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Libyen: Streumunition gegen das eigene Volk

Foto: Marcel Mettelsiefen

Zivilisten unter Beschuss Gaddafi-Armee setzt Streubomben ein

Der Kampf um die libysche Stadt Misurata wird immer härter. Die Rebellen werfen den Gaddafi-Truppen nun vor, vermehrt Streubomben einzusetzen - an der Front, aber auch in Wohngebieten. Die Regierung in Tripolis bestreitet die Berichte als "surreal".

Misurata - Libysche Rebellen werfen den Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi den Einsatz international geächteter Streubomben vor. "In der vergangenen Nacht war das wie Regen", sagte ein Aufständischer am Freitag zur Lage in der heftig umkämpften Stadt Misurata.

SPIEGEL-ONLINE-Reporter Jonathan Stock berichtet aus Misurata, dass Menschen die Hüllen der Streubomben gesammelt, und im Hinterhof der medizinischen Universität und des Gerichtsgebäudes zusammengetragen haben. Nach Angaben von Zivilisten und Aufständischen werden die Streubomben bereits seit mehr als einer Woche eingesetzt, seit zwei Tagen allerdings verstärkt. Meistens kommen sie an der Front zum Einsatz, seltener in Wohngebieten.

Streubomben explodieren in der Luft und verteilen unkontrolliert viele kleine Sprengsätze, sogenannte Submunition oder "bomblets". Werden sie in Wohngebieten eingesetzt, ist die Gefahr sehr groß, dass es zivile Opfer gibt. Internationale Abkommen ächten daher den Einsatz von Streubomben.

US-Außenministerin Hillary Clinton sagte am Freitag auf der Nato-Konferenz in Berlin, sie wisse nichts von einem Streubombeneinsatz in Libyen. Sie sei aber auch nicht überrascht darüber, "was Gaddafi und seine Truppen tun". Vor rund zwei Wochen war bekannt geworden, dass die Armee des Machthabers auch Landminen ausgelegt hat.

Die libysche Führung bestreitet den Einsatz der Munition. "Wir tun das nie", wies Regierungssprecher Mussa Ibrahim in der Hauptstadt Tripolis die Vorwürfe zum Einsatz von Streubomben zurück. Die Berichte seien "surreal". Die Aufständischen müssten Beweise dafür vorlegen.

"New York Times"-Reporter haben in Misurata nach eigenen Angaben Reste von Streubomben gefunden, die sich einer ganz konkreten Herstellerfabrik in Spanien zuordnen ließen. Dort sollen die Bomben im Jahr 2007 produziert worden sein, ein Jahr bevor die Regierung in Madrid die internationale Streubomben-Konvention unterzeichnete. Die Konvention trat 2010 in Kraft.

Auch die in den USA ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bestätigte den Einsatz der Munition. Mitarbeiter hätten vor Ort Teile von mindestens drei Streubomben gefunden.

Heftige Schusswechsel

Nach Angaben von Ärzten in der ostlibyschen Stadt Bengasi wurden in Misurata am Freitag acht Aufständische getötet. Im Tagesverlauf wurden die Schusswechsel und Kämpfe in der Stadt zusehends heftiger und verlagerten sich in Richtung des Stadtzentrums, wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Den ganzen Tag über waren zudem aus verschiedenen Stadtteilen starke Explosionen zu hören. Die Rebellen richteten rund um ein verlassenes Wohnviertel, in dem sie Anhänger Gaddafis vermuteten, Straßensperren ein.

Nach Angaben der Aufständischen hielten sich die Gaddafi-treuen Soldaten vor allem in einem Gebiet unweit einer Hauptstraße auf, von wo sie Granaten, Mörser und auch die Streubomben abfeuerten. Die Nato müsse diese Gegend beschießen, forderte ein Rebell. Dort befänden sich keine Zivilisten mehr.

In den Gängen der zentralen Markthalle von Misurata türmte sich Geröll, im Dach klafften Löcher von Granateneinschlägen. In dem Gebäude patrouillierten junge Rebellen mit Kalaschnikows über den Schultern durch die Hallen, um regierungstreue Kämpfer aufzuspüren.

"Nur Allah, Muammar und Libyen"

Unterdessen wandte sich die Gaddafi-Tochter Aisha am Freitag an die Öffentlichkeit. In der Hauptstadt Tripolis rief sie zu einem Ende der Nato-Luftangriffe auf. "Lasst unseren Himmel mit euren Bomben in Ruhe", rief sie mit hochgestreckter Faust vor Hunderten jubelnden Gaddafi-Anhängern. "Wir sind ein Volk, das nicht besiegt werden kann."

Aisha winkte der Menge vom Balkon der Bab al-Asisija zu, einem militärischen Komplex, der bei Angriffen des US-Militärs vor 25 Jahren stark beschädigt worden war. Als sie ein Kind gewesen sei, seien auf dieses Gebäude dieselben Bomben gefallen wie jetzt, sagte sie. Hunderte Anhänger Gaddafis hatten sich dort am Donnerstag und Freitag versammelt und riefen Parolen wie "Nur Allah, Muammar und Libyen".

Die Uno-Flüchtlingskommission machte am Freitag auf einen bevorstehenden akuten Mangel an Geldern für ihre Einsätze in Libyen und dessen Nachbarländern aufmerksam. Ein Sprecher teilte mit, 40 Millionen Dollar an Spenden seien bereits ausgegeben worden. Ohne weitere finanzielle Unterstützung sei die humanitäre Hilfe für Zehntausende Libyer in Gefahr.

Auch der Internationalen Organisation für Migration fehlen nach eigenen Angaben die Gelder, um rund 8000 Ausländer aus der Hafenstadt Misurata in Sicherheit zu bringen.

wal/AFP/dapd
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