

Kritik an EU-Partnern Mischt Euch ein!


Angela Merkel und die polnische Premierministerin Beata Szydlo in Warschau, 7. Februar 2017
Foto: Kacper Pempel/ REUTERSWir Europäer begehen im Umgang miteinander seit langen Jahren einen schweren Fehler: Aus irgendeinem Grund gilt es als unfein, sich bei gegebenem Anlass in die politischen Angelegenheiten unserer Nachbarn einzumischen.
Jüngstes Beispiel ist die Empörung, die Ursula von der Leyen nach einem Talkshowauftritt in Deutschland seitens des polnischen Außenministers und der PiS-nahen Medien auf sich zog.

Stephan-Götz Richter ist Direktor des Global Ideas Center und Chefredakteur des Onlinemagazins The Globalist, Berlin.
Zwar hätte unsere Verteidigungsministerin im polnischen Zusammenhang sicherlich nicht das geschichtsmächtige Wort "Widerstand" gebrauchen sollen. Doch ihre Bereitschaft, sich für die polnische Zivilgesellschaft zu verwenden, ist unbedingt zu begrüßen. Zumal sie unter Bezug auf Solidarnosc auf die historische Beispielfunktion Polens in Europa hinwies, was eigentlich jeden polnischen Patrioten sehr erfreuen sollte.
Wie sollen wir je ein demokratisches Europa schaffen, wenn wir grenzüberschreitend nicht gewillt sind, mutige Taten wie das Engagement polnischer Frauen zum Schutz von Kernrechten gutzuheißen?
Immerhin vollzieht sich in Europa ja gerade ein intensives Gefecht zwischen Nationalisten und weltoffenen Menschen. Da ist Stillschweigen und Beiseitestehen nicht angebracht.
Drängende Probleme und mangelnde Souveränität der die EU-Mitgliedsländer
Die Mitgliedsländer haben sich bisher - wohl aus falschverstandener diplomatischer Höflichkeit - viel zu viel an Souveränität zugestanden. Kritik ist gut! Und gerade über Grenzen hinweg kann sie zur Auflockerung innenpolitischer Gefechtslagen beitragen.
Wer darüber seufzt, dass die Mitgliedsländer in der Europäischen Union doch all zu viel Souveränität verlieren, der will offenbar ein Europa, in dem die Nationen nur nebeneinander her leben, ohne irgendwie voranzukommen.
Diese Kritik gilt auch für Deutschland, wo die Automobilindustrie die Bundesregierung so gut im Griff hat, dass diese regelmäßig sinnvolle europäische Regelungen für den Schutz der Umwelt und der Verbraucher zu verhindert.
Wie eine Einmischung in (vermeintlich) "innere" Angelegenheiten konstruktiv vollzogen werden kann, leben aktuell der französische Präsident Emmanuel Macron und sein Finanzminister Bruno Le Maire aktiv vor. Beide reisen auffällig häufig nach Deutschland.
Polen und Ungarn betreiben einen Kulturkampf gegen die Moderne
Le Maire sucht auch gerade während der noch laufenden Koalitionsverhandlungen unter anderem das Gespräch mit FDP-Chef Lindner. Ziel ist, einen gemeinsamen Nenner in Sachen Europa zu finden, bevor gegebenenfalls Dinge im Berliner Koalitionsvertrag festgezurrt werden, die sich dann gegenüber Frankreich alsbald als problematisch erweisen.
Nun darf man vom Modell einer bewusst betriebenen innenpolitischen Einmischung in den Partnerländern keine Wunder erwarten. Aber solange die EU nicht aufgelöst ist, müssen wir diesen Versuch ernsthaft unternehmen.
Andernfalls spielt man dem Status quo und insbesondere den retardierenden Elementen in die Hände. Die Regierungen in Polen und Ungarn etwa betreiben zuhause einen Kulturkampf gegen die Moderne und wollen keine Einmischung, dafür aber viele EU-Gelder.
Diesen Regierungen geht es nur um ihre ideologischen und sonstigen Partikularinteressen, selbst wenn ihre bornierte Haltung der Volkswirtschaft ihres Landes schadet. Das ist natürlich ihr gutes Recht - genauso wie es anderen Nationen in einem offenen Europa gestattet sein muss, in der Debatte andere Positionen einzubringen.
Zumindest hilft es den Reformkräften, wenn sich andere Länder, die mit bestimmten sachpolitischen Ansätzen erfolgversprechende Erfahrungen gemacht haben, in die Debatte von Nachbarn einmischen.
So ernst sollten wir Europäer uns untereinander nehmen.