Wut auf Washington Parteirebellen räumen bei US-Vorwahlen ab
Es war die Stunde der Radikalen: Bei Vorwahlen in den USA haben Establishment-Gegner auf beiden Seiten triumphiert, erstmals gewann bei den Republikanern ein Kandidat der radikalen Tea-Party-Bewegung. Präsident Obama muss ein Debakel bei den Kongresswahlen im November fürchten.
Arlen Specter glaubte, alles richtig gemacht zu haben. Fast 30 Jahre saß er im US-Senat, als Vertreter für Pennsylvania, als Republikaner. Doch dann, vor elf Monaten, beschloss er, die Seiten zu wechseln. Seine Partei war ihm zu scharf nach rechts gerückt, der neue Präsident Barack Obama warb um die Zusammenarbeit mit ihm.
Specter, 80, wurde ein Demokrat, und er wurde kurzzeitig wichtiger Kampfgenosse Obamas. Auch mit Specters Hilfe drückte der Präsident seine Gesundheitsreform durch, an Specters Seite konnte er sein Wahlkampfversprechen vorleben, Verbündete über Parteigrenzen zu finden - und so ein neues Klima in Washington zu schaffen. "Er ist ein wichtiger Mann", lobte Obama, Specter strahlte, er wünschte sich ja selbst den Neuanfang, für die Demokraten. Aber auch für sich.
Doch am Dienstagabend steht Specter auf einer Bühne in Philadelphia, er sieht nicht mehr aus wie ein Hoffnungsträger, er sieht wieder aus wie ein alter Mann. Gerade hat er die parteiinterne Vorwahl der Demokraten für den Senatssitz in Pennsylvania krachend verloren. Sein Parteifreund Joe Sestak wird nun bei der Wahl im November für die Demokraten antreten. Sestak, ein Militärheld, hatte eine einfache Botschaft, eine wirkungsvolle. Sie lautete: Es ist wieder Zeit für Wandel in Washington.
"Das Ergebnis ist peinlich für Präsident Obama"
Die Niederlage Arlen Specters ist eine Ohrfeige für den Parteiwechsler - aber auch für Obama. Der sah dies offenbar kommen: In den Tagen vor der Wahl traute sich Obama nicht einmal mehr, für Specter zu werben, er hielt sich von Pennsylvania fern. Schon Stunden bevor die Wahllokale schlossen, distanzierten sich Präsidentenhelfer offen vom einstigen Freund Specter.
"Die Wahlkampfmaschine des Weißen Hauses stockt", meint NBC-Wahlkampfexperte Lawrence O'Donnell. "Das Ergebnis ist peinlich für Präsident Obama", sagt John King von CNN. "Hat Obama seine Fähigkeit verloren, die demokratische Partei zusammenzuhalten?", fragt der konservative Kommentator Alex Castellanos.
Ähnlich ernüchternd sind für Obamas Team die Vorwahlergebnisse in Arkansas, wo die demokratische Washington-Veteranin Blanche Lincoln - eine wichtige Verbündete des Präsidenten bei der geplanten Finanzmarktreform im Senat - in die Stichwahl gegen einen Parteikonkurrenten muss.
Sieg des ersten Tea-Party-Kandidaten
Und die Stimmung gegen Washington zeigt sich auch auf republikanischer Seite, mit dem Sieg des ersten Tea-Party-Kandidaten. Der Augenarzt Rand Paul, ein Held der radikalen Protestbewegung, gewinnt die republikanische Senatsvorwahl für einen Sitz in Kentucky haushoch. Die Bewegung sagt vor allem, was sie alles nicht will: Sie ist gegen mehr Schulden, gegen mehr Staat, gegen mehr Regulierung, gegen die Milliarden-Staatshilfen für bankrotte Banken oder marode Autofirmen. Paul hat sich im Wahlkampf als jemand präsentiert, der bei Dienstantritt vor allem sparen und einsparen möchte.
"Ich habe eine Botschaft von der Tea Party", sagt Paul nach seinem Sieg. "Eine klare, laute und unmissverständliche Botschaft: Wir sind gekommen, um unsere Regierung zurückzuerobern." Es klingt wie ein Aufruf zur Revolution in Washington.
Die Wahlergebnisse unterstreichen eine neue Herausforderung für Präsident Obama - bei den Kongresswahlen im November droht ein Proteststurm gegen die US-Hauptstadt.
Denn auch das Washington, für das Obama Wandel versprochen hat, ist unpopulär im Rest des Landes, vielleicht noch unpopulärer als unter seinem Vorgänger. "Es ist derzeit wohl besser zu sagen, man sei im Gefängnis gewesen als in Washington", scherzt der ehemalige Berater von Präsident Bill Clinton, Paul Begala.
"Die Demokraten bereiten sich auf einen Tsunami vor"
Das sind schlechte Nachrichten für Obamas Demokraten. Sie stehen in Washington nun für den Status Quo, sie müssen im November viele Parlamentssitze verteidigen, die sie 2008 gewonnen haben.
Am Abend der Vorwahlen raunen Politikbeobachter daher bereits über große Verluste der Demokraten im November, vielleicht sogar den Verlust der Mehrheit im Kongress - auch wenn die Partei am Dienstag immerhin bei einer Sonderwahl zur Nachfolge eines verstorbenen Mitglieds des Repräsentantenhauses in Pennsylvania einen Sieg verbuchen kann. Dennoch: "Die Demokraten bereiten sich auf einen Tsunami vor, sie könnten massiv Sitze verlieren", analysiert Howard Fineman von "Newsweek".
Gleichzeitig könnte die Opposition noch radikaler werden. Der Triumph von Paul reiht sich ein in andere Erfolge für die polarisierende Tea-Party-Bewegung. Immer stärker beherrschen sie die republikanische Partei. Senator Bob Bennett verpasste gerade in Utah die Möglichkeit zur Wiederwahl - Tea-Party-Vertretern war er nicht mehr konservativ genug. Ähnlich erging es in Florida Ex-Gouverneur Charlie Crist, der nun als unabhängiger Vertreter im November antreten will.
Paul krönt den Aufstieg der Bewegung nun mit seinem Vorwahlsieg. Zwar ist damit sein Erfolg gegen einen demokratischen Konkurrenten bei der Wahl im November keineswegs vorgezeichnet, er vertritt sehr radikale Positionen etwa zum Klimawandel. Schon beginnen demokratische Strategen, Paul als unwählbar zu bezeichnen.
Seine Anhänger aber wittern Morgenluft: "Das Establishment in Washington hat alles auf Paul geschleudert - und er hat dennoch gesiegt", jubelt Republikaner-Senator Jim De Mint, einer der Wortführer der Tea-Party-Bewegung, der "New York Times". "Sein Sieg ist nur Teil einer amerikanischen Erneuerungsbewegung im ganzen Land."