

Kairo - Auf das genaue Ergebnis der zweiten Runde des Referendums über den neuen Verfassungsentwurf wird man wohl noch bis Montag warten müssen, aber die Muslimbrüder um Präsident Mohammed Mursi geben sich bereits siegesgewiss: Nach der Zustimmung zu einer Verfassung würden sich alle Ägypter in dieselbe Richtung bewegen, sagte Mohammed Badie, Chef der Muslimbruderschaft.
Schon vor der zweiten Abstimmung zeichnete sich eine Mehrheit für den Entwurf ab, an dem vor allem islamistische Hardliner mitgearbeitet haben. Im ersten Wahlgang in der vergangenen Woche sprachen sich laut Prognosen etwa 56 Prozent der Ägypter für den Entwurf aus. In der zweiten und letzten Runde des Referendums waren nun überwiegend Menschen aus konservativeren, ländlichen Regionen zur Abstimmung aufgerufen - dort erwarten Beobachter eine grundsätzlich höhere Zustimmung zu den neuen Regeln.
Doch auch wenn die Muslimbrüder um Präsident Mursi das Referendum als Neuanfang für Ägypten inszenieren - ein Ende der politischen Krise scheint weit entfernt. Denn Mursi hat die Rückhalt in großen Teilen der Gesellschaft verloren. Auf politischer Ebene wird er mittlerweile fast ausschließlich von den Muslimbrüdern, den radikalen Salafisten und anderen islamistischen Gruppen unterstützt.
Die große Oppositionsgruppe Nationale Heilsfront kündigte bereits Widerstand an: "Wir fühlen uns vom Referendum gestärkt. Wir haben bewiesen, dass mindestens die Hälfte der Gesellschaft nicht mit all dem einverstanden ist", sagte Sprecher Khaled Daoud. Nun werde man die Kräfte für die Abstimmungen im kommenden Jahr sammeln.
Verstöße gegen das Wahlrecht
Während des Referendums war die tiefe Spaltung in der ägyptischen Gesellschaft immer wieder zu Tage getreten. Auf der einen Seite Präsident Mursi samt den islamistischen Hardlinern, die einen Gottesstaat auf Grundlage der Scharia errichten wollen. Auf der anderen Seite eine breite liberale und säkulare Opposition, die durch die neue Verfassung ihre Bürgerrechte beschnitten sieht. Die beiden Fronten lieferten sich in den vergangenen Monaten immer wieder blutige Auseinandersetzungen, zuletzt unmittelbar vor Beginn der zweiten Abstimmung.
Nach der Wahl wurden zunächst keine Ausschreitungen gemeldet. Er habe derzeit "kein Verlangen" nach neuen Straßenprotesten, sagte Oppositionssprecher Daoud. Wegen des großen Andrangs waren die Wahllokale bis 22.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit geöffnet geblieben und damit vier Stunden länger als zunächst geplant.
Wie schon bei der ersten Runde der Abstimmung meldeten Beobachter und ägyptische Medien etliche Verstöße gegen das Wahlrecht. Die revolutionäre Jugendbewegung 6. April, die eigene Beobachter in verschiedene Städte entsandt hatte, berichtete von Beeinflussungen. In mehreren Regionen hätten Islamisten die Wähler genötigt, mit Ja zu stimmen. In der nördlichen Stadt Damietta sei dafür Geld geboten worden.
Zudem seien fünf Mitglieder der Organisation festgenommen worden. In der Stadt Giseh seien Aktivisten abgeführt worden, weil sie die vorzeitige Schließung eines Wahllokals angeprangert hätten.
Vizepräsident Mekki tritt während der Wahl zurück
Noch während der Wahl hatte der ägyptische Vizepräsident Mahmud Mekki seinen Rücktritt erklärt. Dem staatlichen Fernsehen zufolge sagte der Stellvertreter von Präsident Mursi, eigentlich habe er sein Amt bereits im November niederlegen wollen. Er habe diesen Schritt aber wegen der Unruhen in seinem Land sowie wegen des Konflikts zwischen Israel und der Hamas verschoben.
Mekki hatte sich als Richter und scharfer Systemkritiker des 2011 entmachteten Langzeitpräsidenten Husni Mubarak einen Namen gemacht. Er setzte sich auch für die Unabhängigkeit der Justiz ein und wandte sich gegen eine Erweiterung der Machtbefugnisse Mursis. In seinem Rücktrittsschreiben hieß es nun, er habe feststellen müssen, dass sich die politische Arbeit nicht mit seinem beruflichen Hintergrund als Richter vertrage.
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Wahllokal in Gizeh: Ägyptische Frauen registrieren sich für das Verfassungsreferendum.
Bereits vor Öffnung der Wahllokale um 7 Uhr Ortszeit bildeten sich lange Schlangen.
Ägyptische Männer schauen in Wahllisten nach ihrem Namen. Wenige Stunden nach Beginn des Referendums meldeten Aktivisten erneute Verstöße gegen das Wahlrecht. Mehrere Wahllokale hätten zu spät geöffnet und Wähler seien von Islamisten beeinflusst worden, teilte die revolutionäre Jugendbewegung 6. April in einem ersten Resümee mit.
Die Wahllokale bleiben vier Stunden länger geöffnet. Das gab die Wahlkommission nach Angaben des Staatsfernsehens am Nachmittag bekannt. Grund sei der große Andrang bei der Stimmabgabe.
Am Vorabend der Abstimmung hatte es in Alexandria erneut gewaltsame Zusammenstöße gegeben.
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