Zensur im Irak US-Armee sperrt Kriegsfotografen aus
New York - Zoriah Miller ist ein alter Kriegs- und Katastrophenveteran. Obwohl erst 32, kennt sich der US-Fotojournalist an den härtesten Krisenherden der Welt aus: Afghanistan, Pakistan, Israel, Gaza. Berühmt wurde er mit seinen Bildern vom Tsunami 2004, zuletzt dokumentierte er den Irak-Krieg.
Und ausgerechnet dort, im Irak, stieß Miller - ein knallharter Desaster-Spezialist, der etliche Überlebenstrainingskurse absolviert hat - nun erstmals an seine Grenzen. Doch es war nicht die tägliche Lebensgefahr, vor der er schließlich kapitulieren musste oder das Klima. Es war das US-Militär.
"So schnell", sagt Miller SPIEGEL ONLINE, "komme ich wohl nicht mehr in den Irak." Er darf nicht mehr.
Ende Juni war Miller in der Provinz Anbar mit Marineinfanteristen auf Patrouille, wie üblich in eine Einheit "embedded" (eingebettet). Sie stießen auf den Schauplatz eines frischen Bombenanschlags, bei dem 20 Menschen umkamen, darunter drei US-Soldaten. Miller fotografierte reflexartig los: Leichenteile, Verwundete, Blutlachen. Drei Tage später veröffentlichte er die Bilder in seinem Blog.
Das war der Anfang vom Ende seines Irak-Einsatzes. Die Militärs verlangten sofort, dass Miller die Fotos ihrer Kameraden von seinem Blog entferne. Als er sich weigerte, wurde er ausgeflogen und verlor seine Akkreditierung für alle Marineinfanterie-Einheiten im Irak.
"Seine Fotos und sein Blog verletzten die Verhaltensregeln für Medien", bestätigte Lieutenant Brian Block, Sprecher der US-geführten Multi National Forces in Falludscha, SPIEGEL ONLINE. Miller dürfe nicht länger "über unsere Operationen berichten".
"Das ist Zensur", sagt Miller, der schon oft ähnliche Bilder publiziert hat - bisher ohne Probleme. "Wenn mir jemand reinredet, was ich fotografieren darf und was nicht, ist das eindeutig Zensur." Seine Hoffnung, in anderen Einheiten weiter fotografieren zu können, zerschlug sich nach einem Rundspruch der Marines durch die gesamten US-Streitkräfte im Irak. "Niemand", sei ihm gesagt worden, "wird dich je wieder mitnehmen." Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als den Irak zu verlassen.
Miller ist das jüngste und bisher krasseste Beispiel dafür, mit welchen Mitteln das US-Militär im Irak Fotojournalisten unter Druck setzt. Mehrere internationale Fotografen bestätigten im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE einen Bericht der "New York Times", wonach die US-Truppenführung sie im Irak bei ihrer Arbeit zunehmend behindert. So werde ihnen der Zugang zu Fronteinsätzen oder zu blutigen Szenen immer öfter verwehrt. Andere seien auf Dauer aus den Einheiten verbannt worden.
Es ist ein sensibles Thema, bei dem sich beide Seiten im Recht fühlen. Die Militärs begründen ihr hartes Durchgreifen damit, dass solche Bilder dem Feind in die Hände spielten und "unsere Soldaten in Gefahr bringen", wie es Militärsprecher Block formuliert. Die Fotografen halten die Pressefreiheit dagegen und werfen dem Militär vor, ihre Fotos aus politischen Gründen zu zensieren, um das Image eines längst unbeliebten Krieges zu manipulieren.
"Wir sind hier, um über einen Krieg zu berichten"
"Fünf Jahre Krieg, und es existiert nicht mal ein halbes Dutzend Fotos toter US-Soldaten", sagt Michael Kamber, der derzeit als Fotograf im Bagdader Büro der "New York Times" arbeitet und ähnliche Erfahrungen wie Miller gemacht hat, SPIEGEL ONLINE. "Die wollen, dass wir Wiederaufbauprojekte fotografieren. Aber wir sind hier, um über einen Krieg zu berichten."
Es waren Fotograf Kamber und Reporter Tim Arango, die "die wachsenden Bemühungen des US-Militärs, die harten Bilder des Krieges zu kontrollieren", erstmals in einem Artikel schilderten. Ihr Bericht löste ein breites Echo aus. "New York Times"-Ombudsmann Clark Hoyt berichtete von scharfen Protesten von Soldaten gegen die Veröffentlichung solcher Fotos. Chefredakteur Bill Keller verteidigte sie: "Dies bei unserer Berichterstattung auszunehmen wäre ein Bärendienst."
Kamber vergleicht die Kontroverse mit dem Vietnam-Krieg, der visuell ausführlich dokumentiert wurde: "Damals merkte die Regierung, dass die öffentliche Meinung über den Krieg maßgeblich von den Bildern geprägt wurde", sagt er. "Das wollen sie diesmal verhindern."
Denn der Streit findet in einer politisch aufgeheizten Atmosphäre statt. Der Irak-Krieg, der Nutzen der jüngsten Truppenaufstockung und ein möglicher Abzugszeitplan gehören zu den größten Reizthemen des US-Wahlkampfes.
Tote, Selbstmordanschläge, Leichenschauhäuser - tabu
Alle Journalisten, die sich im Irak den Truppen anschließen, müssen zuvor den "Ground Rules" des Pentagons zustimmen. Deren aktuelle Version besagt zwar ausdrücklich: "Den Medien ist es nicht verboten, über Verwundete und Tote zu berichten." Doch gibt es Bedingungen: Fotos verletzter Soldaten dürfen nur mit "schriftlicher Zustimmung des Soldaten" veröffentlicht werden - und bei toten Soldaten erst nach Benachrichtigung der Angehörigen.
Zoriah Miller hatte das tatsächlich abgewartet - die Fotos erschienen erst drei Tage später. Doch die Marines nannten noch einen anderen Grund. Millers Bilder seien nicht nur "geschmacklos" gewesen, erklärte Block. Auch habe Miller dem Feind damit "einen Bericht über die Effektivität der Attacke geliefert".
Das, sagt Miller, sei natürlich ein "pauschales Argument", mit dem sich "jedes Foto im Irak verhindern" lasse. Ein Argument, das er und seine Kollegen immer öfter zu hören bekämen - mit dramatischen Folgen: "Eine Reihe von Journalisten hat es deshalb inzwischen ganz aufgegeben, aus dem Irak zu berichten."
Das Marine Corps hält die Aufregung für übertrieben. "Seit dieser Krieg begann, haben wir Tausende von Journalisten eingebettet", erklärt Lieutenant Block. "Es ist ein Privileg, das aber auch auf dem Vertrauensverhältnis zwischen den Reportern und den Einheiten beruht, die für ihre Sicherheit sorgen."
"Ich möchte das Ende der Geschichte miterleben"
Seine Arbeit sei mittlerweile "fast unmöglich geworden", sagt jedoch auch "New York Times"-Fotograf Kamber. "Sie lassen uns nicht mehr in die Gefechtszonen." Früher habe er seinen Job noch "mit einem bestimmten Grad an Freiheit" erledigen können. Neuerdings sei alles tabu: Tote, Gefangene, Selbstmordanschläge, Autobomben, Kliniken, Leichenschauhäuser. "Langsam wird es immer schwieriger, ordentliche fotografische Beweise für den menschlichen Preis dieses Krieges zu liefern."
Diese Erfahrung hat auch der Fotograf Franco Pagnetti von der VII Photo Agency gemacht. Als er zuletzt im April für das Magazin "Time" im Irak war, sei ihm der Zugang zu Sadr City verwehrt worden, berichtet er SPIEGEL ONLINE. Begründung: Es sei "zu gefährlich". Pagnetti lacht und sagt: "Ich war an den schlimmsten Orten - Falludschah, Ramadi, Dijala. Nie zuvor hat mir jemand gesagt, das sei zu gefährlich."
Pagnetti vermutet, dass die US-Regierung die Irak-Optik von Bildern leidender Amerikaner "säubern" wolle, um zu verschleiern, dass bis heute US-Truppen die meiste Arbeit leisteten und nicht die irakische Armee. Der Fotograf, der in Mailand lebt, hofft trotzdem, bald wieder in den Irak zurückzukehren: "Ich möchte das Ende dieser Geschichte noch miterleben."
Chris Hondros, ein Fotograf für die Agentur Getty, wurde aus seiner US-Einheit verbannt, nachdem er Fotos verletzter Zivilisten veröffentlicht hatte. Seither kam er zwar bei anderen Truppenteilen unter. Dennoch: "Ich habe bemerkt, wie sie einen von der Front fernhalten", sagt er SPIEGEL ONLINE. "Das generelle Gefühl ist, dass es schwieriger wird."
"Wir befinden uns in einem ständigen Drahtseilakt"
Hondros kann das allerdings auch verstehen: Früher seien blutige Bilder repräsentativ für das Chaos im Irak gewesen. Jetzt, wo die Lage in "95 Prozent des Iraks angespannt, aber relativ ruhig" sei, seien solche Bilder nach Ansicht vieler Soldaten "eine unfaire Darstellung".
"Wir Journalisten befinden uns in einem ständigen Drahtseilakt mit dem amerikanischen Militär", sagt der preisgekrönte Kriegsfotograf Tim Hetherington SPIEGEL ONLINE. Sein Bild eines Soldaten in Afghanistan war im Februar als Pressefoto des Jahres 2007 ausgezeichnet worden.
Er selbst sei "noch nie zensiert worden", sagt Hetherington, der überwiegend in Afghanistan arbeitet. "Die Dynamik dieses Drahtseilaktes ist von Ort zu Ort verschieden." Doch sprächen einige Soldaten nicht mehr mit ihm, seit eine besonders brutale Aufnahme, die er gemacht habe, im TV-Sender ABC gezeigt worden sei.
Zoriah Miller hat sich unterdessen ein neues Krisengebiet ausgesucht. Er ist jetzt nach Gaza gereist. Dort, hofft er, wird ihm keiner reinreden.