Zukunftspläne Berlusconi macht ein bisschen Finito

Italiens Premier erwägt offenbar seinen Rückzug aus dem politischen Leben - jedenfalls soll Silvio Berlusconi das einem europäischen Amtskollegen erzählt haben. Vorher allerdings will er noch das Justizwesen seiner Heimat reformieren. Für viele Landsleute klingt das eher nach einer Drohung.
Italiens Ministerpräsident Berlusconi: Bye-bye, Politik?

Italiens Ministerpräsident Berlusconi: Bye-bye, Politik?

Foto: FILIPPO MONTEFORTE/ AFP

Silvio Berlusconi

Rom - Geht so der Anfang vom Ende? Es war einmal an einem späten Gipfelabend in Brüssel, die 27 Regierungschefs legten eine kleine Beratungspause ein. Italiens Ministerpräsident griff sich einen altbekannten Amtskollegen, ebenso wie er selbst ein Mann aus der konservativ-christdemokratischen Parteienfamilie EVP (Europäische Volkspartei).

Vertraulich, unter vier Augen, plauderten beide im fünften Stock des Justus-Lipsius-Gebäudes, dort, wo Europas Regenten regelmäßig zu ihren Gipfeltreffen zusammenkommen. Er gewinne bei den Umfragen wieder deutlich dazu, erzählte Berlusconi seinem Gegenüber, schon liege er wieder über 40 Prozent. Er werde gleichwohl bald aufhören. Zügig werde er noch die Justiz seines Landes reformieren. Danach seien Neuwahlen vermutlich unausweichlich. Und bei denen, verkündete der alternde Medienmogul, "trete ich nicht mehr an". Sein Gesprächspartner berichtete später im kleinen Kreis enger Vertrauter von der überraschenden Ankündigung. Öffentlich will er dazu allerdings nichts mehr sagen.

Wie ernst ist diese kolportierte Selbstenthüllung zu nehmen? Ein neues Stück auf der politischen Operettenbühne Italiens? Oder nur ein neuer Akt? Ist es einer seiner Gags, schon anderntags vergessen, für die Berlusconi berühmt-berüchtigt ist? Oder ist es tatsächlich die Ankündigung seines absehbaren Rückzugs aus der Politik? Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht. Aber es ist gut vorstellbar, dass der 74-Jährige sich zügig ins überaus pralle Privatleben zurückziehen will.

Das Amt macht ihm kaum noch Freude, sein Glanz ist auch in Italien verblasst, im Ausland lacht man nur noch über ihn. Die Zipperlein nehmen zu, die Müdigkeit übermannt ihn immer öfter, gelegentlich schläft er in aller Öffentlichkeit ein. Warum nicht in Rente gehen?

Gerichtsverfahren können lange dauern - 10, 15, 20 Jahre

Finanzielle Sorgen muss sich der Milliardär gewiss nicht machen, langweilig wird ihm bestimmt auch nicht: Er ist befreundet mit vielen mächtigen Männern, etwa dem russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin, und mit vielen schönen jungen Frauen. Nur die italienische Justiz gibt keine Ruhe. Gleich vier Prozesse führt sie gerade gleichzeitig gegen ihn. Die Anklagen reichen von Steuerbetrug über Bestechung bis zu bezahltem Sex mit einer Minderjährigen. Bei einer Verurteilung drohen langjährige Haftstrafen.

So fürchten zumindest die Berlusconi-Kritiker das Schlimmste, wenn der vielfach Angeklagte jetzt daran geht, das Rechtssystem seines Landes umzubauen. Zwar versichert dieser, es gehe nicht um die laufenden Verfahren gegen ihn. Aber mit den Gesetzesvorschlägen, die seine Regierung jetzt präsentiert hat, wird die Autonomie und Handlungsfähigkeit von Staatsanwälten und Richtern so kräftig beschnitten, dass er sich vor einer Verurteilung weniger fürchten muss denn je.

Italiens Justizwesen ist tatsächlich - da sind sich Regierung, Opposition, Richter, Staatsanwälte und vermutlich das gesamte Volk einig - dringend reformbedürftig. Und zwar seit langem. Strafprozesse dauern im Schnitt acht Jahre, bis ein Urteil ergeht. Wer seinen Nachbarn oder einen Lieferanten verklagt, muss zwei, drei Jahre auf den ersten Gerichtstermin warten. Der anschließende Weg durch die Instanzen kann 10, 15, 20 Jahre dauern - oft ist der auf Zahlung klagende Handwerker längst pleite, wenn der Richterspruch verkündet wird. Von einem funktionierenden Rechtsstaat kann keine Rede sein. Das System macht vielleicht Anwälten und Notaren noch einige Freude, weil sie gut daran verdienen. Alle anderen verzweifeln. Doch über die Ursachen der Misere und die richtigen Rezepte dagegen streitet Italiens Politik seit vielen Jahren - geschehen ist bislang nichts.

Will Berlusconi nur die alten Feindbilder aufpolieren?

Zu wenig Personal, keine Mittel, kaum Computer, Mangel an Kopiergeräten, oft fehlen selbst Kugelschreiber und Papier. Und die Justiz bemängelt viel zu viele und viel zu komplizierte Gesetze und Verfahrensregeln. Ganz anders sieht es der Regierungschef, der Italiens Rechtswesen umbauen will, seit er 1994 in die Politik einstieg. Jetzt nimmt er, nach etlichen gescheiterten Versuchen, einen neuen Anlauf. Der bislang einheitliche Justizapparat soll in zwei separate Organe - eines für Richter und eines für Staatsanwälte - aufgeteilt werden. Letztere sollen nach den neuen Regierungsplänen zivilrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie fehlerhaft ermitteln. Außerdem sollen sie nicht mehr allein bestimmen dürfen, bei welchen Delikten sie aktiv werden.

Die Opposition spricht von Verfassungsbruch, Richter und Staatsanwälte sehen einen Grundpfeiler der Demokratie kippen, die Gewaltenteilung. Die Regierung kommt täglich mit neuen Vorschlägen. Der italienische Bürger hat längst die Übersicht verloren. Aber vielleicht ist das ja genau das Konzept dieser "epochalen Reform". Berlusconi und seine Helfer haben womöglich nur eines im Sinn: das Feindbild aufpolieren! Die Justiz verfolgt den Ministerpräsidenten nur, das soll dem Volk vermittelt werden, weil sie mehrheitlich "links" und "kommunistisch" orientiert ist und ihm, dem konservativen und beliebten Regierungschef, daher feindlich gesinnt.

Das Duell ist damit klar: Berlusconi (Selbsteinschätzung: "Ich bin mutig, furchtlos, vielleicht auch ein wenig heroisch und verrückt") gegen die "Diktatur von Staatsanwälten und Richtern". So etwas wie "Mani Pulite" werde es nicht mehr geben, kündigt Berlusconi jetzt offen an. "Mani pulite", übersetzt "saubere Hände", nannte sich die Gruppe Mailänder Staatsanwälte, die Anfang der neunziger Jahre ein gigantisches Korruptionsgeflecht aufdeckte und reihenweise Politiker und Geschäftsleute aburteilte. Da empört sich selbst der langjährige Gefährte von Berlusconi, der vom Postfaschisten zum Zentrumspolitiker gewandelte Gianfranco Fini: "Wäre es etwa besser gewesen, das korrupte System unangetastet zu lassen?"

Die Sache mit dem Geburtsdatum

Während auf der politischen Bühne das Stück "Justizreform" läuft, geht es in den Kulissen weiter zu wie in den B-Movies von Berlusconis TV-Sendern. Die Zeitung "Il Fatto Quotidiano" berichtet, wie zwei Italiener und ein Marokkaner am 7. Februar im marokkanischen Städtchen Fkih Ben Salah bei der Standesbeamtin des Orts vorstellig wurden. Dort kam 1992 ein Mädchen zur Welt, das etwa 17 Jahre später als "Ruby" Stammgast im Hause des italienischen Regierungschefs und ein belebendes Element seiner "Bunga Bunga"-Partys gewesen sein soll. Den Gastgeber bringt das nun vor Gericht.

Die Besucher boten laut dem Zeitungsbericht einen Deal an: Die Beamtin möge das Geburtsjahr des Mädels von 1992 auf 1990 ändern, dafür bekäme sie eine "bedeutende Summe" Geld. Die Amtsfrau lehnte nach eigenen Angaben ab, und Berlusconis Anwälte beeilten sich zu versichern, der Premier habe mit der Aktion nichts zu tun. Vielleicht wolle man ihm damit ja nur schaden.

Dumm nur, dass die zum Berlusconi-Imperium gehörende Zeitung "Il Giornale" ihren Oberchef kurz zuvor so zitiert hatte: "Wir haben den Beweis, dass Ruby in den marokkanischen Melderegistern zwei Jahre nach ihrer Geburt eingetragen wurde. Den Beweis werden wir im Prozess liefern."

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Rom in Marokko. Einstweilen gegen Unbekannt.

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