Putin-Vertrauter "Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert"

Als "wahre Freunde" bezeichnet Diktator Assad die Russen im SPIEGEL. Wladimir Jakunin, enger Vertrauter von Kreml-Chef Putin, verteidigt die Rolle Moskaus in der Syrienkrise: Russland habe die Welt vor einem Krieg bewahrt, den die Uno nicht wollte.
Jakunin (l.), Putin: "Von den Amerikanern eine Scheibe abschneiden"

Jakunin (l.), Putin: "Von den Amerikanern eine Scheibe abschneiden"

Foto: ? Sergei Karpukhin / Reuters/ REUTERS

Wladimir Jakunin ist Chef der Russischen Eisenbahnen RschD mit mehr als 950.000 Angestellten und dem zweitgrößten Schienennetz der Welt. Rschd betreibt eine Reihe geopolitisch bedeutender Großprojekte wie eine Eisenbahnlinie von Russland nach Nordkorea. Von 1985 bis 1991 war Jakunin zweiter Mann an der Botschaft der Sowjetunion bei den Vereinten Nationen in New York. Im Jahr 2002 gründete er das "World Public Forum - Dialoque of Civilizations", um Eliten aus verschiedenen Erdteilen ins Gespräch zu bringen.

SPIEGEL ONLINE: Wie groß sind die Chancen, dass die Chemiewaffen in Syrien tatsächlich vollständig vernichtet werden?

Jakunin: Sehr hoch. Die Führung in Damaskus versteht, dass dies der einzige Weg ist, das Land zu retten. Um allerdings einen Schritt in Richtung zum Ende des Bürgerkrieges zu machen, muss man den Dingen auf den Grund gehen. In Syrien sterben Tausende Menschen, weil religiöse und sogar konfessionelle Probleme politisiert und ideologisiert werden. Unser Dialog der Zivilisationen hat deshalb Sunniten und Schiiten, die beiden großen Richtungen des Islam, an einen Tisch geholt.

SPIEGEL ONLINE: Mit welchem Ergebnis?

Jakunin: Da waren Leute aus Iran, Irak, Jordanien, Ägypten und den Golfstaaten dabei. Trotz mancher Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten waren sich alle einig, dass es keine unüberwindbaren Gegensätze gibt. Aber der Konflikt in Syrien wird von außen finanziert und mit Waffenlieferungen weiter angeheizt.

SPIEGEL ONLINE: Tut Russland nicht genau das, indem es Assad unterstützt und Waffen an den alten Bündnispartner Syrien liefert?

Jakunin: Dass Syrien seit Jahrzehnten unser Partner war, mag irgendwo eine Rolle spielen. Allerdings nur eine untergeordnete. Ich kenne Präsident Putin und andere in der Regierung gut. Sie sind keine engstirnigen Politiker, auch wenn viele im Westen ein Interesse daran haben, Putin zu dämonisieren.

SPIEGEL ONLINE: Russland hat eine Marinebasis im syrischen Tartus und geopolitische und wirtschaftliche Interessen in der Region.

Jakunin: Entscheidend für Russland sind das Völkerrecht und die Stabilität der Region. Nicht unsere Truppen sind überall in der Welt stationiert, sondern die Amerikas. Nicht wir sind der größte Waffenexporteur, sondern Amerika. Und immer wieder greift der Westen zu Gewalt, ohne dass dies durch die Vereinten Nationen gedeckt ist. So war es zuletzt in Libyen.

SPIEGEL ONLINE: Da hat auch Russland im Weltsicherheitsrat einer Flugverbotszone für Gaddafis Luftwaffe zugestimmt.

Jakunin: Aber nicht der Bombardierung der gesamten militärischen Infrastruktur mit Hunderten Opfern unter Zivilisten als Kollateralschaden. Am Ende wurde Gaddafi vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern gelyncht. Ist es das, was der Westen will? Die Einmischungen des Westens, seine wiederholten Angriffe auf muslimische Länder führen doch nicht zur Demokratie. Libyen war ziemlich stabil und dabei, sich zu öffnen. Syrien war einmal Land, in dem Muslime, Christen und Juden friedlich zusammenlebten. Heute steht es wieder am Rande des Bürgerkrieges und droht in Enklaven zu zerfallen. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

SPIEGEL ONLINE: In Syrien kommen Waffen und Geld für die Aufständischen aus Katar und Saudi-Arabien. Das sind keine westlichen Länder.

Jakunin: Washington unterhält mit ihnen eine strategische Partnerschaft. Wir sollten nicht naiv sein und die Dinge beim Namen nennen: Sie sind Satellitenstaaten Amerikas und handeln mit seinem Einverständnis. Mit welchem Recht eigentlich steht Russland in Syrien auf der Anklagebank? Wenn es so ist, dass wir die Regierung in Damaskus unterstützen, dann unterstützen wir die völkerrechtlich legitime Regierung Syriens. Der Westen hingegen hilft den Aufständischen, darunter zahllosen Banditen, Terroristen und Kämpfer von al-Qaida. Nicht wir, sondern der Westen hat die Büchse der Pandora geöffnet. Mit dem Zerfall der Sowjetunion hat sich der Kreml von der Rolle des Weltpolizisten verabschiedet.

SPIEGEL ONLINE: Wird sich das russisch-amerikanische Verhältnis durch die Zusammenarbeit in Syrien verbessern, das beispielsweise durch den nach Russland geflüchteten Geheimdienstler Edward Snowden belastet ist?

Jakunin: Für angespannte Beziehungen gibt es nichts Besseres, als gemeinsam ein kompliziertes Problem zu lösen wie wir es jetzt im Fall Syrien tun. Dazu gehören Kompromisse. Bei der Resolution des Uno-Sicherheitsrates zum Beispiel hat Amerika darauf verzichtet, reinzuschreiben, dass ein Militärschlag folgt, wenn Syrien gegen die Chemiewaffen-Resolution verstößt.

SPIEGEL ONLINE: Warum hat Russland nicht eher auf den syrischen Präsidenten Assad Druck ausgeübt, um die Chemiewaffen zu vernichten?

Jakunin: Weil solche Initiativen Zeit und sehr viel Arbeit hinter den Kulissen brauchen. Und weil wir vom Westen auf all unsere Vorschläge immer nur eines gehört haben: Assad muss weg. Putin hat nun die Welt vom Abgrund eines neuen, nicht von den Vereinten Nationen sanktionierten Krieges bewahrt. Er ist ein Peacemaker und hätte den Friedensnobelpreis verdient. Obama hat den Preis vor fünf Jahren als reine Vorschusslorbeere bekommen, ohne dass er auch nur irgendetwas Konkretes getan hätte. Er hatte lediglich den Abzug der Amerikaner aus dem Irak angekündigt. Das immerhin hat er später auch wahr gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Der Kreml hat bei den jüngsten Regionalwahlen in Russland mehr Konkurrenz zugelassen. Wird Wladimir Putin das politische System öffnen?

Jakunin: Politische Konkurrenz ist nötig. Ansonsten droht Stagnation.

SPIEGEL ONLINE: Wäre der "Dialog der Zivilisationen", den Sie vor elf Jahren als internationale Plattform mitinitiiert haben, nicht auch in Russland bitter nötig? Hass und Spannungen zwischen Russen und den Millionen meist muslimischer Gastarbeiter nehmen zu.

Jakunin: Da ist eine intelligente Migrationspolitik nötig. Viele kommen zu uns, die nicht einmal mehr die russische Sprache beherrschen. Da können wir uns von den Amerikanern eine Scheibe abschneiden, die es durch ihre Einwanderungsbestimmungen schaffen, Fremde zu Amerikanern zu machen.

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Foto: REUTERS/ SANA
Das Interview führte Matthias Schepp
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