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GEHEIMDIENSTE Außer Kontrolle

Die jüngste Spitzelaffäre nährt Zweifel an der Reformfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes. Über Monate hat er einen afghanischen Minister ausspioniert und Mails einer SPIEGEL-Journalistin gelesen. Präsident Uhrlau hat die Behörde nicht im Griff. Wie lange kann er den BND noch führen?
aus DER SPIEGEL 18/2008

Es war ein Versprechen, große Worte, gesprochen im Zustand der Zerknirschung. Gesprochen von Ernst Uhrlau, Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND). »Vor dem Privatbereich des Journalisten muss ich Halt machen«, sagte er im Juni 2006 in einem Interview. Der Geheimdienst habe »über die Stränge geschlagen«, künftig gelte »absolute Achtung des Privatbereichs«. Transparenz sei nun wichtig, um »sicherzustellen, dass so etwas wie der Eindruck der Journalisten-Überwachung nicht entsteht«.

Da hatte der BND gerade einen handfesten Skandal hinter sich. Journalisten waren observiert worden, von V-Leuten bespitzelt, gegen Recht und Gesetz. Uhrlau fand, es sei Zeit für solch ein Versprechen.

Er hat es nicht gehalten. So viel ist gewiss. Am 6. Juni 2006, noch acht Tage bevor die wohlfeilen Worte gedruckt wurden, begann jene abenteuerliche Operation, bei der wieder eine Journalistin bespitzelt wurde, die SPIEGEL-Reporterin Susanne Koelbl. Ihren E-Mail-Austausch mit dem afghanischen Handelsminister Amin Farhang hat der BND mitgelesen und damit neuerlich eine Staatsaffäre ausgelöst, diesmal mit schweren außen- und innenpolitischen Schäden.

Der Angriff mittels eines sogenannten Trojaners richtete sich gegen ein Land, zu dem Deutschland so freundschaftliche wie heikle Beziehungen pflegt. 3400 deutsche Soldaten stehen in Afghanistan, und sie müssen der Bevölkerung immer wieder klarmachen, dass sie trotz der Waffen Freunde sind, dass sie einen brüchigen Frieden sichern, damit der Wiederaufbau gelingen kann. Was sollen sie sagen, wenn ihnen vorgehalten wird, dass nicht Freund sein kann, wer einen Angriff startet?

Der Leseangriff fällt in eine Zeit, in der heftig diskutiert wird, wie weit der Staat gehen darf mit der Überwachung seiner Bürger. Online-Durchsuchung, Video-Observation - der Staat will möglichst viel wissen, um seine Bürger vor Terrorangriffen schützen zu können. Aber es stellt sich längst die Frage, ob er nicht überzieht, ob er nicht die Bedürfnisse nach Privatheit und Schutz vor behördlichem Wissensdurst verletzt. Ein Fall wie dieser nährt die Zweifel, ob eine Behörde mit den technischen Möglichkeiten dieser Zeit verantwortlich umgehen kann.

Es ist viel Vertrauen zerstört worden, in Afghanistan und in Deutschland. Zu verantworten hat das vor allem Uhrlau, 61, der aber zunächst bleiben darf. Die Bundeskanzlerin hat am Freitag vergangener Woche mitteilen lassen, dass ihr Vertrauen zu Uhrlau gestört sei, aber nicht zerstört. Er muss wieder versprechen, alles besser zu machen, und wenn er dieses Versprechen noch einmal bricht, muss er gehen.

Kann ein Präsident, der so angeschlagen ist, im BND aufräumen? In einer Behörde, in der es offenkundig drunter und drüber geht und es niemand für nötig hält, Uhrlau über einen schwerwiegenden Spitzelangriff zu unterrichten; in der man lieber hintenrum handelt und auch vor einem anonymen Petzbrief nicht zurückschreckt? »Ich habe ernsthaft Sorgen, dass derlei zu Lasten unserer Sicherheitslage geht und auch künftig die notwendige Arbeit des BND beeinträchtigt«, sagt der SPD-Innenexperte Fritz Rudolf Körper.

Man braucht keine besondere Weitsicht, um zu erkennen, dass der Auslandsgeheimdienst in den kommenden Monaten mehr mit sich selbst als mit den Herausforderungen dieser Welt beschäftigt sein wird. In einer Zeit, in der in Afghanistan und im Irak noch zwei deutsche Staatsbürger entführt sind und eine internationale Krise die nächste jagt, ist das keine gute Nachricht für die Bundesregierung. Sie kann sich auf diesen Dienst nicht verlassen. Dafür ist der jüngste Skandal geradezu ein Lehrbeispiel.

Er begann in einem kleinen Referat der Abteilung 2. Sie ist zuständig für »Technische Beschaffung«, das Abhören von Telekommunikation vor allem, im Jargon des Gewerbes »Signal Intelligence« genannt. Die Abteilung 2 besteht 2006 aus 13 Fachreferaten plus einem Stab (Referat 20A) und hat rund 1000 Mitarbeiter. Die Referate heißen Mofa ("Mobile und operative Fernmeldeaufklärung"), Fakt ("Fernmeldeaufklärung kabelgestützter Telekommunikation") oder Opus ("Operative Unterstützung und Lauschtechnik").

Es sind die Opus-Leute aus dem Referat 26E, die Anfang Juni 2006 einen Angriff auf Afghanistan starten. Er könnte einem Hollywood-Thriller entnommen sein, und das Ausmaß ist weit größer als bislang bekannt. Opus ist nach dem geheimen Geschäftsverteilungsplan für »technisch-operative Angriffe auf IT-Einrichtungen« zuständig, und genau das tun die Beamten: Sie schleusen heimlich einen Trojaner in das Computernetzwerk des Ministeriums für Handel und Industrie, eine Spähsoftware, die sich auf den fremden Rechnern einnistet und in aller Stille hilft, den Inhalt der Festplatten nach Deutschland zu schicken. Warum sich der BND ausgerechnet dieses Ministerium ausgesucht hat und ob noch weitere Regierungsstellen betroffen sind, kann womöglich nie mehr ganz geklärt werden - die Unterlagen zu diesem Fall wurden offenbar weitgehend vernichtet. Das Kanzleramt hat nun eine Sonderprüfung angeordnet.

Mit Hilfe des Trojaners können die Beamten von Opus sehen, was das Ministerium tut, sie bergen einen ganzen Schatz an vertraulichen Daten, interne Dokumente und auch diverse Mail-Adressen samt Passwörtern der Regierung. Darunter ist der elektronische Briefkasten, den der Minister persönlich nutzt: Amin Farhang, 68.

Es gehört zu den Absurditäten dieser Affäre, dass der BND ausgerechnet einen erklärten Freund Deutschlands ins Visier nimmt, einen loyalen Verbündeten, der in Köln studiert hat und mehrere Jahre im berüchtigten Pol-i-Charkhi-Gefängnis bei Kabul saß, ehe er Anfang der Achtziger vor dem Regime nach Bochum fliehen konnte. 2001 kehrte er nach Afghanistan zurück, diesmal »für immer«, wie er sagt, um den Wiederaufbau nach dem Fall des Taliban-Regimes mitzugestalten. Nun ist er Zielscheibe einer deutschen Attacke.

Der Trojaner meldet nach Pullach, dass Farhang eine E-Mail-Adresse des amerikanischen Internet-Anbieters Yahoo nutzt, und das Passwort liefert er gleich mit. Die Beamten können sich ganz normal einloggen und seinen Mailverkehr mitlesen.

In dem Postfach stoßen sie vor allem auf Schriftwechsel innerhalb des Kabuler Ministeriums. Aber es finden sich auch elektronische Briefe der SPIEGEL-Reporterin Koelbl an Farhang, der fließend Deutsch spricht und für Journalisten deshalb eine gute Anlaufstation ist. Koelbl berichtet damals schon seit fünf Jahren aus Afghanistan, und mit der Zeit hat sich ein Vertrauensverhältnis zu Farhang entwickelt.

In der Unterabteilung 26 fallen die Mails mit der Endung spiegel.de sofort auf, die Bearbeiter bitten um Weisung, wie sie verfahren sollen. Zwei Tage lang passiert nichts.

An dieser Stelle hätten im Dienst die Alarmglocken schrillen müssen, ein durchschnittlich begabter Beamter hätte erkennen können, dass sich ein massives Problem abzeichnet. Auch der Leiter des Stabs der Abteilung 2, der eingeweiht ist, hätte reagieren müssen. Aber er reagiert nicht.

Der für die Operation zuständige Opus-Referatsleiter erlässt stattdessen Mitte Juni eine bizarre Order: Offenkundig private Mails von Koelbl an Farhang und retour sollen nicht ausgewertet werden; Mails, deren Betreffzeile nicht eindeutig ist, dürfen die Beamten öffnen, müssen die Lektüre aber abbrechen, wenn es ausschließlich um Privates gehen sollte. Alles andere kann ausgewertet werden, und so liest der Bundesnachrichtendienst über insgesamt sechs Monate mehr als 30 Mails zwischen Koelbl und dem Minister mit.

Der Opus-Referatsleiter ist sich nicht sicher, ob er das darf, und bittet Kollegen um Expertise. Die Juristen in der Abteilung sollen klären, ob es sich um die Überwachung von Telekommunikation handelt. Das fiele unter Artikel 10 des Grundgesetzes, der das Fernmeldegeheimnis schützt. Sie kommen zum Ergebnis: Es handele sich nicht um eine Kommunikationsüberwachung, weil der Austausch der Mails bereits abgeschlossen sei. Die Festplatte des Ministeriums und Farhangs Post, so die eigenwillige Folgerung, dürfe der BND deshalb ohne Ermächtigung auswerten.

Ein charmanter Befund, jedenfalls für die Männer von Opus. Damit können die Pullacher das »Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses« umgehen, das dem BND zwar weitreichende Möglichkeiten einräumt, aber nach einem Verfassungsgerichtsurteil von 1999 auch ein Genehmigungsverfahren vorsieht und ihn an scharfe Regeln bindet.

Mit all diesen lästigen Vorschriften, so werten die Späher die Rechtsauskunft der Juristen, müsse man sich nicht belasten. Sie lesen munter weiter.

Am 27. November 2006, zu Dienstbeginn um acht Uhr früh, loggen sie sich routinemäßig in Farhangs Postfach ein und entdecken eine E-Mail der SPIEGEL-Reporterin. In der Betreffzeile heißt es: »Afghanischer Arzt aus Deutschland in Haft - Justiz verlangt Geld, damit er freikommt«. Die Journalistin schildert darin den Fall eines Afghanen, der unter ungeklärten Umständen verhaftet worden sei; der in Deutschland lebende Sohn des Mannes hatte den SPIEGEL um Hilfe gebeten.

Die Geheimen nehmen abermals eine kreative Abwägung vor: Zwar gelte der Schutz der Presse, aber in diesem Fall zählten auch die Grundrechte des mutmaßlich Verschleppten, selbst dann, wenn der Geheimdienst den Vorgang gar nicht kenne. Die Leute vom BND kommen zu dem Ergebnis, dass sie die Post öffnen dürfen. Vier E-Mails zwischen Farhang und Koelbl über die Verschleppung lesen sie mit.

Die vermeintliche Entführung entpuppt sich als Falschmeldung. Unabhängig davon erhebt eine Juristin nun Einspruch gegen das Lesen der Mails. Daher unterrichtet der Opus-Chef am 27. November seinen Abteilungsleiter, Dieter U. über den neuerlichen Eingriff in die Pressefreiheit. U. verfügt die Löschung aller Mails, die die Journalistin betreffen. Zwei Tage später, am 29. November 2006, stellt der BND die Observation von Farhangs Postfach ein.

Es hätte verschiedene Möglichkeiten gegeben, den heiklen Fall dem Präsidenten zu offenbaren. Spätestens im Frühjahr 2007 hätte der Abteilungsleiter Dieter U. mit der Amtsleitung darüber reden müssen, als eine weitere Online-Panne aufgearbeitet wurde - die Kongo-Affäre.

Die für Quellenführung zuständige Abteilung 1 hatte 2007 im Kongo Computer per Trojaner infiltriert, zur Absicherung des Bundeswehreinsatzes in dem afrikanischen Krisenland. Der Einsatz flog auf, weil einer der BND-Männer das mächtige Spionage-Werkzeug zweckentfremdete, um romantische Post seiner Partnerin an einen Bundeswehrangehörigen abzufangen. Die intimen Mails machten die Runde, der Missbrauch wurde dienstintern publik. Die peinliche Zweckentfremdung führte zu diversen Krisenrunden zwischen dem BND und dem Kanzleramt; seitdem schützt der BND Mails mit der Endung ».de« automatisch vor Erfassung. Doch bei diesen Krisenrunden wird der Afghanistan-Fall nicht angesprochen.

Erst später, im Dezember 2007, erreicht der Skandal den Präsidenten, so sagt es zumindest Uhrlau. Die kritische Juristin wendet sich an die Sicherheitsabteilung 8 und legt die Computerattacke offen, deren Abteilungsleiter spricht mit seinem Kollegen Dieter U. von der Abteilung 2. Am 21. Dezember 2007, dem letzten Arbeitstag vor Weihnachten, informiert U. seinen Präsidenten.

Eigentlich müssten nun das Kanzleramt und die Parlamentarier unterrichtet werden. So verfügt es der Stab nach Uhrlaus Angaben auch, doch das interne Schreiben geht angeblich in einem Haufen Papier unter. Das Kanzleramt nennt dies heute den »zweiten schweren Fehler«.

Bis Mitte Februar 2008 geht ein Brief bei zwei Bundestagsabgeordneten ein, die im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) sitzen. Laut Verteiler ist das Schreiben auch an den SPIEGEL adressiert, wo es aber nicht ankommt. Der Brief stammt offenbar von einem Anonymus aus dem BND und zeigt »einen außergewöhnlichen, weiteren Fall von Journalistenbespitzelung« an. Derzeit werde »versucht, diesen Vorgang im BND zu verschleiern«, heißt es in dem Schreiben, das entscheidenden Anteil an der Aufklärung der Affäre haben wird. Ohne den Brandbrief hätten bis heute wohl weder das Kanzleramt noch die Abgeordneten von der nachrichtendienstlichen Attacke erfahren.

Norbert Röttgen von der CDU zahlt Nachporto, weil der Brief unfrankiert ist, liest und reicht ihn am 25. Februar ans Kanzleramt weiter. Beamte von Kanzleramtsminister Thomas de Maizière fragen am 26. Februar bei Uhrlau nach.

Erst jetzt beginnt im Dienst eine umfassende Aufarbeitung, und siehe da: Die Juristin im Rang einer Sachgebietsleiterin hat noch Kopien einiger Mails im Schreibtisch liegen - 15 Monate nach der Weisung, alles zu eliminieren. Sie vernichtet die Papiere.

Die SPIEGEL-Reporterin wird von Uhrlau zunächst nicht informiert. Sie hat inzwischen Hinweise bekommen, erst vage, dann konkrete, dass ihre Mails gelesen wurden, und bittet um ein Gespräch. Erst auf ihre Fragen gibt Uhrlau die Überwachung zu. Der SPIEGEL lässt straf- und verfassungsrechtliche Schritte prüfen.

Auch Minister Farhang kann den Pullacher Angriff auf sich und sein Ministerium kaum fassen. »Dafür kann ich keine Worte finden, ich bin zutiefst empört«, sagt er. »In Deutschland versteht man offenbar nicht, was eine solche Verwicklung für mich bedeuten kann. In Afghanistan gerät man schnell in Verdacht, ein Spion zu sein, selbst wenn man nur das Opfer einer so unfassbar scheußlichen Tat ist.«

Das wirft die Frage auf, was eigentlich die Aufgabe eines Geheimdienstes in einem Land wie Afghanistan ist. Darf er dort mit allen Methoden des Gewerbes agieren? Oder muss er sich zurückhalten, wenn die Gefahr außenpolitischer Kollateralschäden zu groß ist?

Der BND ist in Afghanistan traditionell sehr aktiv, bis an die Grenzen des Verträglichen. Als im November 2001 auf dem Petersberg bei Bonn 38 afghanische Politiker und Stammesvertreter unter Führung der Uno zusammenkamen, »wurde manchem von uns ganz flau im Magen«, erinnert sich ein Geheimer: Die Anzahl der BND-Zuträger bei der Tagung ging in den zweistelligen Bereich, mehrere der Minister aus Hamid Karzais Übergangsregierung führte der Dienst als V-Leute. In Pullach entflammte eine Debatte darüber, ob der BND zu viele Zugänge habe »und ob wir nicht einzelne Quellen abschalten müssten«. So kam es auch.

Wenn, wie derzeit, die Beziehungen zweier befreundeter Staaten auf dem Spiel stehen, dann würde man sich zumindest wünschen, dass der BND-Präsident persönlich über einen solchen Angriff befindet, nicht der Pförtner oder Referatsleiter. Denn das deutsch-afghanische Verhältnis galt bisher als »ein sehr gutes«, wie Rangin Dadfar Spanta sagt, der Kabuler Außenminister. Bisher.

Es gab ein paar Stunden am Sonntagmorgen vorvergangener Woche, da dachte Spanta, 54, er selbst könnte der Bespitzelte sein. »Plötzlich erinnerst du dich an all die Mails«, erzählt Spanta, »du gehst jede einzelne noch mal durch und checkst, ob du etwas Unzulässiges geschrieben hast.«

An diesem Morgen ist der ansonsten so ruhige Minister kaum wiederzuerkennen. Nervös rutscht er auf seinem barocken Stuhl herum, gestikuliert vor einem Ölbild, das den längst zerbombten Glanz seiner Heimat zeigt. »Ich bin entsetzt und abgestoßen von diesen Methoden, die in einem Rechtsstaat nichts zu suchen haben«, sagt er. Mehrmals hat Spanta vergangene Woche versucht, seinen Kollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu erreichen, erfolglos.

Dass die Amerikaner so etwas machen würden, sagt Spanta, der wie Farhang in der Bundesrepublik studiert hat, »war uns klar«. Doch von Deutschland, »unseren engsten Freunden, dem Land, in dem ich mich als Demokrat immer sicher fühlte«, hätte er einen solchen Angriff »nie für möglich« gehalten. »Für mich war das ein Schock.« Dennoch sagt er: »Wir bleiben Freunde, ich will keinen lauten Skandal provozieren«, fügt aber hinzu: »So etwas darf nie wieder passieren.«

Diese Woche wird sich eine hochrangige deutsche Delegation klare Worte anhören müssen. Von den Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt, die eigentlich zur Vorbereitung der Pariser Afghanistan-Konferenz anreisen, erwartet Spanta eine Erklärung für den Vorgang und auch eine Entschuldigung.

Mindestens so groß wie der außenpolitische Schaden ist der innenpolitische. Der BND hat sich abgekoppelt von der politischen Debatte in Deutschland. Seit Monaten gibt es ein zähes Ringen um den Rechtsstaat und die Frage, in welchem Verhältnis Freiheit und Sicherheit zueinander stehen. Auf der einen Seite stehen die Sicherheitsbehörden und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der gerade erst einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat, der unter anderem die Installation von Videokameras durch das BKA in Wohnungen erlaubt.

Auf der anderen Seite steht ein weitverbreitetes Unwohlsein gegen ein immer breiter gefächertes Überwachungsarsenal, dem das Bundesverfassungsgericht im Februar in seiner wegweisende Entscheidung zur Online-Durchsuchung Ausdruck verliehen hat. Im Kern sagt das Urteil: Die Sicherheitsbehörden dürfen in Notsituationen das tun, was unbedingt nötig ist, um konkrete Gefahren abzuwehren, die etwa Leib oder Leben bedrohen. Sie müssen hingegen unterlassen, was technisch möglich, aber verzichtbar ist.

Die Entscheidung zur Online-Durchsuchung bezieht sich auf die Verfassungsschützer, aber sie lässt sich vom Sinn her auf andere Sicherheitsbehörden übertragen. Das Verfassungsgericht hat den Anlass zudem genutzt, um ein neues Computer-Grundrecht zu erfinden, wonach die »Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme« künftig ein Recht von Verfassungsrang ist. Auch der BND wird sich daran messen lassen müssen. Bis auf weiteres trägt er zum Unbehagen an der staatlichen Datengier bei, zumal er eindeutig rechtswidrig vorgegangen ist.

Dass der BND »gleich mehrfach Grundrechte bricht«, wie der FDP-Abgeordnete und Jurist Max Stadler sagt, will der Dienst freilich nicht wahrhaben. Er verletzt die Pressefreiheit, ein konstituierendes Element der Demokratie, niedergelegt in Artikel 5 Grundgesetz. »Das ist ein schwerwiegender, durch nichts zu rechtfertigender Eingriff in die Pressefreiheit«, so Stadler.

Die konspirative Lektüre der elektronischen Post wäre genauso skandalös und grundrechtswidrig, hätte sie einem Arbeiter oder Touristen im Ausland gegolten. Journalisten genießen allerdings das besondere Privileg, ihre Informanten gegenüber dem Staat nicht preisgeben zu müssen - und das mit gutem Grund. Gesprächspartner, die auf Missstände aufmerksam machen wollen, müssen sicher sein können, auf Wunsch anonym zu bleiben. Nur so funktioniert die Idee der Verfassungsväter, mittels der Pressefreiheit ein weiteres Kontroll-Korrektiv für die parlamentarische Demokratie zu setzen. Diese Idee hat der BND massiv verletzt.

Verletzt hat der Geheimdienst aber auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, festgeschrieben in Artikel 2 des Grundgesetzes. Damit, sagt Stadler, sei jede heimliche Computer-Ausspähung gegen jeden deutschen Staatsbürger im Ausland grundsätzlich illegal, denn: »Der Grundrechtsschutz gilt auch außerhalb unserer Staatsgrenzen.«

Vergangene Woche erließ Kanzleramtsminister Thomas de Maizière zwei neue Dienstvorschriften. Danach muss künftig jede Online-Durchsuchung vom BND-Präsidenten persönlich genehmigt werden, sie darf nur Ultima Ratio sein. Außerdem soll sich der Anteil von Juristen unter den Agenten deutlich erhöhen, um mehr rechtsstaatliches Denken zu verankern. Für Uhrlau sind das Daumenschrauben, die das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen BND und Kanzleramt weiter verschlechtern. Der Dienst befindet sich damit in einem Zangengriff: Auf der einen Seite ist das Kanzleramt, auf der anderen sind die Parlamentarier des Kontrollgremiums, die Uhrlaus Verhalten »missbilligten«.

Die Abgeordneten sind wütend wie selten zuvor. Diese Affäre, sagt der Grüne Hans-Christian Ströbele, »schlägt dem Fass den Boden aus«. »Kalte Wut«, berichtet FDP-Mann Stadler, packe ihn. Der Dienst habe »jedes Vertrauen massiv und nachhaltig untergraben«. Der Vorfall mache »deutlich, dass auch der Bundesnachrichtendienst für das Instrument der Online-Durchsuchung eine eigene und explizite Rechtsgrundlage bekommen muss«.

Die Parlamentarier glauben Uhrlau nicht mehr, dass er die Bundesregierung über »Vorgänge von besonderer Bedeutung« rechtzeitig informiert, wie es gesetzlich vorgesehen ist. Sie erfahren Affären und Skandale im Monatsrhythmus - allerdings nicht im Gremium, sondern aus der Zeitung.

So war es beim Besuch deutscher Beamter in Guantanamo, so war es beim Einsatz des BND während des Krieges in Bagdad. Und so war es in der Liechtenstein-Affäre, in der der BND einem Informanten für rund fünf Millionen Euro Steuerdaten abkaufte. Uhrlau hat persönlich im Herbst 2007 verfügt, das Kontrollgremium solle darüber nicht informiert werden.

Es muss sich noch viel verändern im BND, damit er endlich zum deutschen Rechtsstaat passt. Aber an der Spitze steht jetzt ein Präsident, der vergangene Woche ausgelaugt wirkte und leise, und der nur schwer die Kraft und den Rückhalt finden kann, um den Umbau des Ladens zu stemmen. Er steht einer Belegschaft vor, in der Mitarbeiter wie Raubtiere auf den nächsten Fehltritt warten, um ihn zu stürzen.

Personelle Konsequenzen hat Uhrlau dennoch abgelehnt, bis Mitte vergangener Woche. Erst auf Anweisung des Kanzleramts entschied sich der Präsident dafür, drei Disziplinarverfahren einzuleiten. Ein enger Mitarbeiter Uhrlaus wird versetzt, auch der verantwortliche Abteilungsleiter Dieter U. und der damalige Stabschef der Abteilung 2 müssen ihre Posten räumen.

Wie spät der Präsident verstanden hat, um was es geht, zeigt eine der Personalien. Ausgerechnet diesen Stabschef, der das Desaster am längsten verschwieg, hatte Uhrlau als Beauftragten für die Reform des Dienstes auserkoren.

In der Unionsfraktion gilt der BND-Chef als nicht mehr tragbar. Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl sagte, das Vertrauen zu Uhrlau sei »nicht mehr vorhanden«, das Kanzleramt müsse nun »entscheiden, wie es mit dieser Lage umgehe«.

De Maizière hielt dem Geheimdienstpräsidenten bei einem Gespräch im Kanzleramt am vergangenen Donnerstag seine Fehler vor. Als Uhrlau äußerte, er traue sich die Reform des Dienstes trotzdem noch zu, war klar, dass de Maizière ihn nicht entlassen würde.

In der Union hofft man nun, dass Uhrlau unter öffentlichem Druck doch noch zurücktritt. Eigentlich lasse die vom Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Thomas Oppermann, verbreitete Erklärung gar keine andere Möglichkeit, sagte ein Innenpolitiker der Fraktion. In der CDU-Spitze fürchtet man, dass das Problem Uhrlau eins der Union werden könne. Falls er weitere Fehler begehe, werde dies möglicherweise auch für de Maizière zum Problem, weil dieser an dem BND-Chef festgehalten habe.

In der Koalition ist der Ton als Folge der Affäre merklich rauer geworden. Bei einem Treffen der Innenpolitiker beider Parteien sagte Unions-Vizefraktionschef Wolfgang Bosbach, es sei kurios: »Wenn es um die Online-Durchsuchung bei einem afghanischen Minister geht, bei der als Beifang die E-Mails einer Journalistin kontrolliert werden, dann hält die SPD das für eine lässliche Sünde. Wenn es um die Online-Durchsuchung von Terrorverdächtigen geht, hat die SPD erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.«

In der SPD will man - zumindest noch - am SPD-Mitglied Uhrlau festhalten. Empört meldete sich SPD-Fraktionschef Peter Struck in der vorigen Woche bei seinem Unionskollegen Volker Kauder und beschwerte sich über die Rücktrittsforderungen aus der Union. So könne man in einer Koalition nicht miteinander umgehen, warnte Struck. »Das hier ist unsere gemeinsame Veranstaltung.«

Uhrlau gilt in der SPD-Führung wegen seiner langjährigen Arbeit in hohen Ämtern als verdienter Genosse, so einen lässt man nicht so schnell fallen.

Was aber für die Sozialdemokraten mindestens genauso wichtig ist: Als ehemaliger Koordinator der Geheimdienste in Gerhard Schröders Kanzleramt zählt Uhrlau zu den Top-Insidern der rot-grünen Regierungszeit. Sein Weg ist in weiten Teilen an den von Steinmeier geknüpft: Fällt Uhrlau, verliert Steinmeier auch ein Schutzschild zwischen sich und der Union.

Niemand in der SPD weiß genau, was da noch kommen kann. »Von einem Mann wie Uhrlau«, sagt ein Spitzengenosse, »trennt sich die SPD besser nicht im Streit.«

MATTHIAS GEBAUER, JOHN GOETZ,

RALF NEUKIRCH, MARCEL ROSENBACH,

HOLGER STARK

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