Wahlen in Israel Prognosen sehen Livni knapp in Führung

Überraschung bei der Parlamentswahl in Israel: Prognosen sehen die Kadima-Partei von Außenministerin Zipi Livni knapp vor dem konservativ-rechtsnationalen Likud-Block von Benjamin Netanjahu - beide beanspruchen jetzt das Amt des Regierungschefs für sich.

Jerusalem - Die Mitte-Rechts-Partei von Zipi Livni hat ersten Nachwahlbefragungen zufolge einen leichten Vorsprung gegenüber der Likud-Block von Oppositionschef Benjamin Netanjahu, wie das israelische Fernsehen am Dienstag berichtete. Dem Sender Channel 2 zufolge kommt Livnis Kadima-Partei auf 29 Sitze in der Knesset, der Likud-Block auf 27 der insgesamt 120 Mandate.

Zipi Livni: Überraschende Siegerin bei der Wahl in Israel?

Zipi Livni: Überraschende Siegerin bei der Wahl in Israel?

Foto: AP

Die israelischen Fernsehsender Channel 1 und Channel 10 sagten 30 Mandate für Kadima voraus. Der Likud kam demnach auf 28 Sitze. Livni erklärte sich zur Wahlsiegerin. Das Volk habe ihre Partei gewählt und man werde die nächste Regierung anführen. Livni strebt laut Vertrauten eine große Koalition mit dem oppositionellen Likud-Block an, wie der israelische Online-Dienst "ynet" berichtete. "Zipi Livni ist die nächste Regierungschefin, weil Kadima gewonnen hat", sagte Dalia Jitzik, die Nummer drei der Mitte-rechts-Partei.

Auch Likud hat trotz seines knappen Rückstands bei der Parlamentswahl das Amt des Regierungschefs für sich beansprucht. Netanjahu werde der nächste Ministerpräsident, erklärte die Partei am Dienstagabend. Das "nationale Lager" habe gewonnen.

Netanjahu könnte mit Unterstützung von Parteien aus dem extrem rechten Spektrum und religiösen Gruppierungen auf eine Mehrheit von 63 der insgesamt 120 Abgeordneten im Parlament kommen.

Das israelische Wahlsystem sieht vor, dass nicht unbedingt die stärkste Fraktion, sondern der Kandidat mit der Regierungsbildung beauftragt wird, der nach Ansicht des Staatschefs die besten Aussichten auf eine Mehrheit in der Knesset hat.

Beim Likud-Block herrschte am Dienstagabend für einige Minuten Stille, als die Anhänger von Netanjahu im Messezentrum von Tel Aviv die ersten Prognosen auf den Bildschirmen sahen. Erst dann folgten "Bibi, Bibi"-Rufe - so wird Netanjahu wegen seines Vornamens von Freunden genannt. "Die Hochrechungen sind für uns schockierend, aber israelische Politik funktioniert in Koalitionen und der rechte Block hat weit mehr Stimmen bekommen als der linke", sagte Gideon Ariel vom Likud-Zentralkommitee SPIEGEL ONLINE. Außerdem sei die Wahl noch lange nicht entschieden, Nachwahlbefragungen seien in der Vergangenheit häufig ungenau gewesen, sagte Ariel.

Umfragen hatten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Parteien prognostiziert, nachdem der Likud-Block lange vorn gelegen hatte.

Die ultranationalistische Partei Israel Beitenu von Avigdor Lieberman kommt den Nachwahlbefragungen auf 14 bis 15 Mandate. Liebermans Partei könnte bei der Regierungsbildung zum Zünglein an der Waage werden. Die Arbeitspartei von Verteidiungsminister Ehud Barak landete laut den Prognosen mit 13 Sitzen und dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte auf Platz vier - bislang verfügte die Arbeitspartei über 19 Sitze.

Wegen der weit auseinander liegenden Positionen der Parteien vor allem in der Frage einer Friedenslösung mit den Palästinensern wird mit schwierigen Verhandlungen gerechnet, die sich über Wochen hinziehen könnten.

Sollte Livni noch am Ende der Wahlnacht die Nase vorn haben, muss Präsident Schimon Peres in der kommenden Woche nach Konsultationen mit allen Parteivorsitzenden entscheiden, ob er sie oder doch den möglichen Zweitplatzierten Netanjahu mit der Regierungsbildung beauftragt.

Die Chancen für Netanjahu stehen besser. Die ersten Prognosen bestätigten, dass es in Israel einen Rechtsruck gegeben hat. Rein rechnerisch könnte Netanjahu mit dem rechten Block aus national- religiösen, ultra-orthodoxen und ultra-rechten Parteien eine Koalition bilden.

Das Problem: Sein Handlungsspielraum wäre sehr eingeschränkt und die Gefahr der "Erpressung" durch eine der kleinere Parteien relativ hoch. Livni könnte theoretisch mit Netanjahus Likud und der Arbeitspartei von Verteidigungsminister Ehud Barak eine Koalition der nationalen Einheit bilden - falls Netanjahu will.

Die Wahlbeteiligung war trotz schlechten Wetters nicht so niedrig wie befürchtet. Wie die Wahlkommission mitteilte, gaben am Dienstag bis 20 Ortszeit (19 Uhr MEZ) 59,7 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab und damit 2,5 Prozentpunkte mehr als im März 2006 bis zur selben Uhrzeit. Bei der vergangenen Wahl war mit 63,5 Prozent Wahlbeteiligung die niedrigste Teilnahme überhaupt bei einer Parlamentswahl in Israel verzeichnet worden.

Livni hatte am Dienstag in Tel Aviv an ihre Landsleute appelliert: "Verlasst Eure Häuser, egal ob es regnet oder nicht, ob es kalt ist oder heiß, geht raus, geht ins Wahllokal, schließt die Augen und wählt." Bislang hatte Benjamin Netanjahu, Spitzenkandidat des konservativ-rechtsnationalen Likud-Blocks, in den Umfragen immer in Führung gelegen.

Netanjahu besuchte am Wahltag unter anderem die südliche Stadt Beerscheba, die unlängst von Raketen der Hamas aus dem Gaza-Streifen getroffen wurde. "Ich werde alles tun, damit unsere Feinde uns nicht länger provozieren und nicht denken, wir seien schwach angesichts ihrer Raketen", versprach er seinen potenziellen Wählern. "Sie werden wissen, dass Israel eine neue Regierung hat, einen starken Ministerpräsidenten, der jeden Angriff mit einem vernichtenden Gegenschlag beantwortet." Er spielte dabei auch auf Iran an.

Netanjahu will die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland wirtschaftlich unterstützen. Ein palästinensischer Staat hat für ihn indes keine Priorität, wohl aber ein Ausbau der jüdischen Siedlungen. Der Friedensprozess könnte in diesem Fall einen schweren Rückschlag erleiden.

Livni befürwortet dagegen einen israelischen Rückzug aus dem Westjordanland. Sie bemühte sich im Wahlkampf um das Image einer entschlossenen, vernünftigen Politikerin, die auch Härte zeigen kann wie bei der jüngsten Militäroffensive im Gaza-Streifen.

Die vorgezogene Parlamentswahl wurde notwendig, weil es Livni nach der Rücktrittsankündigung von Ministerpräsident Ehud Olmert nicht gelungen war, eine neue Regierung zu bilden. Zur Wahl standen insgesamt 33 Parteien oder politische Gruppierungen. Abstimmen konnten die 5,3 Millionen Berechtigten nach dem reinen Verhältniswahlrecht auf nationaler Ebene. Die Sperrklausel betrug lediglich zwei Prozent, so dass wieder eine starke Zersplitterung der Knesset erwartet wurde.

Parteien in Israel

hen/puz/AFP/AP/dpa
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