Weihnachten auf der "Sea-Watch 3" "Wir haben versucht, es besonders zu machen"

Gerettete an Bord der "Sea-Watch 3"
Foto: Chris Grodotzki/ sea-watch.orgSPIEGEL ONLINE: Am Samstag haben Sie 32 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Was war passiert?
Hahn: Wir fuhren im Suchbereich westlich von Tripolis, ungefähr 30 Meilen von der Küste entfernt. Ein Suchflugzeug informierte uns, dass sie ein Schlauchboot mit ungefähr 30 Menschen entdeckt hätten. Wir fuhren hin, um zu schauen, ob die in Seenot waren. Der Motor funktionierte nicht mehr, außerdem roch es stark nach Benzin. In so einer Situation besteht immer die große Gefahr, dass durch eine Welle die Bodenplatte bricht. Dann klappt das Boot zusammen und es sammelt sich Wasser und Benzin darin. Die Menschen die in der Mitte sitzen, kommen nicht mehr über die Schläuche und ertrinken in diesem Gemisch aus Benzin und Wasser. Meisten sind es Frauen und Kinder, die da sitzen.

Philip Hahn, 41, Einsatzleiter. Studierte Sozialwissenschaften, arbeitet heute als Bootsbauer.
Unsere Crew hat Rettungswesten verteilt und die Menschen auf unser Boot geholt. Es sind insgesamt 32, davon vier Frauen, zwei Teenager, zwei Kleinkinder und ein Baby. Viele von ihnen sind an Bord erst mal kollabiert vor Erschöpfung. Wir haben sie mit Tee, warmer Kleidung und was zu Essen versorgt, einige wollten einfach mal umarmt werden. Gleichzeitig riefen wir unseren Flaggenstaat - die Niederlande - an sowie Malta und Italien und informierten sie über die Rettung.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem sind Sie immer noch auf dem Mittelmeer unterwegs. Warum haben Sie keinen Hafen zugeteilt bekommen?
Hahn: Italien und Malta haben gesagt, wir sollen uns an die libysche Rettungsstelle wenden. Diese wurde von Italien und anderen Ländern ausgestattet und ausgebildet. Wir haben da angerufen und Mails geschrieben, aber sie war nicht zu erreichen. Wir haben den Eindruck, dass sie von Milizen betrieben wird, die beim Menschenhandel mitverdienen. Ich glaube, dass die nicht ans Telefon gehen, weil die kein wirkliches Interesse daran haben, eine Rettungsleitstelle zu sein.
SPIEGEL ONLINE: Wie ist die Situation an Bord?
Hahn: Es geht den Menschen erst mal gut. Dazu muss man sagen, dass die letzten Tage sonnig waren - jetzt wird das Wetter aber wieder schlechter. Wir sind zwar gut ausgestattet, aber die Menschen campieren unter einer Zeltplane. Außerdem werden die Fragen der Menschen drängender, weil sie jetzt vier Tage an Bord sind.
Aber die Stimmung ist insgesamt gut. Und wir haben etwas gemacht, was wir sonst nie gemacht haben: Wir haben von unseren Gästen die Kontaktdaten ihrer Angehörigen gesammelt, und dann haben Freiwillige in Berlin diese angerufen. Die bekamen dann zu Weihnachten gesagt, dass ihre Geliebten nicht ertrunken sind, sondern bei uns in Sicherheit.
SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie Heiligabend verbracht?
Hahn: Wir haben alle gemeinsam gekocht, Reis mit Bohnen. Das gibt es jeden Tag, aber wir haben es ein bisschen aufgepimpt mit extra Gemüse und Hähnchen. Wir haben versucht, es besonders zu machen.
Ich hätte eigentlich mit meiner Familie in Frankfurt gefeiert. Das hätte aus einem gemeinsamen Essen und Bescherung bestanden und wahrscheinlich hätte meine Mutter uns noch dazu bekommen, ein Lied zu singen. Jetzt war es ein Weihnachten mit Menschen aus 17 Ländern, es wurde auf vielen verschiedenen Sprachen gesungen. Ich würde sagen: Es war ein Highlight.
SPIEGEL ONLINE: Was ist mit den Kindern?
Hahn: Ich glaube, die haben das sehr genossen. Auf dem Achterdeck, so provisorisch das auch ist, haben viele zum ersten Mal wieder die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Ohne brutale Wächter, wie in den libyschen Lagern. Stattdessen beschützt von einer Crew, die den Menschen nur das Beste wünscht.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht es jetzt weiter?
Hahn: Wir sind weiter auf der Suche nach einem Hafen, um die Menschen abzusetzen. Die Crew ist auch schon lange an Bord, teils bei schwerem Wetter. Und jetzt ist sie im Dauereinsatz mit den Gästen an Bord. Und auch die Situation der Gäste ist natürlich auch so, dass die bald von Bord wollen.
Wir wenden uns jetzt weiterhin an den niederländischen Staat, damit der einen Hafen findet, den wir anlaufen können. Wir hoffen, dass auch Deutschland mithilft. Unsere Freunde von der Organisation Seebrücke haben mittlerweile 33 Städte gefunden, die Menschen aufnehmen würden, und wir hoffen, dass die Bundesregierung da den Weg frei macht.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das Gefühl, unterstützt zu werden?
Hahn: Wenn man in die sozialen Medien guckt, dann bekommen wir da viel Zuspruch. Und ich habe das Gefühl, dass es viel mehr Menschen gibt, die wollen, dass menschlich mit Flüchtlingen umgegangen wird, als Menschen, die dagegen sind.
SPIEGEL ONLINE: Was erwarten Sie für das kommende Jahr?
Hahn: Menschen werden weiterhin fliehen aus Libyen, und wir werden weiterhin nicht zusehen, wie sie ertrinken. Deswegen gibt es für uns nur einen Weg: So viele Rettungseinsätze wie möglich fahren, um sicherzustellen, dass niemand ertrinkt.