Wahlen in Polen "Die Stimmung kippt"

In Polen naht womöglich ein politischer Umbruch: Bei der Präsidentschaftswahl gilt plötzlich ein Rechtskonservativer als Favorit. Was ein Machtwechsel für die EU bedeuten würde? Mehr Streit, sagt eine polnische Parteienforscherin.
Präsidentschaftskandidat Duda (am Montag in Sochaczew): Wandel in Polen?

Präsidentschaftskandidat Duda (am Montag in Sochaczew): Wandel in Polen?

Foto: Tomas Gzell/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Frau Moroska-Bonkiewicz, vor ein paar Monaten kannten die wenigsten Polen Andrzej Duda, nun hat der Rechtskonservative überraschend den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl gewonnen. Warum?

Moroska-Bonkiewicz: Das liegt unter anderem am Parteiensystem in Polen, das seit Jahren zwei große Gruppierungen dominieren - die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die liberale Bürgerplattform (PO), zu der auch Staatspräsident Bronislaw Komorowski gehört. Die PO ist schon seit acht Jahren an der Macht, und offenbar haben jetzt viele Polen das Bedürfnis nach einem Machtwechsel.

SPIEGEL ONLINE: Also hatte Duda Glück, zum richtigen Zeitpunkt angetreten zu sein?

Moroska-Bonkiewicz: Vor allem profitiert er wohl davon, für die Opposition anzutreten. Außerdem gibt sich Duda moderner und offener als sein Parteichef Jaroslaw Kaczynski, daher konnten auch liberalere Schichten für den Kandidaten der Nationalkonservativen stimmen. Die PO hat in ihrem Wahlkampf deshalb auch behauptet, dass Duda als Staatspräsident nur Befehlsempfänger des deutlich radikaleren Kaczynski sein würde.

SPIEGEL ONLINE: Ist da was dran?

Moroska-Bonkiewicz: Das wird man dann sehen. Auf jeden Fall ist Duda auch selbst überzeugter PiS-Politiker und kein Liberaler, der durch Zufall in einer konservativen Partei gelandet ist.

Zur Person
Foto: Aleksandra Moroska-Bonkiewicz

Aleksandra Moroska-Bonkiewicz, 37, ist Parteienforscherin und arbeitet seit 2007 an der Universität im polnischen Breslau. Die Politologin beschäftigt sich vor allem mit Rechtsextremismus, populistischen Parteien und Euroskeptizismus.

SPIEGEL ONLINE: Im November wählt Polen ein neues Parlament - droht der regierenden PO dann auch eine Niederlage?

Moroska-Bonkiewicz: Gut möglich. Die Präsidentschaftswahl ist eine Art Probelauf und Stimmungstest - und derzeit kippt die Stimmung.

SPIEGEL ONLINE: Dabei hat die PiS im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl doch nicht einmal einen Prozentpunkt mehr erreicht als die PO…

Moroska-Bonkiewicz: Schon, aber es gab ja noch einen Überraschungskandidaten: Pawel Kukiz...

SPIEGEL ONLINE: ...der Rockmusiker, der als Protestkandidat angetreten ist und aus dem Nichts mehr als 20 Prozent der Stimmen bekommen hat.

Moroska-Bonkiewicz: Kukiz wurde vor allem von Enttäuschten und politisch Frustrierten gewählt, die so die etablierten Parteien abstrafen wollten. In der Stichwahl darf Kukiz allerdings nicht mehr antreten, und die Frage ist jetzt, wie viele seiner Anhänger dann überhaupt noch ihre Stimme abgeben. Weil Kukiz für eine grundlegende Reform des politischen Systems angetreten ist, hat Duda als Oppositionskandidat größere Chancen, viele Stimmen dieser Protestwähler zu bekommen.

Protestpolitiker Kukiz am Wahlsonntag: 20 Prozent, null Inhalt

Protestpolitiker Kukiz am Wahlsonntag: 20 Prozent, null Inhalt

Foto: Maciej Kulczynski/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Also hat Duda die Präsidentschaft fast schon gewonnen?

Moroska-Bonkiewicz: So klar ist das nicht, denn es gibt noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor: Die Wahlbeteiligung lag beim ersten Wahlgang bei nicht einmal 49 Prozent. Einige Beobachter glauben, dass viele Komorowski-Anhänger erst bei der Stichwahl am 24. Mai ihre Stimme abgeben werden. Dann könnte es also noch eine große Überraschung geben.

SPIEGEL ONLINE: Was würde ein Wahlsieg Dudas und der PiS für die polnische Haltung gegenüber der EU bedeuten?

Moroska-Bonkiewicz: In den vergangenen Jahren hat die PiS ihre Europapolitik von ihrer Machtposition abhängig gemacht: In der Opposition gibt sich die PiS eher europakritisch, in der Regierung hat sie aber auch selbst an EU-Verträgen mitverhandelt. Grundsätzlich will die Partei Polen in der EU halten, fordert aber eine starke Position des Nationalstaats gegenüber Brüssel.

SPIEGEL ONLINE: Droht dann unter einem Staatschef Duda Streit mit der Europäischen Union?

Moroska-Bonkiewicz: Das könnte sein. Die PiS lehnt eine tiefere Integration der EU ab und will nicht noch mehr Bürokratie aus Brüssel vorgesetzt bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Die PO will den Zloty durch den Euro ersetzen, was hält Duda von diesem Plan?

Moroska-Bonkiewicz: Im Moment ist er dagegen. Im Wahlkampf hat er in einem TV-Spot gefordert, dass polnische Arbeitnehmer so viel verdienen müssten wie Westeuropäer - erst dann sei ein Euro-Beitritt möglich.

SPIEGEL ONLINE: Wie stehen Duda und seine Partei der deutschen Regierung gegenüber?

Moroska-Bonkiewicz: Als Donald Tusk noch Premier war, wirkten er und Angela Merkel wie Freunde. Das wäre bei Duda und Merkel sicherlich nicht so. Die Beziehungen zwischen Berlin und Warschau würden wahrscheinlich distanzierter werden. Im Wahlkampf hat das zwar kaum eine Rolle gespielt, aber die PiS wirft der PO seit Langem vor, Deutschland gegenüber eine klientilistische, manchmal unterwürfige Politik zu betrieben. Wenn Duda Präsident wird und die PiS im Herbst die Parlamentswahlen gewinnt, würde Polen gegenüber Berlin mit Sicherheit viel fordernder auftreten als bislang.

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