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Whistleblower Snowden und Manning Die neuen Weltverbesserer

Sie setzen ihre Existenz aufs Spiel, obwohl sie aus ihrem Handeln keinen persönlichen Profit ziehen. Sogenannte Whistleblower wie Edward Snowden und Bradley Manning decken Skandale in US-Militär und Geheimdiensten auf - weil sie sich von der Politik im Stich gelassen fühlen.

Hamburg - "Ich bin nur ein ganz normaler Typ ohne besondere Fähigkeiten, der jeden Tag in seinem Büro sitzt und sieht, was passiert." Der Mann, der ein beispielloses Überwachungsprogramm des US-Geheimdienstes NSA aufgedeckt hat, spielt seine Rolle herunter. In seinem ersten Interview nach Bekanntwerden des Prism-Projekts wirkt Edward Snowden abgeklärt und souverän. Ein Mann, der sich der Tragweite seines Handelns voll bewusst ist, der aber auch deutlich macht, dass die Weitergabe der geheimen Dokumente fast kinderleicht war.

Die Prism-Enthüllung ist der vierte große Skandal innerhalb von drei Jahren, der Amerikas Militär- und Sicherheitsapparate erschüttert.

  • Im April 2010 veröffentlichte die Enthüllungsplattform WikiLeaks Videoaufnahmen, die zeigen, wie US-Kampfhubschrauber 2007 in Bagdad vorsätzlich zwölf Zivilisten töteten.

Für diese Enthüllungen war der US-Soldat Bradley Manning verantwortlich. Die geheimen Daten schöpfte er während seiner Stationierung im Irak ab. Ähnlich wie Snowden im Geheimdienstapparat nahm Manning in der Militärhierarchie keine besonders herausragende Position ein. Er war gerade einmal im Rang eines Obergefreiten und hatte dennoch Zugang zu hochsensiblen Informationen.

Snowden sucht die Öffentlichkeit

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Snowden, Manning und Co.: Die Whistleblower

Foto: Vincent Yu/ AP/dpa

Die Fälle von Snowden und Manning zeigen das Dilemma, in dem staatliche Institutionen, aber auch große Unternehmen stecken. Im Zeitalter der digitalen Datenverarbeitung können sie gewaltige Datenmengen sammeln, speichern und intern auf Knopfdruck zugänglich machen. Dies führt aber gleichzeitig dazu, dass die geheimen Dokumente ziemlich leicht in die Hände Dritter gelangen können.
Daniel Ellsberg musste Ende der sechziger Jahre die als "Pentagon-Papiere" bekannt gewordenen Dokumente über den Vietnam-Krieg noch in mühevoller Fleißarbeit kopieren. Eine Informationssammlung, die sich über Jahre hinzog und nur möglich war, weil Ellsberg hochrangiger Pentagon-Beamter und Berater von Verteidigungsminister Robert McNamara war. Ellsberg spielte die Unterlagen damals der "New York Times" und der "Washington Post" zu.

Anders als Manning und Ellsberg hat Snowden nach seiner Enthüllung selbst gezielt den Weg in die Öffentlichkeit gesucht. Es ist ihm wichtig, über seine Motive für die Aufdeckung des Spionageprogramms zu sprechen. "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der so etwas möglich ist", sagte Snowden dem "Guardian". "Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage und tue, aufgenommen wird." Er betrachte die Weitergabe der Unterlagen daher auch nicht als Straftat. Die Regierung habe den Spielraum für eine Einflussnahme der Öffentlichkeit auf die Geheimdienste in den vergangenen Jahren kontinuierlich eingeschränkt, argumentiert Snowden.

Parlamente geben Geheimdiensten einen Freibrief

In der Tat können die Abgeordneten in den Vereinigten Staaten ihrer Aufgabe, die Arbeit der Sicherheitsdienste zu überwachen, kaum noch nachkommen. Sechs Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verabschiedete der Kongress mit nur einer Gegenstimme den Patriot Act, der die Bürgerrechte maßgeblich einschränkte und den Geheimdiensten weitreichende Befugnisse gab. Seither können US-Behörden auch ohne richterliche Genehmigung Telefone und E-Mail-Korrespondenzen überwachen.

Trotzdem äußerten sich in der vergangenen Woche viele Parlamentarier überrascht darüber, dass der Geheimdienst NSA offenbar Verbindungs- und Positionsdaten sämtlicher In- und Auslandsgespräche sammelt. Doch es findet sich sowohl bei Republikanern als auch Demokraten kaum ein Politiker, der über die Sammelwut der Geheimdienste erbost ist. Stattdessen richtet sich ihr Zorn in erster Linie gegen den Whistleblower Snowden.

Schon nach den WikiLeaks-Enthüllungen über den Irak-Krieg und die Zustände in Guantanamo kreiste die politische Debatte in den USA nicht darum, ob die Vereinigten Staaten dort gegen Menschenrechte verstoßen und die Werte ihrer eigenen Verfassung mit Füßen treten. Stattdessen standen die Suche nach dem Verräter der geheimen Informationen und die Frage nach einer Bestrafung Mannings im Mittelpunkt der Debatte.

Solange Whistleblower wie Snowden und Manning den Eindruck haben, dass Politik und Gerichte ihre Aufgabe, die Bürgerrechte zu schützen, nicht adäquat erfüllen, werden sie selbst brisante Daten an Medien weitergeben. Die Informanten selbst zahlen dafür einen hohen Preis: Manning droht eine lebenslange Gefängnisstrafe, Snowden stellt sich darauf ein, sein Leben auf der Flucht vor den US-Behörden im Exil zu verbringen.

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