Warnung des britischen Außenministers
Kalter Krieg vor den Toren Europas
Mordanschläge durch Profikiller, hektische Verhandlungen in Hinterzimmern, die ständige Gefahr eines Atomschlags: Im Nahen Osten droht ein neuer Kalter Krieg, befürchtet Großbritanniens Außenminister William Hague. Er warnt vor einem "weltpolitischen Desaster".
Hamburg - Großbritanniens Außenminister William Hague warnt eindringlich vor einer neuen Dimension des Konflikts zwischen Iran und dem Westen: "Die Iraner sind ganz klar dabei, ihr Nuklearwaffenprogramm voranzutreiben", sagte er dem "Daily Telegraph". Wenn Teheran dabei erfolgreich wäre, "dann hätte damit die ernsthafteste Runde der Verbreitung von Nuklearwaffen seit deren Erfindung begonnen, mit all ihren destabilisierenden Konsequenzen für den Nahen Osten". Und damit auch für Europa.
Sieht man genau hin, kann man ihn schon erkennen: Der neue Kalte Krieg hat längst begonnen. Vier iranische Wissenschaftler wurden in den vergangenen Jahren umgebracht, mit Haftbomben und Kugeln, alle waren mutmaßlich an Irans Atomprogramm beteiligt, in allen Fällen fiel der Verdacht auf Israels Geheimdienst. In Indien, Georgien und Thailand wurden Anschläge auf israelische Diplomaten verübt, mutmaßlich auf Geheiß Irans - dilettantisch ausgeführt und mit bescheidenem Erfolg. Der Stuxnet-Virus war die ausgefeilteste Cyberwaffe, die die Welt bislang gesehen hat - und inzwischen bestehen kaum noch Zweifel, dass sie iranische Uranzentrifugen in der Aufbereitungsanlage in Natans zerstören sollte.
Diplomaten längst abgezogen
Iran aber hat sich von Stuxnet erholt und ist dabei, sein Atomprogramm so tief unter Felsschichten zu vergraben, dass auch US-Superbomben die Anlagen nicht mehr erreichen könnten. Irans Präsident Ahmadinedschad prahlt unverhohlen mit Fortschritten im Atomprogramm, US-Diplomaten versuchen verzweifelt, Israel von einem Militärschlag gegen Iran abzuhalten. Nun sprach Großbritanniens Außenminister im Interview aus, was viele längst denken: Es droht ein neuer Kalter Krieg, ein atomares Wettrüsten in unmittelbarer Nähe zu Europa. Mit Nuklearwaffen, die auch die britischen Inseln erreichen könnten.
Schon im November 2011 hatte Großbritannien alle seine Diplomaten aus Teheran abgezogen, nachdem die Botschaft des Landes erstürmt worden war - angeblich von aufgebrachten Bürgern. Wenige Tage nach der Erstürmung und dem Abzug der britischen Diplomaten hatte der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi gesagt: "Die Briten haben durch ihre Haltung und Gesten erst die Stimmung erzeugt, in der sich die Leute so empört haben."
"Später könnte zu spät sein"
Eine "Neuauflage des Kalten Krieges im Nahen Osten", ohne die Sicherheitsmechanismen des historischen Konfliktes zwischen Sowjet-Russland und den USA, "das wäre ein weltpolitisches Desaster", so Hague. Ein Rotes Telefon, wie es einst die US-Präsidenten mit den sowjetischen Staatschefs verband, um katastrophale Missverständnisse in letzter Minute ausräumen zu können, gibt es nicht in Tel Aviv und Teheran. Man habe Israel gedrängt, keinen Angriff gegen Iran zu starten, sagte der britische Außenminister. Das gleiche tun US-Diplomaten und Präsident Barack Obama selbst schon seit Wochen: Im Januar soll Obama in einem langen Telefonat versucht haben, Israels Premier Benjamin Netanjahu von einem Angriff auf Iran abzubringen. Damals waren die Amerikaner überzeugt, der Präsident habe Erfolg gehabt - nun aber scheint die Gewissheit wieder zu schwinden.
Israel befürchtet, dass Iran schon bald sein Atomprogramm 80 bis 90 Meter unter mehrere Granitschichten verlegen könnte. Die Atomanlage in Fordo wäre damit sogar vor den mächtigsten Bunkerbrechern sicher, die das US-Arsenal zu bieten hat. Selbst der fast 14 Tonnen schwere "Massive Ordnance Penetrator" (MOP) der Luftwaffe könnte einer 80 bis 90 Meter tief vergrabenen Anlage kaum mehr gefährlich werden. Schon im April könnte Israel womöglich einen Angriff starten, befürchten Beobachter. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak hatte für Irans Bestrebungen, sein Atomprogramm unter Felsen zu verbergen, den Begriff "zone of immunity" geprägt. Wer "später" zu einem Angriff sage, laufe Gefahr, dass "später zu spät" sein könnte, so Barak jüngst auf einer Pressekonferenz.
Atomwaffenbesitzer rund ums Mittelmeer - ein Alptraum
US-Verteidigungsminister Leon Panetta soll nach Angaben amerikanischer Zeitungen schon vor einigen Wochen erklärt haben, er sehe eine "starke Wahrscheinlichkeit" dafür, dass ein Angriff Israels auf Iran im April, Mai oder Juni erfolgen werde. Panetta wollte die Berichte weder bestätigen noch dementieren.
William Hague warnte auch davor, dass eine Nuklearbewaffnung Irans in der Region Nachahmer inspirieren könnte. "Wenn die Iraner Nuklearwaffenfähigkeit erreichen, dann werden auch andere Nationen im Nahen Osten Nuklearwaffen entwickeln wollen", sagte Hague dem "Telegraph". Ein Naher Osten, in dem sich etwa die Türkei, Syrien und Ägypten als Atomwaffenbesitzer gegenüberstehen - ein geopolitischer Alptraum.
Hague betonte im Bezug auf Iran einmal mehr, dass "alle Optionen auf dem Tisch bleiben" müssten - auch er will also ein militärisches Vorgehen gegen das Atomprogramm des Regimes von Mahmud Ahmadinedschad nicht ausschließen.
Diplomatisches Geschwafel und scharfe Schüsse in die Menge
Klar ist, dass auch der derzeitige Konflikt um Syrien die Lage in der Region weiter verschärft. Verbündete der USA und Europas wie die Türkei teilen sich dort Grenzen mit Ländern wie Syrien, das nur durch die Intervention Chinas und Russlands vor schärferen Uno-Sanktionen geschützt wird. Syriens Präsident Baschar al-Assad ist seine Rolle in dem Machtspiel zweifellos bewusst. Am Samstag sagte er nach einem Gespräch mit Chinas Außenminister: "Syrien sieht sich im Kern dem Bemühen gegenüber, es zu spalten und seine geopolitische und historische Rolle in der Region anzugreifen."
Chinas Außenminister Zhai Jun wiederum gab seiner Unterstützung für Assads Pläne Ausdruck, durch ein Verfassungsreferendum und anschließende Wahlen das Land wieder zu stabilisieren. Opposition und westliche Nationen halten diese Pläne für eine weitere zynische Finte Assads. Chinas Außenminister Jun rief beide Seiten einmal mehr dazu auf, die Gewalt einzustellen. Angesichts der Tatsache, dass syrische Truppen in Damaskus am Samstag fast zur gleichen Zeit mit scharfer Munition auf Anti-Assad Demonstranten feuerten und dabei mindestens vier Menschen verletzten, klingen solche Appelle reichlich hohl.
Seit Beginn des Konflikts sind nach Schätzungen der Opposition in Syrien mindestens 6000 Menschen getötet worden. Allein am vergangenen Donnerstag starben nach Angaben von Aktivisten 44 Menschen, die meisten davon, als Assads Truppen nahe der Oppositionshochburg Hama mit Artilleriegeschossen angriffen.
Iranische Atomanlage Natans: Die Zentrifugen wurden mit dem Stuxnet-Virus attackiert, doch Irans Atomprogramm läuft längst wieder auf Hochtouren.
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Britischer Außenminister William Hague: "Die Iraner sind ganz klar dabei, ihr Nuklearwaffenprogramm voranzutreiben"
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Massiv Ordnance Penetrator (MOP): Seit September 2011 wird die fast 14 Tonnen schwere bunkerbrechende Bombe an die US-Luftwaffe ausgeliefert.
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Iranische Atomanlage bei Ghom: 80 bis 90 Meter tief unter Felsgestein vergraben, ist sie vor Bombenangriffen effektiv geschützt.
Foto: DPA/ DigitalGlobe
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Iranische Schahab-3-Rakete: Experten glauben, dass Iran auch an Technologien arbeitet, Atomsprengköpfe für Mittelstreckenraketen zu entwickeln. Großbritanniens Außenminister Hague warnte nun vor Atomwaffen, die selbst die britischen Inseln erreichen könnten.
Foto: AP/ ISNA
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Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad in der Urananreicherungsanlage Natans: Iran hat schon jetzt genug Spaltmaterial für mehrere Atomwaffen.
Foto: REUTERS/ Presidential official website
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B-52-Bomber beim Test-Abwurf eines MOP: Die Bombe soll angeblich bis zu 60 Meter Stahlbeton durchschlagen können. Dass das wahr ist, wird von Experten allerdings bezweifelt.
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MOP-Attrappe auf der Whitman Air Force Base der US-Luftwaffe: Die in einem Berg untergebrachte iranische Atomanlage in Fordo wäre selbst mit dieser Bombe kaum zu zerstören.
Foto: dapd/ DoD/ USAF
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MOP-Test im März 2007: Kaum in Dienst gestellt, will das Pentagon den Massive Ordnance Penetrator noch einmal verstärken lassen.
Foto: Anonymous/ ASSOCIATED PRESS
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F-15-Kampfjet beim Abwurf einer GBU-28-Bombe: Die knapp 2300 Kilogramm schwere Waffe wird derzeit von der US-Luftwaffe gegen feindliche Bunker eingesetzt.
Foto: HO/ Reuters
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GBU-28 im Test: Sie kann bis zu sechs Meter Beton durchdringen - für tief in einem Berg vergrabene Anlagen viel zu wenig.
Foto: USAF
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Israelischer F-16-Kampfjet: Israel war schon zweimal mit Angriffen auf feindliche Atomreaktoren erfolgreich. 1981 wurde der irakische Reaktor Osirak zerstört, 2007 eine Atomanlage in Syrien.
Foto: ? Gil Cohen Magen / Reuters/ REUTERS
Britischer Außenminister William Hague: "Die Iraner sind ganz klar dabei, ihr Nuklearwaffenprogramm voranzutreiben"
Foto: MIKE HUTCHINGS/ REUTERS
Iranische Schahab-3-Rakete: Experten glauben, dass Iran auch an Technologien arbeitet, Atomsprengköpfe für Mittelstreckenraketen zu entwickeln. Großbritanniens Außenminister Hague warnte nun vor Atomwaffen, die selbst die britischen Inseln erreichen könnten.
Foto: AP/ ISNA
F-15-Kampfjet beim Abwurf einer GBU-28-Bombe: Die knapp 2300 Kilogramm schwere Waffe wird derzeit von der US-Luftwaffe gegen feindliche Bunker eingesetzt.
Foto: HO/ Reuters
Israelischer F-16-Kampfjet: Israel war schon zweimal mit Angriffen auf feindliche Atomreaktoren erfolgreich. 1981 wurde der irakische Reaktor Osirak zerstört, 2007 eine Atomanlage in Syrien.