Staatliche Übernahme Türkei bringt Oppositionsblatt "Zaman" auf Regierungskurs

Am Freitag stürmten Polizisten die Redaktion der türkischen Zeitung "Zaman", das regierungskritische Blatt wurde vom Staat übernommen. Jetzt lächelt Präsident Erdogan von der Titelseite.
Titelseite der Sonntagsausgabe von "Zaman"

Titelseite der Sonntagsausgabe von "Zaman"

Nach der Übernahme der größten türkischen Oppositionszeitung "Zaman" haben Treuhänder das Blatt auf Regierungslinie gebracht. Die Sonntagsausgabe des Blattes erschien mit einem Foto von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan  auf der Titelseite. Weiteres Thema ist die fast fertiggestellte dritte Bosporus-Brücke - ein Prestigeprojekt Erdogans.

Die Zeitung war am Freitag unter Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. Kurz nach der Anordnung der Intervention hatte die Polizei das Verlagsgebäude in Istanbul unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gestürmt.

Die "Zaman" ist eine der größten Zeitungen der Türkei und steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Erdogan, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens "Hizmet"-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden. Gülen wird vorgeworfen, "parallele Strukturen" - also einen Staat im Staate - in der Türkei gegründet zu haben mit dem Ziel, Erdogan zu entmachten. Mit Putsch-Vorwürfen gegen "Zaman"-Journalisten rechtfertigte auch Ministerpräsident Ahmet Davutoglu das Vorgehen vom Wochenende.

"Das Ende der Pressefreiheit in der Türkei"

Der Schlag gegen die regierungskritische Zeitung sorgte weltweit für Entrüstung. "Die Türkei ist dabei, eine historische Chance der Annäherung an die Europäische Union zu verspielen", warnte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz im "Tagesspiegel"  . Schulz kündigte an, die Erstürmung der Zeitung direkt bei Davutoglu vor dem EU-Gipfel am Montag anzusprechen. Die Türkei sei für die EU ein wichtiger strategischer Partner. Es könne für sie allerdings "keinen Rabatt" geben. Es sei klar, dass "die EU bei der Einhaltung ihrer Grundwerte keine Abstriche machen wird".

"In einer Demokratie sollten kritische Meinungen nicht zum Schweigen gebracht werden, sondern sie sollten bestärkt werden", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby, am Freitag. Die türkische Regierung müsse sicherstellen, dass die Pressefreiheit eingehalten werde.

Auch Amnesty International nannte die Aktionen einen schweren Schlag gegen die Pressefreiheit. "Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Präsident Erdogan Menschenrechte nieder", teilte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner, mit.

Die Chefredakteurin des englischsprachigen Schwesterblattes "Today's Zaman", Sevgi Akarcesme, bezeichnete das Vorgehen gegen die "Zaman"-Redaktion in Istanbul als "das Ende der Pressefreiheit in der Türkei". Es gebe dort keine Rechtsstaatlichkeit mehr. "Die Regierung hat unsere Zeitung konfisziert", sagte Akarcesme am Samstag.

Regierung und Justiz in der Türkei waren in den vergangenen Monaten gegen mehrere kritische Medien vorgegangen, unter anderem wurde die Gülen-nahe Zeitung "Bugün" im vergangenen Jahr unter Treuhandverwaltung gestellt und auf Regierungskurs gebracht. Nicht alle von den staatlichen Repressionen betroffenen Medien stehen jedoch der Gülen-Bewegung nahe.

Die Entscheidung der türkischen Sonderrichter, das Blatt unter eine Treuhandverwaltung zu stellen, kann von der ordentlichen Justiz überprüft werden. Ein solcher Prozess dürfte aber lange dauern, und sein Ausgang wäre ungewiss.

cst/dpa
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