Olympische Spiele in Sotschi Die einfältige Häme des Westens

Die Schadenfreude über Pannen in Sotschi stößt viele Russen vor den Kopf. Der Westen schmückt seine Schreckensbilder von Russland weiter aus. Was nicht ins Bild passt, wird passend gemacht.
Zwillingstoilette in Sotschi: Keine Spur davon im Hotel des Autors

Zwillingstoilette in Sotschi: Keine Spur davon im Hotel des Autors

Foto: ? Lucy Nicholson / Reuters/ REUTERS

Ich bin selber schuld, ich habe mich zu spät um ein Hotel in Sotschi gekümmert. Das hatte ich dann davon: Meine Dusche stank nach Gulli. Vom Fenster zog es kalt. Die Möbel stammten aus den sechziger Jahren. Hätte man sie auf einem Trödelmarkt verkaufen wollen, niemand hätte für alles zusammen mehr gezahlt als die 200 Dollar, die mir das Hotel abknöpfte für eine einzige Nacht. Meine Bleibe sah ganz danach aus, als sei sie womöglich verwanzt - und damit meine ich nicht Abhörversuche durch den Geheimdienst FSB.

Sotschi ist seit Wochen ausgebucht, aber ich konnte dennoch umziehen. Eine Bekannte hat einen Kumpel, der eine Freundin angerufen hat, sie arbeitet in einem anderen Hotel. Was wäre Russland nur ohne diese Russen, ihre Beziehungen und die unnachahmliche Spontaneität? Ich wohne jetzt im Marins Park Hotel, für 140 Dollar, das Fenster zum Meer, strahlendes Wetter, keine Zwillingstoilette, alles funktioniert. Mein Hotel hat einen Pianisten angestellt, er klimpert morgens zum Frühstück. Zugfahrten in Sotschi sind kostenlos. Sotschi gibt sich Mühe mit seinen Besuchern, und man muss schon beide Augen fest zudrücken, um nicht zu sehen, dass die Welt zu Gast ist bei Freunden.

Die Welt aber ist viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Schreckensbilder von Russland auszuschmücken. Die Kritik hat das rechte Maß verloren. Stimmt schon: Sotschi ist vor allem das Projekt von Wladimir Putin. Er hat dem Land diesen 50-Milliarden-Kraftakt verordnet, der Zar wünschte Spiele. Korruption und schlechte Planung haben die Kosten in schwindelerregende Höhen getrieben. Die Umwelt ist ruiniert, viele Gastarbeiter wurden ausgebeutet, Putin lässt ohne Skrupel Stimmung machen gegen Homosexuelle.

"Hier gibt es keine Schwulen"

Russland aber hat nicht die Schadenfreude verdient, mit der jeder kaputte Türknauf quittiert wird, oder eine kaputte Parkbank. Was nicht so recht in die Schablonen passt, wird passend gemacht.

Mein Mitgefühl für Männer wie den Bürgermeister von Sotschi hält sich für gewöhnlich in engen Grenzen. Anatolij Pachomow ist Mitglied der Kreml-Partei "Einiges Russland", sie ist im Volk als "Partei der Gauner und Diebe" verschrien. Kurz vor Beginn der Spiele hat Pachomow ein Interview gegeben. "Hier gibt es keine Schwulen" war der Satz, mit dem ihn Medien weltweit zitierten.

Wenn Pachomow das wirklich so gesagt hat, dann ist er ein Fall für den Arzt. Dann leidet er offenbar an einer unentdeckten, schubweise auftretenden Demenz. Wie sonst konnte der Bürgermeister vergessen, dass er selbst kurz vor dem Interview eine Unterredung mit dem Betreiber einer Schwulenbar hatte? Um die er selbst gebeten hatte, als Vorbereitung auf das Gespräch mit Journalisten?

So recht mögen sie nicht an eine medizinische Erklärung glauben in Sotschis Rathaus. Sie sagen, die Aussage sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Wörtlich hatte Pachomow gesagt, "solche (Leute) haben wir nicht in unserer Stadt". Der Bürgermeister beteuert, er habe es anders gemeint: Es gebe keine homosexuellen Aktivisten in Sotschi. Ohne die extrem schwierige Lage von Schwulen und Lesben in Russland beschönigen zu wollen: Das ist ein großer Unterschied.

Twitterfoto aus Wien heizt Sotschi-Shitstorm an

Simon Rosner ist Journalist, er schreibt für die "Wiener Zeitung". Er ist bei Twitter, er nutzt den Dienst "primär, um mich zu ärgern", so steht es auf seinem Profil. Man tut Rosner kein Unrecht, wenn man sagt, das Interesse an seinem Ärger war bislang überschaubar. Er hat 557 Follower, da freut man sich über jeden Retweet, jede Meldung, die ein anderer Nutzer weiterverschickt.

Rosner hat sich in den Sotschi-Shitstorm eingeklinkt, ganz ohne Wien zu verlassen. Er hat ein Foto geschossen von einer kaputten Straße in der österreichischen Hauptstadt und es gepostet, versehen mit dem Schlagwort #SochiProblems. CNN hat sich gemeldet, der Sender wollte die Aufnahme für eine Foto-Sammlung: die größten Peinlichkeiten von Sotschi.

Rosners Bild wurde 474 Mal retweetet, der Hinweis auf den Scherz nur noch vier Mal, das war ihm unheimlich. Rosner schreibt: "Wären beispielsweise die Shuttle-Busse in Sotschi die exakt selben wie jene in Vancouver, man würde sie sicher als Relikte aus der Sowjetunion bezeichnen. Dabei waren es nur uralte kanadische Busse."

Die Russen verstehen die Welt nicht mehr

Das Sotschi-Bashing trifft nicht nur Putin, es stößt ganz Russland vor den Kopf. Im Riesenreich grassiert das Olympia-Fieber, 69 Prozent freuen sich über die Spiele, zwei von drei Russen verfolgen die Wettkämpfe im TV. Selbst Russen, die vor zwei Jahren gegen Putins Rückkehr in den Kreml demonstrierten, halten die Kritik für überzogen. Sie wissen sehr wohl von Korruption und zerstörter Umwelt. Aber die Häme aus dem Westen verletzt sie.

Die Russen verstehen die Welt nicht mehr, und das liegt nicht an den Russen. Sie feiern in Sotschi eine Party. Wir sind die Gäste, die sich den ganzen Abend an einer Bionade festhalten und sich über das Klo des Gastgebers das Maul zerreißen: "Haha, hat sich der Russe mal wieder blamiert."

Wenn aus Russland schlechte Nachrichten kommen, nur dann sei für den Westen die Welt in Ordnung, hat Marat Gelman einmal behauptet, Moskaus bekanntester Galerist.

Ich würde mir wünschen, Gelman läge falsch.

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