Warnung an Soldaten Israel rüstet sich gegen Anklagen wegen Gaza-Krieg

Israels hartes Vorgehen im Gaza-Krieg provoziert Menschenrechtler zu Anzeigen wegen Kriegsverbrechen. Die Regierung warnt jetzt Soldaten vor Reisen in viele Länder Europas, weil sie dort Anklagen fürchtet - und verspricht schon Rechtsbeistand.

"Wanted" steht fett auf der Internet-Seite:  "Gesucht wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Daneben prangt ein Foto des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak.

In drei Absätzen beschreiben die Betreiber der Seite, weshalb Barak ihrer Ansicht nach vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag gehört: Er sei verantwortlich für Kollektivstrafen gegen das Volk von Gaza, er habe im Gaza-Krieg die Luftangriffe auf dicht besiedelte Gebiete in dem Küstenstreifen befohlen. Es folgt eine maliziöse Beschreibung von Baraks Aussehen, dann die volle Adresse der Ankläger in den Niederlanden. Unten auf der Seite zu sehen: 14 weitere Israelis, die laut den Seitenbetreibern vor Gericht gehören.

Die Internet-Seite, die durch ein prominent plaziertes Uno-Emblem offiziell wirken soll, scheint in Israel programmiert worden zu sein. Das Original ist auf Hebräisch geschrieben, auch die Adresse weist auf eine israelische Herkunft hin.

Wer immer auch hinter dem digitalen Steckbrief stecken mag, er greift sehr weit vor. Denn auch wenn es schon während des dreiwöchigen Krieges im Gaza-Streifen den Verdacht gab, Israels Führung und die Soldaten könnten Kriegsverbrechen verübt haben: Bis entsprechende Untersuchungen abgeschlossen sind, bis es im Zweifelsfall zu Anklagen und echten Steckbriefen kommen könnte, wird es noch lange dauern.

Dass Jerusalem trotzdem nervös ist, zeigt ein Gesetz, mit dem sich die Regierung schon jetzt vorsorglich vor ihre Streitkräfte (IDF) stellt. Am Sonntag beschloss das Kabinett, IDF-Offiziere finanziell und rechtlich zu unterstützen, sollten sie sich in der Zukunft vor Gericht wiederfinden. "Die Kommandeure und Soldaten, die nach Gaza geschickt wurden, müssen wissen, dass sie vor diversen Tribunalen sicher sind", sagte Ministerpräsident Ehud Olmert über die Vorsichtsmaßnahme.

Warnung vor Reisen in bestimmte Länder

Der Kabinettsbeschluss trägt den Namen "Stärkung der Hand der IDF nach der Operation Gegossenes Blei". Alle Soldaten, deren voller Name im Zusammenhang mit der drei Wochen dauernden Offensive in den Medien genannt worden ist, sollen sich demnach an einen Rechtsberater wenden. Dieser werde sie über mögliche Anzeigen auf dem Laufenden halten. Den Betroffenen wird außerdem empfohlen, bis auf weiteres nicht in Länder zu reisen, in denen die Rechtslage eine individuelle Klage gegen israelische Armeeangehörige möglich macht. Dazu gehören Großbritannien, Frankreich, Belgien, Spanien und skandinavische Länder. Wenn Reisen in solche Länder unumgänglich seien, sollen sich die Betroffenen im Vorhinein an die israelische Botschaft vor Ort wenden - diese würde dann klären, ob Anzeigen gegen sie vorliegen.

Nahost-Konflikt

Sowohl im israelischen Verteidigungs- als auch Justizministerium wuchs in den vergangenen Tagen die Sorge, Menschenrechtsgruppen oder Staaten könnten Ernst machen mit ihrer Drohung, israelische Uniformträger zur Rechenschaft zu ziehen. Die israelischen Medien trugen zur allgemeinen Verunsicherung bei: Sie bemühten Dutzende Rechtsgelehrte, um die Auswirkung möglicher juristischer Schritte zu analysieren. Zu einem einheitlichen Ergebnis kamen die Juristen nicht.

Aussagen wie die des Anwalts Avigdor Feldman gegenüber der Zeitung "Yedioth Ahronoth" schürten die Angst: Im Falle einer Klagewelle könnten Tausende Offiziere betroffen sein. "Ich würde jedem Soldaten und Offizier, der nach Großbritannien reisen will, dringend raten, es sich anders zu überlegen", sagte Feldman der Zeitung.

Die "moralischste Armee der Welt"

Die israelische Regierung reagierte empört auf die möglicherweise anstehende Kampagne. Terroristenorganisationen würden nach dem Ende des Krieges versuchen, ihre Rechnung mit Israel vor internationalen Gerichten zu begleichen, kritisierte Olmert. Verteidigungsminister Barak sagte der Truppe volle Unterstützung gegen Anschuldigungen aus dem Ausland und "Selbstgeißelungen" aus Israel zu. Die IDF sei die "moralischste Armee der Welt", sagte er.

Internationale Menschenrechtsgruppen werfen Israel vor, während seiner Offensive in Gaza zu wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen zu haben. Während des dreiwöchigen Krieges starben nach Angaben der Uno etwa 1300 Palästinenser. Dass es sich bei weit über der Hälfte der Opfer um Zivilisten handelte, bestätigt auch Israel. Israel-Kritiker hinterfragen deshalb die Verhältnismäßigkeit der Mittel, mit dem das Land den Krieg führte. Auf israelischer Seite starben 13 Menschen, drei davon waren Zivilisten.

Besonders umstritten ist der Einsatz von Phosphor-Munition. Dieses Kampfmittel darf nach internationalem Recht nur in offenem Gelände verwendet werden. Die renommierte Organisation Human Rights Watch (HRW) hat im Gaza-Streifen mit der Untersuchung der Vorwürfe begonnen, die sich über Wochen hinziehen wird.

Schon in den ersten Tagen der Mission jedoch hätten HRW-Experten eindeutige Indizien gefunden, wonach die weißen Phosphor enthaltenden Geschosse auch in dicht besiedelten Stadtteilen eingesetzt worden seien, sagte Fred Abrahams von der Menschenrechtsorganisation. Auch die von Israel eingesetzte Artillerie mit dem Kaliber 155 Millimeter sei "hoch problematisch". Deren Munition treffe nicht immer präzise, ihr Schrapnell sei auch in Entfernungen von bis zu 300 Metern potentiell tödlich.

Vorwürfe auch gegen die Hamas

Abrahams wies darauf hin, dass auch die Hamas zu kritisieren sei: Der Abschuss von Kassam-Raketen auf Zivilisten in Israel stelle eine eindeutige Verletzung der Genfer Konventionen dar.

Auch wenn es nicht dazu kommen dürfte, dass ein israelischer Militär von einem ausländischen Gericht verurteilt wird: Sollten sich die Aktivistengruppen wie angekündigt dazu entschließen, Anzeigen zu erstatten, könnte das für viele Soldaten unangenehme Folgen haben.

Das zeigt das Beispiel des Generalmajors Doron Almog. Ein britisches Gericht hatte vor Jahren einen geheimen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Vorgeworfen wurden dem ehemaligen Kommandanten über Israels Truppen im Gaza-Streifen, im Jahr 2002 die Zerstörung von 59 Häusern palästinensischer Familien in Gaza angeordnet zu haben. Nach Meinung der britischen Justiz könnte es sich dabei um ein Kriegsverbrechen handeln.

Im September 2005 landete Almog, der von der Klage nichts wusste, auf dem Londoner Flughafen. Dort wartete bereits eine Spezialeinheit von Scotland Yard auf ihn. Der Militärattaché der israelischen Botschaft ging an Bord des Fliegers und warnte Almog davor, auszusteigen, weil er sonst verhaftet würde. Die britische Polizei stürmte die Maschine nur deshalb nicht, weil sie eine Schießerei mit möglichen Bodyguards des Militärs fürchtete.

Almog flog zurück nach Israel. Zwar wurde die Anklage gegen den Generalmajor später fallengelassen. Der Fall schien vergessen - doch nun muss Israel fürchten, dass es Tausenden seiner Staatsbürger ähnlich ergehen könnte wie dem Offizier.

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