aber eins ist sie sicherlich nicht: eine Verliererpartei. Am Sonntag werden die Rechtskonservativen den Sieg in der Schweiz davontragen. Und zwar verdient. Trotz der unappetitlichen Schafskampagne. Weil sie nämlich härter, cleverer und unverschämter gekämpft haben.
Weil ihre Gegner ein Haufen Heulsusen sind, die ihre eigenen Themen nicht durchsetzen konnten und stattdessen nur über den schlechten Stil der SVP klagten. Ihnen fehlen die Köpfe, das strategische Denken und das Geld, um der SVP das Wasser zu reichen. Trotzdem ist kein triumphaler Wahlsieg zu erwarten. Am seit Jahrzehnten bestehenden Kräfteverhältnis von Links und Rechts wird sich kaum etwas ändern: Damit war, ist und bleibt die Schweiz bürgerlich.
Wie bei den Wahlen vor vier Jahren hat die SVP ihre Gegner - die sie als "Linke und Nette" verhöhnt - an die Wand gespielt. Das lässt sich anhand der laufenden Volksinitiativen veranschaulichen. Solche Referenden dienen den Parteien traditionell als wichtiges Wahlkampfvehikel, um ihre Anhänger zu mobilisieren sowie Medienpräsenz zu markieren. Während es die Ausländer-Ausschaffungsinitiative mit dem berühmt berüchtigten schwarzen Schaf bis auf die Titelseite der "New York Times" schaffte, vermeldete die Schweizer Presse die kürzlich zu Stande gekommene Steuerinitiative der Sozialdemokraten in den Kurznachrichtenspalten.
Dabei ist der Einsatz gegen den ausufernden Steuerwettbewerb "ein sehr zentrales Projekt", wie die Genossen selbst sagen. Die SP hoffe, dass sich "die Stimmbürger in den letzten Tagen vor den Wahlen noch einmal mit den wahrhaften Problemen beschäftigen" würden, lamentierte der desillusionierte SP-Boss Hans-Jürg Fehr. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und der Chef der wirtschaftsnahen FDP, der Tessiner Dottore Fulvio Pelli, jammerte während einer Podiumsdiskussion am Mittwoch: "Es ist einmal mehr gelungen, nicht über politische Inhalte zu reden. Niemand hat darüber gesprochen, welche Wirtschaftspolitik die Schweiz will. Das interessiert niemanden." Eine Bankrotterklärung.
Natürlich, der SVP stand im Wahlkampf am meisten Geld zur Verfügung. Hans Hirter, Politikwissenschaftler an der Universität Bern, schätzt das Budget so groß ein wie diejenigen der CVP, FDP und SP zusammen. So etwas hat man in der Schweiz bisher noch nicht erlebt. "Damit konnte die SVP blitzschnell und flächendeckend auf die Vorwürfe der Gegner reagieren." 40 Prozent aller in der Schweiz geklebten Plakate sollen von der SVP stammen. Vor "Blocher stärken! SVP wählen!" und den schwarzen Schafen gab es kein Entrinnen. Wo die vielen Millionen Franken herkommen, darüber schweigt sich die SVP aus.
Auch inhaltlich hatte die Konkurrenz wenig zu melden. "Hilflose Freisinnige, verzagte Sozialdemokraten", schrieb der linksliberale Zürcher "Tages-Anzeiger". Offenbar stirbt man links von der SVP lieber in Schönheit, als den Rechtsaußen Paroli zu bieten. Dabei müssten Genossen, Christdemokraten und Freisinnige längst wissen, wie der SVP-Hase läuft.
Die "Schon-gut-aber-Partei"
Parteipräsident Ueli Maurer ist neben Bundesrat Christoph Blocher der zweite starke Mann der SVP. Der 56-jährige Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbandes hat bereits vor vier Jahren der "Weltwoche" das Erfolgsrezept verraten: "Wenn ich von steigender Kriminalität rede, gähnen die Journalisten. Red ich dagegen von 'verstärkter Ausländerkriminalität', hören sie plötzlich zu." Siegesgewiss und offenherzig doppelte er nach: "Solange ich Neger sage, bleibt die Kamera bei mir." Die SVP legte wie schon 1999 auch bei den Parlamentswahlen von 2003 auf Kosten der kränkelnden Mitte-Parteien zu und brachte Christoph Blocher in die Regierung.
In Zürich werben die Sozialdemokraten mit lieblichen Slogans wie "Rot macht die Schweiz erst vollkommen". Eine junge Reporterin der "Tages-Anzeiger"-Beilage "Das Magazin" half einige Tage bei einer Standaktion der SP mit. Enttäuscht zog sie im Artikel das Fazit, die SP sei "die Schon-gut-aber-Partei".
Gut, weil sie den Reichen das Leben nicht leichter und den Armen nicht schwerer macht, weil sie nicht gemein zu Ausländern ist, die Umwelt nicht kaputt macht, sich für mehr Krippenplätze und eine weltoffene Schweiz einsetzt. Aber auch ein "lascher, weinerlicher, blutleerer Siffverein ist, der einfach den Finger nicht raus bringt". Kein Wunder, dass die Genossen entsetzt die Augen verdrehten, als die Journalistin vorschlug, einen Fahrradsattel-Regenschutz mit dem Gesicht von Blocher, dem Satz "SVP My Ass!" und dem SP-Logo drauf, zu lancieren. Blochers Abwahl zu fordern, hat sich hingegen als Schuss nach hinten herausgestellt. Es hat die SVP nur gestärkt.
SVP-Strategie: Bei der Ausländerkriminalität dranbleiben!
Bei soviel Gutmenschentum erstaunt es nicht, dass die SP ein im internationalen Vergleich zwar kleines, aber offensichtliches Ausländerproblem lange nicht wahrhaben wollte. In den fünfziger Jahren begann die Schweiz genauso wie Deutschland bewusst schlecht ausgebildete, billige Ausländer ins Land zu holen. "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen", sagte der Schweizer Schriftsteller Max Frisch über die Gastarbeiter. Das klappte lange gar nicht schlecht. Italiener, Jugoslawen, Spanier und Portugiesen lebten sich gut ein.
Anders verlief es mit der zweiten Einwanderungs- und Flüchtlingswelle aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Balkan in den neunziger Jahren. Die jungen Serben, Mazedonier, Montenegriner und Kosovo-Albaner prägen zurzeit das Bild vieler Schweizer vom hässlichen Ausländer: gewalttätige Machos, die sich gerne mit getunten BMWs Rennen liefern. Ihr Ruf ist so schlecht, dass "Das Magazin" letzthin mit der Titelgeschichte "Die guten Albaner" gegenzusteuern versuchte.
Doch die Gegenpropaganda ist einfach zu groß. Jeder Zeitungsbericht über prügelnde, vergewaltigende und rasende Jugendliche aus dem Balkan ist beste Werbung für die SVP. Kein Wunder, dass sie die Partei im Kanton Solothurn diese Woche eine Volksinitiative gestartet hat, die die konsequente Bekanntgabe der Nationalität von Tätern in Polizeimeldungen verlangt.
Angst vor Ausländerkriminalität
Ein Blick auf die Sorgenskala der mit über einer Million Lesern größten Schweizer Tageszeitung, dem Gratisblatt "20 Minuten", bestätigt die langjährige Strategie der SVP: Bei der Ausländerkriminalität dranbleiben! Dort gaben junge Leser und Leserinnen an, am meisten Angst vor Kriminalität und Gewalt im Alltag zu haben. Ihr subjektiver Eindruck, genährt von Erfahrungen aus Schule und Freizeit, wird vom renommierten Kriminologen Martin Killias bestätigt. Er stellt "eine starke Zunahme der Jugenddelinquenz im Lauf der letzten Jahrzehnte" fest. Wobei Ausländer eindeutig überproportional dafür verantwortlich sind.
Eine Genossin hat es gewagt, die Jugendgewalt politisch unkorrekt zu thematisieren. Bei schweren Gewaltdelikten sollen Gefängnisstrafen auch für Täter unter 15 Jahren möglich sein, forderte die Zürcher SP-Ständeratskandidatin Chantal Galladé. Am Dienstag haben linksautonome Kreise die Wohnung von Galladé massiv mit Sprayereien verschmiert und die Parole "Gegen Repression und Knast" angebracht.
Allerdings macht es sich auch die SVP allzu leicht, die Ursachen für das mangelnde Sicherheitsgefühl den Gegnern in die Schuhe zu schieben. Die Schweiz hat eine der geringsten Polizeidichten Europas. Da ist der Antietatismus der SVP wenig hilfreich, wenn es darum geht mehr Polizeibeamte auf die Straße zu stellen.
Grüne Gewinner
Trotz miserablem Wahlkampf dürfte das rot-grüne Lager ironischerweise gar gestärkt aus den Wahlen hervorgehen. Dank Klimawandel und einer lahmen Links-Mitte gewinnen die Grünen wohl dazu (plus 2,6 Prozent). Der SP wird ein Rückgang von 1,6 Prozent vorausgesagt. Konsequenzen wird es keine geben. "Das ausgeprägte Mehrparteiensystem ermöglicht es der SP weiterhin, sich stärker links zu positionieren als die Sozialdemokraten in Deutschland", sagt Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz.
Opfer der zunehmenden Polarisierung dürfte einmal mehr die FDP werden. Die einst so stolzen Freisinnigen sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie gründeten 1848 im reaktionären Europa einen modernen Bundesstaat mit Gewaltentrennung und bürgerlichen Freiheiten. Darauf dominierte die FDP über 100 Jahre die Schweizer Politik. Noch 1979 war sie stärkste Partei. Heute hinkt die FDP der SVP, SP und vielleicht am Sonntag auch der CVP hinterher. "Den Freisinnigen gelang es bis heute nicht, den Schritt von einer staatstragenden Partei zu einer aggressiven Wahlkampftruppe zu vollziehen", stellt der Berner Politologe Georg Lutz fest.
Der größte Verlierer dürfte am 21. Oktober das Ansehen der Schweiz im Ausland sein. Ein Faktor, den die SVP wohl bereits unter Kollateralschäden abgebucht hat. Untergehen wird Europas Insel der Seligen aber nicht. Selbst für Schweizer Verhältnisse ist eine prognostizierte Zunahme des SVP-Stimmanteils von 26,7 auf 27,3 Prozent mickrig. "Von einem wirklichen Triumphzug der SVP könnte man erst ab einem Plus von zwei bis drei Prozent reden", so Adrian Vatter.
Die Linken werden also weiterhin etwa ein Drittel und die Bürgerlichen satte zwei Drittel Stimmanteil erhalten. So ist das in der Schweiz seit mehr als 50 Jahren. Ob die SVP ihre starke Position halten oder gar ausbauen kann, hängt davon ab, wie es weitergeht, wenn der 67-jährige Christoph Blocher einmal nicht mehr ist. Vatter schätzt, dass die SVP ohne Blocher-Effekt fünf Prozent Wahlanteil einbüßen könnte.
* Michael Soukup ist Journalist bei der in Zürich erscheinenden "SonntagsZeitung"