Wahlkampfendspurt in Frankreich Briefträger der Revolution
Charmant, bescheiden, wortgewandt: Olivier Besancenot, erscheint als Präsidentschaftskandidat, den sich jede französische Mutter als Schwiegersohn wünschen würde. Eine sympathische Erscheinung, Jeans und schwarzes T-Shirt, bescheiden im Auftritt nichts lässt vermuten, dass der schlaksige 33-Jährige die "Revolutionäre Kommunistische Liga" (LCR) führt.
Doch Besancenot bringt im Grand Palais des nordfranzösischen Lille rund 2000 Zuhörer auf die Beine: Jugendliche überwiegend, Studenten mit Palästinensertuch, aber auch ergraute Genossen, die darauf hoffen, dass ihr jugendlicher Parteichef die LCR auf Dauer vom Geruch einer sektiererischen Randgruppe befreit. Und tatsächlich: Aus seinem Mund hören sich selbst antikapitalistische Parolen wie bürgerliche Argumente an: "Unsere Kaufkraft sinkt, derweil die Profite explodieren, wann kommt die gerechte Aufteilung der Reichtümer?" Oder: "Die Herren der Welt bluten die Dritte Welt aus. Wann gibt es eine Welt ohne Krieg und Armut?"
Wo die Spitzenkandidaten Nicolas Sarkozy von der konservativen UMP oder Sozialistin Ségolène Royal zehn Tage vor dem ersten Wahlgang - mit Routine und Riesenaufwand ihre Wahlauftritte abhaken, immer fest im Griff von Werbeberatern und Kommunikationsstrategen, überzeugt Besancenot durch beinahe naiv wirkende Ernsthaftigkeit. Das liegt zum einen an der politischen Außenseiterrolle, außerdem decken sich bei dem Trotzkisten die Überzeugungen mit der eigenen Vita.
Rebellischer Briefträger
Denn Rebell Besancenot ist von Beruf Briefträger. Ein Zusteller, der in Neuilly-sur-Seine Post und Päckchen verteilt. "Er verkörpert aufs Beste die Vorstellung, die sich die Bürger von einem Revolutionär des 21. Jahrhunderts machen", beschreibt Essayist Alain Duhamel das Phänomen. "Selbst seine ärgsten Feinde aus dem bürgerlichen Lager würden sich nicht scheuen ihn beim Auto-Stopp mitzunehmen."
Der Jacques Tatti des sozialen Umsturzes war schon mit 15 Jahren in der Jugendorganisation der LCR, studierte Geschichte, wollte aber an der Basis bleiben und entschied sich für die Laufbahn bei der Post Berufsverbot gibt es in Frankreich nicht einmal für Kommunisten aus dem linken Spektrum. Seine Sporen in der Partei verdiente er sich als Assistent des legendären LCR-Chefs und Europaabgeordneten Alain Krivine, mit 28 Jahren wird er dessen Nachfolger als Spitzenkandidat und erhält 2002 das Ergebnis von 4,25 Prozent der Stimmen.
Auch in diesem Jahr stehen die Zeichen nicht auf Sieg, auch wenn Besancenot als einziger aus dem Lager der Linksaußen die Fünf-Prozent-Marke streift. Denn seine LCR ist nur eine von gleich drei konkurrierenden trotzkistischen Organisationen, die mit einem eigenen Kandidaten in den ersten Wahlgang ziehen auch das eine französische Ausnahme, die weltweit einzig ist. Neben Besancenot, geht Gerard Schivardi, 56, für die "Partei der Arbeiter" (PT) ins Rennen, während Arlette Laguillier, 67, nach sechs Präsidentschaftskandidaturen seit 1974 in diesem Jahr zum letzten Mal antritt.
Die revolutionären Ableger gehen allesamt auf eine Parteigründung des russischen Kommunisten Leon Trotzki zurück, der nach seiner Flucht aus der Sowjetunion 1929 in Paris vorübergehend Zuflucht fand. Die Eifersucht der K-Gruppen, die auf Jahrzehnte alte ideologische Grabenkämpfe zurückgehen, haben nicht nur verhindert, dass sich die "wahre Linke" zu einem schlagkräftigen Bündnis vereint; erst recht misslang der Brückenschlag zu den Kommunisten, den Globalisierungsgegnern oder den Grünen.
Die Folge: Zusammen bringt es der links-alternative Parteienhaufen, so derzeitige Umfragen, auf maximal elf Prozent. Nicht einmal für einen einzigen Kandidaten genug aber genug, um PS-Star Ségolène Royal das Fürchten zu lernen. Die Prozentpunkte könnten der Sozialistin fehlen, wenn Frankreichs Wähler am 22. April entscheiden, wer in den entscheidenden zweiten Wahlgang einzieht.
Ist die Stimme für den Revolutionär damit verschenkt?
Auf der rot ausgestrahlten Bühne von Lille, wo Besancenot wie einer seiner aufgekratzten jugendlichen Zuhörer, wirkt, warnt der LCR-Chef vor derartiger Wahlarithmetik. "Ich höre das Argument immer wieder", sagt er und wettert mit Nachdruck gegen die "Gefahr" eines Präsidenten Nicolas Sarkozy. "Aber man wählt nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen."
Und an die appelliert er weitgehend ohne ideologischen Schlagwort-Ballast: Eine Solidaritätsadresse nach Algerien, wo ein Anschlag Tote und Verwundete gekostet hat, dann eine Bemerkung über die "unterdrückten Palästinenser" in Nahost und Kritik gegen den Krieg in Irak. Kern seiner Rede, mit Witz und Verve, sind die sozialen Themen: Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und "eine Globalisierung, die unsere Regionen und Vorstädte zu tickenden Zeitbomben macht." Unter viel Beifall fordert Besancenot unbefristete Arbeitsverträge für Berufsanfänger und eine Erhöhung des Mindestlohnes um monatlich 300 Euro: "Und zwar netto, weil auch eure Bäckerin die Baguette nicht in brutto, sondern in netto berechnet.
Der LCR-Mann will nicht nur ein Programm für sozialen Wohnungsbau, sondern auch die Beschlagnahme von leerstehenden Immobililen, er fordert kostenfreien öffentlichen Nahverkehr, schimpft auf genmanipuliertes Saatgut und fordert den Aufstand gegen die Nahrungsmittelmultis, "die nicht in unseren Feldern und nicht in unseren Esstellern bestimmen dürfen, was Gesetz ist." Vor allem aber verlangt er nach einer neuen Solidarität der Arbeitnehmer, die wie Zitronen ausgequetscht und wie Kleenex-Tücher weggeworfen werden. "Wir brauchen einen zweiten Mai 1968", sagt er unter Berufung auf die historische Auflehnung der Studenten und Arbeiter, "wir schaffen es nur durch den gemeinsamen Kampf."
Hier sieht Besancenot den Platz für seine Partei erst recht nach den Präsidentenschaftswahlen: An der Seite von Immigranten und ausgegrenzten Jugendlichen, bei sozial engagierten Basisgruppen. Er verwehrt sich gegen den Vorwurf der Utopie und tritt ein für einen "wahren Bruch": Politiker ohne Mehrfachmandate, bezahlt nach Durchschnittslohn und ein landesweites Verhältniswahlrecht. Das klingt in Frankreich schon fast revolutionär.
Deshalb grenzt sich nicht nur Rechts ab, sondern rügt vor allem die Sozialisten und deren Spitzenkandidatin. "Was soll die Patriotismusdebatte der PS, die die Marseillaise als Endlosschleife abspielen, aber darüber das Tabu-Thema Immigration vergessen, weil sie befürchten man würde damit im Wahlkampf keine Stimmen machen."
Bei der LCR-Versammlung wird am Ende der Versammlung die Internationale gesungen, Besancenot und die Genossen heben die geballten Fäuste. Erst schleppend, dann lauter und beim Refrain schon beinahe bewegend, erklingt die Hymne der Arbeiterklasse. Gut organisiert: Für alle Fälle hatten die Trotzkisten vorher Noten und Text verteilt.