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Putins TV-Bürgersprechstunde Er allein

Der Zar ist gut, die Adligen sind schlecht, so ein russisches Sprichwort. Nach diesem Motto zieht Wladimir Putin einmal im Jahr seine Bürgersprechstunde im TV auf, Botschaft: Nur er selbst kann helfen, wenn was hakt. Doch diesmal war etwas anders.

Einmal im Jahr hält Wladimir Putin Hof im Fernsehen, dann dürfen Bürger dem Präsidenten ihre Fragen stellen: "Direkter Draht" heißt die große Show im Staatsfernsehen.

Am Donnerstag setzte sich Putin, dunkelblauer Anzug, violette Krawatte, zum 15. Mal in das Studio des Staatsfernsehens, um seinem Volk vier Stunden lang live hautnah zu demonstrieren, wer es führt: er, Wladimir Wladimirowitsch, allein. Er ist es, der die Missstände in seinem Land beseitigt, den Menschen in der Not hilft, nicht die unfähigen Politiker oder Beamten.

Der Zar ist gut, die Adligen sind schlecht, besagt ein russisches Sprichwort. Regelmäßig schneidet Putin in Umfragen weitaus besser ab, als seine Regierung und das Parlament - der Justiz und Polizei misstrauen die Russen eh. Dass die Macht so auf Putin zugeschnitten ist, dafür tut der Kreml einiges - der "Direkte Draht" ist Teil der Inszenierung. 1,5 Millionen Anrufe, 550.000 SMS und MMS, 27.000 Videobotschaften und 200.000 Briefe, alle mit Fragen an den Präsidenten, seien eingegangen, verkündeten die Staatssender stolz.

Neun Monate vor der Präsidentschaftswahl ist diese Inszenierung umso wichtiger, denn es gärt nach 17 Jahren Putin-Herrschaft. Lastwagenfahrer streiken, Wohnungsbesitzer gehen in Moskau auf die Straße, um gegen den Abriss ihrer Häuser zu protestieren (Lesen Sie hier die Hintergründe), Junge demonstrieren gegen das System Putin.

Wegen der Proteste verschoben

Protest in Moskau

Protest in Moskau

Foto: KOCHETKOV/ EPA/ REX/ Shutterstock

Gewöhnlich findet der "Direkte Draht" Anfang April statt, doch in diesem Jahr wurde er nach den Protesten verschoben. Putin musste erleben, dass Oppositionspolitiker Aleksej Nawalny, der ihn bei der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr herausfordern will, am 26. März Zehntausende mobilisieren konnte, vor allem Schüler und Studenten, die gegen Korruption demonstrierten. Am Montag gelang dies Nawalny erneut, mehr als 1700 Menschen wurden festgenommen, Dutzende zu Geldstrafen verurteilt oder verhaftet - auch Nawalny. Er sitzt nun für 30 Tage im Gefängnis.

Doch es dauerte drei Stunden und 20 Minuten, bis das Thema in Putins Show zur Sprache kam. (Lesen Sie hier die Nachrichtenzusammenfassung).

Vorher ging es darum, mit Blick auf die Präsidentschaftswahl gute Stimmung zu verbreiten: Putin erklärte die Wirtschaftskrise für beendet, versprach einer jungen Lehrerin in Irkutsk höheren Lohn, Anwohnern einer Mülldeponie nahe Moskau Unterstützung, einer Krebskranken in der Murmansker Region ein neues Krankenhaus, einer Mutter, die vom Hochwasser im Stawropoler Gebiet betroffen ist, schnelle finanzielle Hilfe (die, so beteuerte es die Frau nach der Show, auch tatsächlich auf ihrem Konto einging), gratulierte einem Vater zu seinem gerade geboren Sohn, ließ sich nach Kaliningrad ins neue WM-Stadion verbinden. Außerdem demonstrierte er Nähe, von seinem Privatleben gibt der Staatschef sonst wenig preis.

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In seiner gerade ausgestrahlten Interviewserie mit dem US-Regisseur Oliver Stone hatte Putin bereits über seine Enkel gesprochen. Ohne kritisch nachzufragen, lässt Stone ihn dort stundenlang reden. Das lässt Putin gut aussehen - das Material wird in den russischen Medien immer und immer wieder zitiert. Auch wenn Putin offiziell noch nicht im Wahlkampf ist: Der hat längst begonnen.

Nun legte der Präsident nach. Sein zweiter Enkel sei kürzlich geboren worden, der andere gehe schon in der Kindergarten, erzählte er. Über eine neue Frau an seiner Seite sagte er jedoch nichts, auch wenn es eine der unzähligen Fragen war, die eingegangen war.

Festnahmen? Welche Festnahmen?

Ob er denn mit der Opposition nach den Protesten sprechen würde, fragte die Moderatorin schließlich. Putin guckte angestrengt, die Stirn in Falten gelegt. Er sei bereit mit allen zu sprechen, die sich tatkräftig für die Lösung von Problemen einsetzen. Und weiter: Er sei nicht bereit mit jenen zu sprechen, welche die schwierige Lage und diese Proteste "als Mittel der Provokation und Eskalation sowie der Eigen-PR" missbrauchen würden. Den Namen Nawalnys nahm Putin wie üblich nicht in den Mund. Auch über die Festnahmen verlor er kein Wort.

Ein Schüler durfte Putin schließlich im Studio fragen, warum Beamte und Minister, die korrupt sind und Schmiergelder annehmen, mit Hausarrest davonkämen. Putin antwortete mit einer Gegenfrage: "Haben Sie sich das selber einfallen lassen, oder hat Ihnen jemand empfohlen, diese Frage zu stellen?" Der junge Mann antwortete schlagfertig: "Das Leben hat mich darauf gebracht." Putin versicherte, die korrupten Staatsdiener gehörten nicht zu seinem Team. Zudem sei die Bestrafung eine Entscheidung der Gerichte, sagte der Präsident, ganz so, als ob diese unabhängig arbeiten würden.

"Was für ein Zirkus"

Der Kreml ließ in dieser wohl inszenierten Show sogar Einblendungen mit persönliche Kritik an Putin zu - allerdings nur, wenn gerade Moderatoren oder Reporter im Studio auf dem Bildschirm zu sehen waren. "Wann treten Sie zurück?", fragte einer per SMS. Ein anderer machte sich per Textnachricht sogar über Putin lustig, verglich ihn mit dem betagten Langzeit-Sowjetführer Leonid Breschnew, der für viele Russen eine Witzfigur war. Ein dritter fragte: "Putin, glaubst du wirklich, dass das Volk dir diesen Zirkus mit inszenierten Fragen abnimmt?".

Putin griff diese Einblendung kurz auf: "Welche inszenierten Fragen?", fragte er zurück. Eine Antwort lieferte er jedoch nicht.

Am Ende las der Präsident dann wieder von einem der Monitore vor - dieses Mal war es keine Frage: "Alles wird gut" stand da. "Ja, in der Tat, alles wird gut", sagte der Präsident. Und ging.

Zusammengefasst: Auch in diesem Jahr hielt Wladimir Putin im Fernsehen seine Bürgersprechstunde ab - der Kreml-Chef ist schon im Wahlkampfmodus. Anders als sonst wurden diesmal sogar kritische Zuschauerfragen eingeblendet, um den Eindruck der Inszenierung zu zerstreuen. Als nach mehr als drei Stunden Fragen zur Korruption im Land gestellt werden - weswegen es erst vor Tagen landesweite Proteste gab - ist Putins Reaktion unmissverständlich: Die Demonstrationen seien "Eigen-PR" gewesen, gemünzt war das auf den Putin-Kritiker Alexej Nawalny.

Mitarbeit: Wladimir Schirokow
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