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Vernichtung von C-Waffen: Tödliche Gase im Hochofen

Foto: AP/ ORT

Zerstörung von Chemiewaffen Abrüstung bei 815 Grad

Das US-Militär verkauft es als Meisterleistung: Zehntausende Tonnen hochgiftiger Chemikalien sind im Spezialofen verbrannt worden, das größte Chemiewaffen-Lager der Welt steht leer. Doch tatsächlich stockt der Zeitplan für die Abrüstung gewaltig, nicht nur in den USA.

Stockton/Hamburg - Um exakt 14.11 Uhr am Mittwochnachmittag war die letzte Ladung Senfgas gar. Auf einem Förderband rutschten 23 Projektile aus dem Spezialbackofen des Army Deseret Chemical Depot im US-Bundesstaat Utah. Zwei Stunden Backzeit bei 815 Grad haben von dem hochgiftigen Kampfstoff wenig übriggelassen. Nach Angaben des Pentagon sind damit die letzten Chemiewaffen in der einst größten Lagerstätte der Welt zerstört. Fast 14.000 Tonnen waren dort zu Hochzeiten des Kalten Krieges deponiert.

Der 18. Januar 2012 markiert demnach einen Meilenstein im Kampf gegen die gefährlichen Waffen und wurde von den US-Streitkräften entsprechend medienwirksam aufbereitet. 90 Prozent ihrer Chemiewaffen-Bestände haben die USA bis zum gestrigen Tag vernichtet. Diese Botschaft sollte im Vordergrund stehen, Pressekonferenz und umfangreiches Infomaterial inklusive. Von "großer Freude und Zufriedenheit" sprach der Projektmanager in der Hochsicherheitsanlage.

Das Depot, in dem laut "Washington Post" auch beschlagnahmte Giftgas-Reserven des Nazi-Regimes eingelagert waren, gleicht einer Festung. Meterhohe Stacheldrahtzäune, schwer bewaffnete Wachleute und aufwendigste Kameratechnik sollten die tödlichen Lagerbestände in ihren unterirdischen Bunkern im Wüstensand schützen. Mehr als 1000 Menschen waren hier bis zuletzt mit der komplexen Entschärfung der C-Waffen beschäftigt.

Tatsächlich jedoch soll das Mediengetöse wohl über einen anderen, weniger positiven Befund hinwegtäuschen. Eigentlich sollten bis zum 29. April 2012 sämtliche C-Waffenbestände abgebaut worden sein. Diesen Termin werden die USA nicht schaffen. Sie liegen mindestens neun Jahre hinter dem Zeitplan zurück. Frühestens 2021, so erklärt es das Pentagon, werde man bei 100 Prozent angelangt sein.

"Da kommt die Vernichtung der letzten Waffen aus dem einst größten Lager der Erde natürlich gerade recht", sagt Jan van Aken, früher Waffeninspektor bei den Vereinten Nationen und heute für die Linken im Bundestag. Im Rahmen des Forschungsprojekts "The Sunshine Project" hat sich van Aken über viele Jahre mit der Bedrohung durch chemische und biologische Waffen beschäftigt.

42.000 Tonnen C-Waffen zerstört

Die USA befänden sich zwar auf einem guten Weg, so van Aken. Trotzdem stelle sich die Frage, "warum ein so hochtechnologisiertes Land eine Deadline um so viele Jahre verpasst". Immerhin liegt das US-Militär bei der Menge der unschädlichen Waffen deutlich vor den Russen, die nach Informationen der Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW) bisher erst knapp die Hälfte ihrer Bestände vernichtet haben.

Weltweit, so schätzt es die OPCW, sind bisher rund 60 Prozent, oder ca. 42.000 Tonnen, der Chemiewaffen der Kategorie Eins zerstört worden (Stand Juli 2010). Darunter fallen Stoffe, die ein besonders hohes Verletzungsrisiko bergen - und kaum außerhalb der Kriegsführung eingesetzt werden können. Senfgas, das auf der Haut schwerste Verbrennungen verursacht, gehört zu dieser Kategorie.

Zwei Varianten werden üblicherweise bei der Vernichtung chemischer Kriegsmittel eingesetzt:

Verbrennung: Wie bei den Senfgasgeschossen in Utah werden hier die giftigen Bestandteile hohen Temperaturen ausgesetzt. Je nach Waffentyp muss ein Geschoss vorher aufwendig zerlegt werden. Dabei kommen, zumindest in den USA, häufig Roboter zum Einsatz. Damit soll das Risiko für die Beschäftigten gering gehalten werden.

Neutralisation: Diese Variante wird meist bei großen Mengen an Giftstoffen eingesetzt - vor allem, wenn diese nicht in einem Sprengsatz verbaut sind. Durch den Zusatz anderer Chemikalien oder teils auch nur die Zugabe von Wasser werden die Wirkstoffe neutralisiert und später als Sondermüll weiterverarbeitet. An den beiden verbleibenden US-Lagerstätten in Pueblo, Colorado, und Richmond, Kentucky, wird diese Variante eingesetzt.

Eigentlich, so Experte van Aken, bieten die internationalen Abrüstungsbemühungen Grund zum Optimismus. C-Waffen sind nicht nur durch die Genfer Konventionen geächtet, 188 Staaten haben zudem eine Chemiewaffenkonvention ratifiziert. Diese regelt die weltweite Abrüstung und sieht eine komplette Zerstörung der C-Waffen-Bestände bis April 2012 vor. Fünf Staaten haben die Ratifizieren der Konvention bisher verweigert: Syrien, Ägypten, Somalia, Nordkorea und Angola.

Eine Ratifizierung bedeutet jedoch nicht, dass auch tatsächlich Waffenbestände gemeldet werden - oder gar mit deren Abrüstung begonnen wird. Neben Russland und den USA sind derzeit fünf weitere Länder bei der OPCW als Besitzer entsprechender Kriegsmittel registriert, davon haben nur Albanien und Indien bisher eine hundertprozentige Vernichtung aller Reserven gemeldet.

Ein weiterer Staat, vermutlich Südkorea, hat ebenfalls sein komplettes Arsenal abgebaut, will aber im OPCW-Report nicht genannt werden. Es bleiben Libyen und der Irak, beide Länder hatten bei der letzten Meldung im Juli 2010 noch nicht mit der Zerstörung der Kampfmittel begonnen.

In vielen Ländern wird Giftgas vermutet

Deutlich mehr Sorgen bereiten Jan van Aken jene Länder, die ihre Bestände bisher nicht offengelegt haben: Niemand könne genau sagen, welche Waffen noch in welchen Bunkern lagern. "Das Problem ist, dass chemische Waffen vergleichsweise einfach und kostengünstig in großen Mengen herzustellen sind", sagt von Aken. Die hochgefährliche Entsorgung derselben Waffen verschlingt dagegen gewaltige Summen.

Ein Dutzend Staaten listet allein das Monterey Institute of International Studies in einer Untersuchung als "möglicherweise" oder sogar "wahrscheinlich" im Besitz von C-Waffen auf. Darunter finden sich Länder wie China, Ägypten oder Pakistan.

mit Material von AP
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