Wahlen in Iran Die lange Liste der Verlierer

Die iranischen Reformer kommen nicht zum Zuge, Mahmud Ahmadinedschad hat seine Macht verteidigt. Das bedeutet für US-Präsident Obama einen Rückschlag bei seiner Annäherungspolitik - und selbst Revolutionsführer Ali Chamenei stehen schwere Zeiten bevor.

Iran steht Kopf. In zahlreichen großen und kleinen Städten liefern sich Protestierende und Ordnungskräfte Straßenschlachten. Es fließt Blut, erste Todesopfer sind zu beklagen. Außerdem wurden am Samstag mehrere Oppositionspolitiker festgenommen. Darunter befinden sich auch ehemalige Regierungsmitglieder.

Das ist das vorläufige inoffizielle Endergebnis der Präsidentenwahl am letzten Freitag.

Das offizielle Resultat ist eine knappe Zweidrittelmehrheit für Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad und eine heftige Niederlage für seine drei Herausforderer.

Dieses Ergebnis spiegelt keineswegs die Stimmung der letzten Wochen zumindest in den großen Städten wider. Und es zeigt, dass es nach dieser Wahl nur Verlierer gibt.

Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass das Wahlergebnis nicht dem wahren Willen der Iraner entsprechen könnte. Wie kommt es, dass Mahdi Karrubi bei der Wahl 2005 der stärkste aller Kandidaten in den ländlichen Regionen war und diesmal gerade in den Dörfern unter ein Prozent gerutscht sein soll? Karrubi war der einzige Geistliche unter den vier Kandidaten und genießt allein deshalb schon ein hohes Ansehen in den frommen ländlichen Regionen Irans. Wieso kommt es, dass über zehn Millionen Wahlzettel zu viel gedruckt wurden? Wie kommt es, dass es dennoch nicht genug Wahlzettel für alle gab?

Laues Bündnis mit dem Volk

Diese Fragen werden wahrscheinlich niemals beantwortet werden, schon gar nicht vom Wahlleiter Sadeq Mahsuli, der gleichzeitig Innenminister im Kabinett Ahmadinedschads ist. Letzterer erklärte sich bereits in einer ausführlichen Rede zum Sieger. Fraglich bleibt indes, ob man aus dem Freudengebaren Ahmadinedschads nun einen Triumph für ihn oder gar für das gesamte Regime ableiten kann.

Natürlich haben auch die Reformer verloren. Sie haben im Vorfeld der Wahl einige Fehler gemacht. Sie haben sich sehr spät auf den Kandidaten Hossein Mussawi geeinigt und so die Möglichkeit verpasst, in die Fläche des Landes zu gehen. Sie haben ein laues Bündnis mit dem im Volk verhassten pragmatischen Konservativen Ali Akbar Haschemi Rafsandschani geschlossen, ohne dass daraus programmatische Konsequenzen sichtbar wurden. Sie haben es nicht geschafft, ein Bündnis mit dem Lager um den Parlamentspräsidenten Ali Laridschani und den beliebten Teheraner Bürgermeister Mohammed Bagher Ghalibaf zu schmieden. Dennoch haben sie für eine fulminante, noch nie da gewesene Kampagne mobilisieren können. Und nun stehen sie mit leeren Händen da. Es ist derzeit noch unklar, ob Mussawi unter Hausarrest steht oder nicht.

Barack Obama ist ein weiterer Verlierer der Wahl in Iran. Hatte der US-Präsident den Kurs der überfälligen Öffnung Iran gegenüber propagiert, muss er sich nun von den Republikanern anhören, er sei zum Stichwortgeber Ahmadinedschads geworden in seinem Wahlkampf. Der iranische Präsident erklärte in seiner Kampagne laufend, der Kurswechsel der USA sei aufgrund seiner harten Linie erfolgt. Nun muss Obama sich mit einem Ahmadinedschad auseinandersetzen, der - vor Kraft strotzend - nicht unbedingt leisere Töne anschlagen dürfte.

Damit ist eine Lösung des iranischen Atomkonflikts ebenfalls schwieriger geworden. Die Entscheidung über das iranische Atomprogramm liegt nicht beim Präsidenten, sondern beim Revolutionsführer Ali Chamenei. Doch für jede denkbare Lösung des Problems bedarf es eines Dialogs. Obama hat diesen Dialog angestoßen. Der Holocaust-Leugner und Brandstifter Ahmadinedschad aber bleibt qua personem das größte Hindernis für einen konstruktiven Dialog.

Das System hat verloren

Der Wahlkampf hatte bereits vor Wochen historische Dimensionen angenommen. Der Grad der Mobilisierung, die Härte der politischen Auseinandersetzung, die Offenheit der Debatte: Die Menschen hatten schlagartig das Gefühl, in einer bis dato unbekannten Freiheit zu leben.

Karrubi kritisierte die Diskriminierung der Bahai-Gläubigen - einer Religionsgemeinschaft, die bisher vom Regime als "israelisch-britische Spionage-Sekte" denunziert wurde. Mussawi geißelte im Staatsfernsehen die staatliche Schnüffelei und warnte vor einer Diktatur. Er bemitleidete öffentlich das iranische Volk, weil es von Ahmadinedschad regiert würde. Ahmadinedschad wiederum prangerte im Fernsehen die Korruption Rafsandschanis namentlich an, Rafsandschani beschwerte sich darüber in einem offenen Brief, der die seit Jahrzehnten eingeübten Methoden des "Zwischen-den-Zeilen-Sprechens" der Iraner ebenfalls missachtete.

Ahmadinedschad rühmte sich immer für seine "klare Sprache". Nun hatte er sie von anderen zu spüren bekommen. Und sie richtete sich weitgehend gegen ihn, ebenso wie die Mobilisierung auf den Straßen. Hunderte Menschen, in die "Mussawi-Farbe" Grün gekleidet, umzingelten das Auto des Präsidenten nach einem Wahlkampfauftritt und skandierten "Lügner, Lügner".

Das Regime hat die "Grüne Welle" unterschätzt

Diese Menschen sind nun vom Wahlergebnis, vom Wahlbetrug enttäuscht. Sie wollen ihre Stimme "wiederhaben", wie sie immer wieder auf den Straßen rufen. Es sieht so aus, als hätte das Regime die "Grüne Welle" unterschätzt, als es das offizielle Ergebnis vorbereitete.

Vielleicht dachte die Regierung, die Hunderttausende von Menschen, die seit Tagen auf den Straßen für Mussawi demonstriert haben, würden bei einer klar deklarierten Niederlage einfach frustriert nach Hause gehen. Sie sind geblieben und rufen nach der Freiheit, von der sie in den letzten Tagen schmecken konnten. "Iraner sterben lieber, als dass sie Unterdrückung hinnehmen", ist eine der häufigsten Parolen der Demonstranten seit Schließung der Wahllokale. Hoffentlich kommt es dazu nicht, auch wenn es bisher wohl mindestens einen Toten gibt.

Langfristig ist der Revolutionsführer Chamenei allerdings der größte Verlierer dieser Tage. Das Heft des Handelns liegt nun bei ihm. Gibt er den Protesten nach, hat er nicht nur sein Gesicht verloren. Dann ist auch nicht ausgeschlossen, dass er plötzlich die Revolutionswächter, die treue Garde Ahmadinedschads, gegen sich hat. Dann würde aus dem derzeitig "kalten Putsch" wohl ein ganz heißer werden, an dessen Ende nicht mehr der "Gottesstaat der Mullahs" steht, sondern die "Republik der Revolutionswächter".

Setzt Chamenei seinen bisherigen Weg fort und stützt Ahmadinedschad, dann riskiert er mehr als nur Unruhen. Auch wenn die Iraner sich von der Brutalität der Revolutionswächter oder der kettenschwingenden Motorrad-Milizen der Basidschi einschüchtern lassen und nach Hause gehen: Ein anderes politisches System wollte die Mehrheit der Iraner bisher nicht, sondern persönliche und politische Freiheiten.

Millionen von Menschen haben deshalb am Freitag Mussawi ihre Stimme gegeben. Bis dahin hatten sie sich von Ahmadinedschad nicht vertreten gefühlt. Nun wenden sie sich vom System und dessen Führer ab. In seinem offenen Brief an den Revolutionsführer hatte Rafsandschani vor einer "Beschädigung der Säulen des Regimes" gewarnt. Jetzt ist dies eingetreten.

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