Weltstrafgericht in Den Haag Die Unwahrheiten der Chefanklägerin

Die Affäre um dubiose Geschäftskontakte des Ex-Chefermittlers Luis Moreno Ocampo holt seine Nachfolgerin ein. Hat Fatou Bensouda gelogen, um ihr enges Verhältnis zum umstrittenen Vorgänger zu verheimlichen?
Fatou Bensouda

Fatou Bensouda

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Jerry Lampen/ dpa

Als Fatou Bensouda im September zur Uno-Generalversammlung nach New York reiste, war ihre Welt noch in Ordnung. In Gesprächen mit Staatspräsidenten, Ministern und hochrangigen Diplomaten habe sie für das Weltstrafgericht geworben, teilte die Chefanklägerin anschließend routiniert mit. "Die Aufgabe meines Amtes, die schwerwiegendsten Verbrechen zu ermitteln und zu verfolgen", habe sie "sehr deutlich gemacht".

Wenige Tage später war es mit der Ruhe vorbei. Eine Serie von Veröffentlichungen im SPIEGEL und anderen europäischen Medien des europäischen Recherchenetzwerks EIC brachte einige unangenehme Wahrheiten ans Licht. Luis Moreno Ocampo, der Vorgänger Bensoudas in Den Haag, hatte viel Geld über Briefkastenfirmen geschleust, sich im Libyenkonflikt 2011 vom Westen instrumentalisieren lassen und nach Ablauf seiner Amtszeit dubiose Beraterverträge abgeschlossen. Unter anderem arbeitete Ocampo für einen libyschen Ölmilliardär, der früher dem Gaddafi-Regime nahestand. Besonders schwer wog der Vorwurf, zwei Mitarbeiterinnen von Bensouda hätten heimlich mit Ocampo zusammengearbeitet und ihn zum Beispiel mit Insiderinformationen aus dem Gericht versorgt.

Fatou Bensouda versuchte sofort, die Affäre von sich wegzuschieben. Sie leitete eine Untersuchung gegen die beiden Mitarbeiterinnen ein und ließ über ihren Bürochef verkünden, sie habe sich seit ihrem Amtsantritt von Ocampo ferngehalten. Wörtlich hieß es in einer Erklärung, Bensouda habe "von ihm keinen Rat gesucht, nicht mit ihm kommuniziert oder zusammengearbeitet". In den folgenden Tagen wiederholte sie diese Erklärung in ähnlicher Form. Auf den Gerichtsfluren sprachen Mitarbeiter von Ocampogate, wenn es um die Enthüllungen ging. Die heutige Chefanklägerin schien davon unberührt.

Doch ihre strikte Distanzierung könnte Bensouda nun selbst in Schwierigkeiten bringen. Denn aus den internen Dokumenten, die der französischen Enthüllungsplattform Mediapart zugespielt wurden und die der SPIEGEL ausgewertet hat, ergibt sich ein anderes Bild. Demnach hat sie jahrelang sehr vertrauensvoll mit ihrem Vorgänger zusammengearbeitet. Mal schrieb sie Ocampo, er könne sie "jederzeit" kontaktieren, mal ließ sie ihn wissen, sie sei "sehr dankbar", dass er ihr helfe. Während der Untersuchung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Kolumbien schickte sie sogar interne Unterlagen an Ocampo, der dort als Berater aktiv war.

Legt man Bensoudas Erklärungen und ihren E-Mail-Verkehr mit Ocampo nebeneinander, bleibt nur die Schlussfolgerung: Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs hat mehrfach die Unwahrheit gesagt.

"Können wir reden? Ich mache mir Sorgen um Kenia"

Die aus Gambia stammende Juristin Bensouda stieg im Sommer 2012 von der Stellvertreterin Ocampos zur Chefanklägerin auf und übernahm von ihm eine Reihe von Ermittlungen, auch problematische Fälle. So hatte Ocampo 2011 den heutigen kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta und andere Vertreter des Landes vorgeladen, nachdem es im Zuge der manipulierten Wahl zu blutigen Unruhen im Land gekommen war.

Ocampo interessierte sich nach seinem Amtsende weiterhin für seine Altfälle. Und Bensouda erstattete ihm gern Bericht. Im Februar 2013, ein gutes halbes Jahr nach ihrem Amtsantritt, meldete sich Ocampo bei ihr. "Können wir reden? Ich mache mir Sorgen um Kenia." Anstatt auf ihre Verschwiegenheitspflicht zu pochen, ließ Bensouda ihn wissen: "Danke, Luis. Ich habe noch mal versucht, dich zu erreichen. Ich würde gern mit dir sprechen, bevor ich eine Entscheidung treffe." Kurz darauf gab Bensouda bekannt, dass sie das Verfahren gegen einen Kenyatta-Vertrauten einstellen werde.

Auch am Fall Kolumbien blieb Ocampo dran. Dort unterstützte er Regierung und Farc-Rebellen im Friedensprozess. Zur selben Zeit führte Bensouda die von ihm begonnenen Untersuchungen zu möglichen Verbrechen in dem Langzeitkonflikt weiter.

Am 23. Juli 2013 schrieb Ocampo: "Ich muss deine Sicht auf Kolumbien verstehen. Ich fahre im September dorthin." Bensouda antworte: "Okay. Ich schicke dir eine Zusammenfassung." Einige Wochen später leitete sie Ocampo von ihrer privaten Mailadresse einen Brief weiter, den sie an den Präsidenten des kolumbianischen Verfassungsgerichts geschrieben hatte.

Darin machte sie ihre Rechtsposition zu den Friedensverhandlungen in Kolumbien deutlich. Bensouda lässt dazu jetzt durch ihren Bürochef mitteilen: "Der Brief war bereits in der Öffentlichkeit, da er offensichtlich kolumbianischen Medien zugespielt worden war."

Bensouda ließ sich beraten und wohl auch beeinflussen

Die dem SPIEGEL vorliegenden Unterlagen zeigen an verschiedenen Stellen, wie sich die Chefanklägerin von ihrem Vorgänger beraten und wohl auch beeinflussen ließ. Ein Beispiel: Seit 2015 hat Ocampo Jesiden aus dem Irak beraten. Tausende Angehörige der religiösen Minderheit waren dem "Islamischen Staat" in die Hände gefallen. Viele Jesidinnen wurden entführt und vergewaltigt, ihre Männer ermordet. Ocampo hatte sich bereit erklärt, die Jesiden dabei zu unterstützen, ihren Fall vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Öffentlich erklärte er allerdings, den Gerichtshof "nicht persönlich anzurufen, wegen seiner früheren Rolle als erster Chefankläger". Er wolle den Jesiden nur das juristische Procedere darlegen.

Trotzdem nahm Ocampo Kontakt zu seiner Nachfolgerin auf. Sein Ziel: Er wollte ein Treffen der jesidischen Aktivisten mit Bensouda einfädeln. Am 3. September 2015 bat er zunächst um ein Vorgespräch: "Hi Fatou, können wir reden? Ich würde dir gern den Jesiden-Fall erklären und dich fragen, was man machen kann." Sie antwortete: "Lieber Luis, ich hoffe, es geht dir gut. Natürlich können wir reden. Vielleicht passt dir Samstag Abend. Du kannst mich ab 20 Uhr anrufen. Hab' ein schönes Wochenende, und ich freue mich darauf, mit dir zu sprechen." Den Unterlagen zufolge kam das Gespräch zwischen den beiden zustande.

Wenige Tage später hakte Ocampo wegen des geplanten Treffens in Den Haag nach: Die Vertreter der Jesiden würden auf eine Antwort warten. Bensouda konnte ihn beruhigen: "Lieber Luis, ich habe die Angelegenheit heute Abend besprochen. Ich hatte einige zeitliche Engpässe, aber ich denke, ich schaffe es nächste Woche."

Und tatsächlich: Am 24. September traf sich Bensouda mit Abgesandten der Jesiden, es ging um mögliche Ermittlungen des Strafgerichtshofs. Sie wollte das Treffen geheim halten, um keine allzu großen Erwartungen zu wecken. Doch Ocampo riet seinen Mitstreitern, eine Pressekonferenz einzuberufen, das sei "die wichtigste Sache überhaupt". Die Nachrichtenagentur Reuters verbreitete später die Nachricht über das Treffen der Jesiden mit der Chefanklägerin in Den Haag. Bensouda war darüber verärgert, wie aus den E-Mails hervorgeht.

"Ein gewisser Kontakt mag stattgefunden haben"

Auf Anfrage des SPIEGEL ließ Bensouda am Donnerstag erklären, sie habe ihren Vorgänger "ausdrücklich darum gebeten, von jeglicher Tätigkeit Abstand zu nehmen, die als Einmischung in die Arbeit der Strafverfolgung erscheinen oder ihren Ruf beschädigen könnte". Kurz nach Beginn der Enthüllungen über Ocampo hatte sie sich bereits ähnlich geäußert.

Doch die von ihr verbreitete Darstellung, sie habe im Amt überhaupt keine Verbindung mehr zu ihrem Vorgänger gehabt, brach jetzt in sich zusammen. "Ein gewisser Kontakt mag stattgefunden haben", räumte sie ein, versuchte allerdings, alles kleinzureden. Der Austausch zwischen ihr und Ocampo sei "nur sporadisch und außerordentlich selten" gewesen. Tatsächlich? Allein im vorliegenden Material gibt es Dutzende Mails, die sie an ihren Vorgänger geschrieben hat.

Und bis zum Ausbruch der Affäre hat sich Bensouda nie öffentlich von Ocampo distanziert. Als der SPIEGEL die Chefanklägerin vor einigen Wochen in Den Haag besuchte, verlor sie noch kein schlechtes Wort über ihren Vorgänger. Angesprochen auf Ocampos fragwürdige Beraterarbeit für den libyschen Ölmilliardär Hassan Tatanaki erklärte sie, das sei doch eine "gute Sache". In ihrem Büro hingen viele Fotos von Ermittlerteams an der Wand. "Schauen Sie, hier ist Luis, hier auch", sagte sie lächelnd. Doch wie es aussieht, hat Ocampogate jetzt auch Bensouda erreicht.

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