KFC-Lieferung im Tunnel Die Chicken-Schmuggler von Gaza
Hamburg - Den Tunnelschmugglern von Rafah eilt im Nahen Osten ein legendärer Ruf voraus. Sie bauen ganze Oberklasse-Limousinen auseinander und bringen sie dann durch die Röhren in den Gaza-Streifen. Vor dem islamischen Opferfest schleppen sie Kälber und andere Tiere durch die Tunnel, die dann in Gaza geschlachtet werden.
Waffen und Bauteile für Raketen finden seit Jahren ihren Weg durch die Tunnel und gelangen in die Hände militanter Islamisten. Auch die neuesten Smartphones landen so in dem abgeriegelten Küstenstreifen, kaum dass sie auf dem Markt sind. So war das iPhone 5 im Gaza-Streifen früher zu haben als in Israel.
Seit einigen Wochen haben die Schmuggler ihr Angebot noch einmal erweitert, um Chicken Wings und Hähnchen-Burger. Möglich macht das ein kleines Start-up-Unternehmen aus Gaza. Chalil Afranji gründete vor zwei Jahren die Firma Yamama, benannt nach einer Taubenart, die in Ägypten und Palästina heimisch ist. Was als Kurierdienst begann, ist inzwischen ein Lieferservice geworden, der Essen aus mehreren Dutzend Restaurants in Gaza an hungrige Kunden ausliefert.
Vier Stunden zwischen Bestellung und Auslieferung
Diese Restaurants tragen Namen, die nach großer weiter Welt klingen, wie "Lighthouse" und "Key West". Doch nun haben sie prominente Konkurrenz bekommen. Yamama liefert jetzt nämlich auch Menüs der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken aus. Wobei Fast Food zumindest für die Lieferzeit nicht zutrifft, schließlich vergehen zwischen Bestellung und Auslieferung mindestens vier Stunden.
Jedes Menü hat nämlich einen langen Weg hinter sich, bevor es beim Kunden ankommt. Die Hähnchen werden in der KFC-Filiale in Arisch zubereitet. Diese Stadt liegt auf der ägyptischen Seite der Grenze, gute 50 Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt. Aus Arisch bringen ägyptische Taxifahrer die Gerichte bis in die Grenzstadt Rafah. Dort übernehmen die Schmuggler, meistens junge Ägypter, die nicht mehr ganz so heiße Ware und bringen sie durch einen der Dutzenden Tunnel. Dann bringen palästinensische Taxifahrer das Essen in die Yamama-Zentrale nach Gaza-Stadt. Die Kuriere liefern die Hähnchen schließlich an die Kunden aus.
Keine Sonderwünsche
Weil der logistische Aufwand dafür zu hoch ist, nimmt Yamama-Chef Afranji nur Sammelbestellungen mit mindestens 30 Menüs auf. "An den vergangenen beiden Freitagen haben wir jeweils fast 50 Gerichte ausgeliefert", sagt der 31-Jährige zu SPIEGEL ONLINE. Sonderwünsche seien aber nicht möglich, weil sonst die Lieferanten bei der großen Zahl an Menüs durcheinanderkämen.
Für die Kunden im Gaza-Streifen hat der Aufwand seinen Preis: Mindestens hundert Schekel, umgerechnet mehr als 20 Euro, müssen sie für ein Menü berappen. In Ägypten wäre es schon für weniger als die Hälfte zu haben. Außer den Vermittlern von Yamama verdienen Taxifahrer, Schmuggler und die im Gaza-Streifen regierende Hamas an dem Geschäft im Untergrund mit.
Bisher habe er jede Bestellung zuverlässig ausliefern können, versichert Afranji. "Seit Israel die Blockade des Gaza-Streifens gelockert hat, läuft das Geschäft für die Schmuggler nicht mehr so gut." Der Fast-Food-Schmuggel sei daher eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle für die Tunnelbauer.
Der Markt im Gaza-Streifen ist jedenfalls riesig: Etwa 1,7 Millionen Menschen leben in dem Gebiet, der Großteil von ihnen ist unter 30 und sieht im Fernsehen jeden Tag Reklame, die für westliche Konsumgüter und Fast Food wirbt. Der Großteil von ihnen hat seine Heimat, die kleiner ist als die Stadt Köln, noch nie verlassen. Für sie kann schon der Biss in eine kalte, labberige Hähnchenkeule ein Stück Freiheit bedeuten.