Wahlerfolg des Front national Frankreichs Rechte plant die blaue Revolution

Das Bürgertum wählt sie aus Protest, die Verlierer der Wirtschaftskrise aus Frust: Frankreichs extreme Rechte unter Chefin Marine Le Pen greift die zerstrittene Regierung Sarkozy an. Nach dem Erfolg bei den Regionalwahlen plant der Front national den Einzug in den Präsidentenpalast.
Front-national-Chefin Le Pen: "Tür zum Wechsel aufgestoßen"

Front-national-Chefin Le Pen: "Tür zum Wechsel aufgestoßen"

Foto: JEAN-FRANCOIS MONIER/ AFP

Die Stimmen waren noch nicht ausgezählt, da wusste Marine Le Pen, bereits, wie sie die politische Landschaft in Frankreich aufgemischt hatte. "Am Montag machen wir uns auf den Weg zum Präsidentenwahlkampf", jubelte die Chefin des rechtsextremen Front national (FN) nach dem Erfolg bei den Kantonalwahlen am Sonntag. Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik schaffte ihre Partei in zwei Bezirksparlamenten den Durchbruch.

Tatsächlich belegt das Ergebnis zwei Trends. Die rechtsextreme Formation etabliert sich trotz des verpassten Erfolgs in angepeilten zehn Kantonen als Alternative zur schwächelnden Regierungspartei UMP.

Und, noch wichtiger: Marine Le Pen, Tochter von Parteigründer Jean-Marie, wird für die Präsidentschaftswahlen 2012 zur ernstzunehmenden Konkurrentin von Nicolas Sarkozy. Eine Erhebung vom Wochenende sieht die FN-Chefin beim Rennen um den Einzug in den Élysée 2012 in einer Spitzenposition - und Sarkozy schon als Verlierer.

Natürlich war die Wahl in erster Linie eine lokale Entscheidung, geprägt von einer Rekordenthaltung wie bereits in der Vorwoche. Nur gut 45 Prozent der Franzosen stimmten bei der Stichwahl in 1566 Kantonen ab. Nach der zweiten Runde in den Unterbezirken der 101 Departements (mit Ausnahme von Paris) kam die Sozialistische Partei (PS) auf fast 36 Prozent. Die Grünen konnten ihre Zahl lokaler Vertreter fast verdoppeln, die Regierungspartei UMP enttäuschte mit gut 20 Prozent, der Front national kam auf fast 11,6 Prozent. Blickt man jedoch nur auf die knapp 400 Wahlkreise, in denen der FN angetreten war, kommt die Partei auf im Schnitt bis zu 40 Prozent.

FN plant die "Revolution in Marine-blau"

Entsprechend groß war der Jubel im FN-Parteibüro von Seine Saint Denis: "Die Franzosen haben eine Tür zum Wechsel aufgestoßen", sagte Marine Le Pen vor begeisterten Anhängern über den "spektakulären Fortschritt" ihrer Kandidaten. "Wir stehen vor einer politischen, pazifistischen und demokratischen Revolution", so die FN-Frau und wähnte Frankreich für die Präsidentenwahl 2012 vor einer bevorstehenden "Revolution in Marine-blau".

13 Monate vor der Entscheidung im nächsten Jahr geriet der letzte landesweite Urnengang zur Testwahl von nationaler Bedeutung: Nach dem spektakulären Erfolg der Rechten im ersten Wahlgang, ist der Front national endgültig zur Alternative im konservativen Spektrum aufgerückt, wenn auch meist als Protestpartei.

Marine Le Pen, die die national-antisemitische Partei mit einem weichgespülten Kurs wider Immigration und Islamismus in Stellung gebracht hat, ist damit gelungen, was Vater Jean-Marie nie vermochte. Mit ihrer Betonung von republikanischen Werten konnte sie die einst verteufelten Rechtsextremen im wertkonservativen Bürgertum verankern.

Doch damit nicht genug: Trotz eines verschwurbelten Wirtschaftsprogramms - wider den Euro und für Protektionismus - hat sie den FN auch bei den sozial benachteiligten Verlieren der Wirtschaftskrise salonfähig gemacht.

Sarkozys Verlegenheitskurs kostet Stimmen

Mitschuld am laut ihrem Sprecher "enttäuschenden Abschneiden" der Regierung ist vor allem Nicolas Sarkozy und seine Partei. Der Präsident hatte mit inhaltlichen Anleihen an der FN-Rhetorik die Propaganda der Rechtsextremen erst richtig populär gemacht, während sich die UMP vor der Stichwahl in bitteren Grabenkämpfen zerstritt.

Dabei ging es vor allem um die Frage, wie man der Herausforderung durch die extreme Rechte begegnen sollte: Durch Abwesenheit an der Urne, Stimmenthaltung oder gar durch eine Wahlempfehlung für einen - womöglich linken Gegenkandidaten - der Opposition?

In dem Dilemma entschied sich Sarkozy für einen Verlegenheitskurs - keine Stimme für den Front national, keine Stimme für die Opposition. Damit stieß er nicht nur in seiner eigenen Partei auf Widerstand. Auch im Kabinett löste er einen Aufstand aus. Sogar Ministerpräsident Francois Fillon stellte sich gegen Sarkozy. Vor die Entscheidung zwischen den Rechtsextremen und linker Opposition gestellt, sollten die UMP-Anhänger "gegen den FN stimmen".

Der populäre Premier ruderte zwar rasch zurück, doch die "katastrophale Fehlentscheidung" schlug Wellen. Sarkozy gab sich vergrätzt ("Ein Minister hat keine persönliche Meinung"), Parteichef Jean-Francois Copé kommentierte das PR-Desaster ungewöhnlich derb: "Wir stecken in der Scheiße."

"Wirtschaftliche Sorgen sind die Motivation der Wähler"

Für die Opposition bot diese Polemik zwar vorübergehend Anlass zu Häme. PS-Größen diagnostizierten eine drohende "Krise des Regimes" oder gar eine "Explosion der Rechten und eine Selbstzerstörung der Regierung". Doch in Wahrheit muss sich auch die stärkste Oppositionspartei Sorgen über die Abwanderung ihrer Traditionswähler machen.

"In den Analysen wird die Wählerwanderung von der UMP zum Front national unterstrichen", so der Demograf Emmanuel Todd im Internetdienst des Magazins "Marianne", "betont werden gesetzte Themen wie Immigration, Islam, Sicherheit und nationale Identität." Tatsächlich aber bestimmten längst die wirtschaftlichen Sorgen die Motivation der Wähler, so der Analyst. "In der Arbeiterklasse hat der Front national den alten Höchststand von 30 Prozent überschritten und nähert sich den 40 Prozent."

Die Sozialisten seien unfähig wirklich und dauerhaft von der Anti-Sarkozy-Stimmung zu profitieren, klagte auch PS-Senator Gérard Colomb. Der Bürger von Lyon selbstkritisch: "Wir müssen gegenüber dem Front national die richtigen Antworten finden - etwa beim Thema Immigration."

PS-Generalsekretärin Martine Aubry freut sich derweil über den "Sieg ihrer Partei", die in mehr als 60 Departements regieren wird, und warnt zugleich vor der Gefahr der Rechtsextremen. In einem Punkt freilich stimmt Aubry mit der FN-Spitzenfrau Le Pen überein: "Der Wahlkampf für 2012 beginnt am Montag."

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