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ERSATZDIENSTPFLICHT Außerhalb der Person

aus DER SPIEGEL 34/1966

Der Flensburger Amtsgerichtsrat Johannes Meyer, 44, bescheinigte den beiden Angeklagten, sie hätten vor dem Schöffengericht den »allerbesten Eindruck« hinterlassen. Dennoch verurteilte er sie wegen Ersatzdienstflucht zu je sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung.

Richter und Gerichtete - der Arbeiter Hans-Dieter Jensen, 26, und der Bauzeichner Siegmar Dukat, 26 - kannten sich schon länger. Als Vorsitzender eines Schöffengerichts hatte Meyer 1963 zum erstenmal gegen Jensen und Dukat verhandelt. Die Angeklagten, Angehörige der Sekte »Zeugen Jehovas«, lehnten es bereits damals ab, anstelle des ihnen erlassenen Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst abzuleisten.

Prozeß und Urteilsfindung waren in der ersten Verhandlung forensische Dutzendware: pro Mann ein halbes Jahr Gefängnis wegen Dienstflucht.

Jensen und Dukat saßen die Strafe ab und erschienen am 23. Dezember vergangenen Jahres wieder vor Meyers Schöffengericht - wieder des gleichen Deliktes angeklagt. Doch statt mit den Angeklagten ging Richter Meyer mit dem Gesetzgeber ins Gericht: Das Schöffengericht hielt es für unvereinbar mit Grundgesetz und Menschenrechts-Konvention, aus religiöser Überzeugung rückfällige Ersatzdienstverweigerer fortlaufend einsperren zu müssen.

Richter Meyer beschloß, den Fall vom Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe abklopfen zu lassen. Dann riet er dem Angeklagten Dukat: »Nun gehen Sie mal wieder nach Hause und predigen Sie schön.« Dukat verbeugte sich: »Auf Wiedersehen.« Vorsitzender Meyer winkte ab: »Ich will Sie hier gar nicht wieder sehen.«

Er sah sie doch wieder. Das Bundesverfassungsgericht hielt die Vorlage des Schöffengerichts für unzulässig.

So waltete der Flensburger Amtsgerichtsrat Meyer ("Ich bin sehr enttäuscht über den Karlsruher Beschluß") letzten Montag widerwillig seines Amtes. Er lobte die Angeklagten und kritisierte das mangelnde psychologische Feingefühl der »Verwaltungsbehörden«, die oftmals den Ersatzdienstverweigerern die zweite Einberufung schon zustellen, während sie noch im Gefängnis die Strafe für die erste Dienstflucht verbüßen. Aber auch die Tatsache, daß Behörden überhaupt eine neue Straftat durch einen Verwaltungsakt auslösen könnten, paßt nach Richter Meyers Ansicht »nicht in das Bild unseres demokratischen Staatswesens«.

Um die Angeklagten vor dem Unbill weiterer Prozesse abzusichern, ließ sich das Schöffengericht bei der Strafzumessung von »Zweckmäßigkeitserwägungen« leiten. Übliche Strafzumessungsgründe - wie Reue, Verstocktheit oder Wohlverhalten - entfielen, da die Tatumstände »außerhalb der Person« der Gewissenstäter zu suchen seien.

Zweckmäßig erschien dem Schöffengericht, die beiden Dienstflüchtigen erneut zu sechs Monaten zu verurteilen. Sie haben dann ein Jahr ihrer Freiheit eingebüßt und - wenn es nach dem Vorsitzenden ginge - wegen Dienstflucht die Justiz nicht mehr zu fürchten.

Bei der Begründung seines Urteils machte Richter Meyer Front gegen Karlsruhe: »Das Schöffengericht in dieser Besetzung würde bei einer dritten Anklageerhebung ein Strafübermaß als gegeben ansehen und nicht zu einer neuen Verurteilung kommen. Das Schöffengericht wäre dann auch nicht an Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes gebunden.«

Flensburger Amtsgerichtsrat Meyer

Vor Strafübermaß gewarnt

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