West-Wing Wenn die Obama-Blase platzt
Washington - Viele, die dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Barack Obama zuhören, denken an John F. Kennedy oder Martin Luther King. Ich denke vor allem an die verrückte Zeit der New Economy.
Selbst die kühle Kaste der Manager war damals wie verzaubert. Wilde Versprechungen schienen für einige Jahre die wertvollste Währung. Gewinne? Nebensächlich! Erfahrung? Unnötig! Realismus? Das war eher hinderlich. "Einige Unternehmer besaßen realistische Pläne und administratives Talent", heißt es bei Wikipedia über die Jahre von High-Tech-Fieber und Börsenrausch, "die meisten aber waren Ideenverkäufer." Von 1980 bis zum Jahr 2000 stieg die Weltwirtschaftsleistung real um 80 Prozent. Der Wert der Aktien aber stieg im selben Zeitraum um rund tausend Prozent. Am 10. März 2000 war der Höhe- und Schlusspunkt schließlich erreicht, die Blase platzte, die Milliardenwerte des Nasdaq sackten danach zusammen wie ein erkaltetes Soufflee. Ein großer Held jener Jahre, Bernie Ebbers von Worldcom, sitzt nun nicht mehr bei Larry King im Studio, sondern in Louisiana im Gefängnis.
Im Wahlkampf wird ebenfalls die Zukunft gehandelt. Die Wähler sind gierig danach, ihre als mittelmäßig empfundene Gegenwart zum Besseren zu verändern, erst recht nach den sieben in vielerlei Hinsicht mageren Jahren der Bush-Regierung. Einer wie Barack Obama macht sich diese Sehnsucht zunutze. Er sagt schöne Sätze, die die Seele streicheln: "Wir sind die, auf die wir gewartet haben." - "Schicksal wird nicht für uns geschrieben, sondern von uns." - "Wir zusammen können die Welt so gestalten, wie sie sein soll." In seinen Veranstaltungen ruft er "Yes, we can" ins Publikum. "Yes, we can", erwidern sie ihm. Dann ist wieder er dran, dann wieder sie. Bis die Halle kocht. Das Ganze funktioniert nach demselben Prinzip wie die Fürbitten im Gottesdienst, nur etwas inbrünstiger.
Wer die Geduld aufbringt, die Rhetorik des 46-Jährigen etwas abklingen zu lassen, spürt, wie die Zweifel keimen. Diese Zweifel lassen sich aber durch die nächste und übernächste Obama-Rede mühelos betäuben. Auch die Wahlerfolge des Senators wirken narkotisierend. Er selbst erklärt sich zum neuen Politikertypus, der mit den alten Maßstäben nicht gemessen werden will.
Auch in der Phase der New Economy geriet die Fundamentalanalyse einer Aktie in Vergessenheit, jene Messmethode, nach der man unter anderem traditionelle betriebswirtschaftliche Kennziffern wie Gewinn, Umsatz, Mitarbeiterzahl zu Grunde legt. Die Eigendynamik-Methode kam statt dessen in Mode. Eine Firma ist eine gute Firma, wenn die Aktie steigt, und sie ist eine sehr gute Firma, wenn die Aktie sehr steil steigt. Ich steige, also bin ich. Bernie Ebbers war damals ein guter Manager. Seine Aktie stieg von Werten von unter fünf Dollar in den Anfangsjahren auf den Höchststand von 62 Dollar im Jahr 1999. Er war ein Mann im Steigflug.
Der junge Ideenverkäufer aus Chicago spürt die selben Auftriebskräfte. Er eilt von einem Wahlerfolg zum nächsten. Obama hat, was die Amerikaner "momentum" nennen, Schwungkraft, Eigendynamik.
Tretminen in der Außenpolitik
Dennoch wird er seine Wähler enttäuschen müssen, wenn er denn jemals den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt. Politik in der demokratischen Gesellschaft ist nun mal ein Ausgleich der Interessen, keine spirituelle Sitzung. Ideen brauchen zu ihrer Durchsetzung Raffinesse, Erfahrung und Macht. Diese Zutaten lassen sich durch Hoffnung und Optimismus anreichern, aber nicht ersetzen. Seine Botschaft ist eher ein Heilsversprechen als eine Wahlaussage. Die Spielregeln der Politik will er ändern - aber wie und wohin, bleibt offen. Eine neue Seite im Geschichtsbuch will er aufschlagen - aber in welcher Handschrift will er den Eintrag vornehmen? Er will die Lobbiysten vertreiben - aber wer soll an ihrer Stelle die Interessen von Gewerkschaftsmitgliedern, Kriegsveteranen oder Chemiekonzernen vertreten? Mit den Diktatoren dieser Welt will er verhandeln - aber mit welchem Ziel eigentlich?
Überhaupt sind in der Außenpolitik seine gefährlichen Tretminen versteckt. Schneller Abzug aus dem Irak - das klingt ausgesprochen gut und friedlich. Aber: Der Fehler, diesen Krieg begonnen zu haben, lässt sich eben nicht dadurch wieder gut machen, dass man ihn Hals über Kopf beendet. Einem zügigen Abzug der US-Armee würde mit übergroßer Wahrscheinlichkeit ein blutiger Bürgerkrieg folgen. Al-Qaida würde sich endgültig im Irak einnisten. Der Nachbarstaat Iran würde auftrumpfen. Die wahren Gewinner der amerikanischen Präsidentschaftswahlen hießen Osama Bin Laden und Mahmud Ahmadinedschad.
Hinzu kommt: Um Stärke zu zeigen, hat sich Obama einen neuen, gewissermaßen exklusiven Einsatzort für das US-Militär ausgedacht. Er spricht von Militäraktionen im Atomwaffenstaat Pakistan, die er als Oberfehlshaber auch ohne Zustimmung der Uno befehlen würde. "Das ist der Krieg, den wir gewinnen müssen", sagt er wieder und wieder. In Wahrheit ist das ein Wahnsinn, auch wenn diese Ankündigung derzeit am liebsten überhört wird. An dieser Stelle ist die Erinnerung an US-Präsident John F. Kennedy durchaus angebracht. Der bei seiner Wahl 43-Jährige war nicht mit Begeisterung in den Vietnam-Krieg gezogen. Er schlitterte hinein. Er war ein Kriegspräsident, mehr aus Versehen denn aus Berechnung.
Doch für Nachdenklichkeit ist kein Platz im Trubel der Obamania. Hillary Clinton, seine Rivalin im Kampf um die Nominierung, leidet unter denselben Problemen wie während des New Economy-Hypes die Traditionsfirmen der Auto- und Maschinenbauindustrie. Sie kommt mit seiner Anhängerschaft nicht mehr ins Gespräch. Sie nutzt Sprache, um zu erklären. Er nutzt sie, um zu berauschen. Sie sagt, ich habe. Er sagt, wir werden. Sie ist ein Standardwert, er ein Optionsschein. Sie ist mündelsicher, er eine Spekulation.
An der Börse war es am Ende so: Die Hoffnungen zerplatzten, die Sehnsüchte vom schnellen Reichtum blieben unerfüllt. Die Worldcom Aktie fiel 2002 auf weniger als 10 Cent.
Wenn die Demokratie auch nur annährend so gut funktioniert wie die Marktwirtschaft, wird auch die Obama-Blase platzen. Die spannende Frage ist nur, wann. Wird es noch vor der demokratischen Nominierung im August diesen Jahres passieren - oder erst danach?