ÖSTERREICH / GASLATERNEN Ausverkauf in Romantik
Wir sind konkurrenzlos«, strahlte der Wiener Amtsrat Johann Eibl. »Glatte Phantasiepreise könnten wir fordern!«
Der Amtsrat leitet die Abteilung für Gaslaternen in der Wiener Stadtverwaltung. An seinem Schreibtisch endet das Wettrennen all jener vermögenden und versponnenen Hausbesitzer in Europa und Übersee, die ihr Häuschen im Garten durch ein Stückchen Wiener Romantik, eine echte Wiener Gaslaterne, verschönern wollen.
Als Beamter kann Laternenverkäufer Eibl jedoch keine Phantasiepreise, sondern lediglich den Altmetallwert fordern: 700 Schilling (rund 110 Mark) für einen kompletten, 4,98 Meter hohen Gaskandelaber mit Erdkasten, Stadtwappen, Glaskopf und kokettem Spitztürmchen. Eibl: »Der Stadt Wien entgeht ein Bombengeschäft.«
Als sich die Verwaltung der Donau-Metropole vor rund einem Jahr ihres voreiligen Wahlschlagers »Wien wird Weltstadt« erinnerte und die altmodischen Kandelaber durch modische Beleuchtungskörper zu ersetzen begann, hatte noch niemand ans Geschäft gedacht.
Bürgermeister Jonas hatte seinerzeit genug damit zu tun, die Abschaffung der Gaslaternen zu begründen, denn die gemütlichen Wiener wollten sich ihre Glühstrümpfe nicht ausziehen lassen. Mit Unterschriftensammlungen und Leserbriefen verteidigten sie die Relikte der Plüschzeit gegen die Neonröhren moderner Sachlichkeit.
Sogar der Gemeinderat mußte während seiner Debatte über die Abschaffung der Kandelaber einer Gaslaternen -Elegie lauschen. Rezitierte die ÖVP-Abgeordnete Nora Hiltl:
Hier standest du,
... gabst milden Schein
dem Wandrer später Stunde,
warst oft verschwiegner Freund
und Stütze auch
manch schwankender Gestalt*.
Erst als der Gemeinderat dennoch zugestimmt hatte, konnten die neuerungssüchtigen Stadtväter ans Werk gehen. Da die Alteisenhändler für die entwurzelte Romantik kein Interesse zeigten, setzten sich die Spitzen der Verwaltung alsbald zusammen und berieten, was mit den rund 2000 überflüssig gewordenen Kandelabern geschehen sollte.
In ihrer Verlegenheit waren sie jedem Privatmann dankbar, der die Laterne am benachbarten Straßenrand vor der Liquidation rettete und im eigenen Garten mit Gnadengas speiste, auf daß sie der nächsten Party milden Glanz verleihe.
Österreichs Handelsminister Dr. Fritz Bock war einer der ersten, die sich den neuen Beleuchtungs-Chic leisteten. Burgschauspielerin Gusti Wolf, Humorist Heinz Conrads, Modeschöpfer Adlmüller und der Schweizer Botschafter folgten seinem Beispiel. Die eigene Gaslaterne wurde Symbol der Zugehörigkeit zur Wiener High Society.
Was in Wien begann, nahm seinen Weg quer durch die Welt der westlichen Snobs. Der soziale Standard, so erkennt Amtsrat Eibl heute, wird am Laternenbesitz gemessen.
Aus drei Erdteilen empfängt er Briefe, Telegramme und Blankoschecks von Gaslicht-Aspiranten, die sich ein Eigenheim mit dezentem Glühlicht wünschen. An der Spitze der Kauflustigen rangieren die des Maßhaltens müden Bundesrepublikaner und deren holländische Nachbarn.
Die Snobs der Bundesrepublik sind es auch, die zwecks moralischer Erhärtung ihrer Kaufgesuche die absonderlichsten Gefühle strapazieren. In ihren Briefen beschwören sie den Amtsrat Eibl, die Laternen umgehend zu liefern, weil
- ihr Großvater ein Pflegekind aus
Wien gehabt habe;
- schon die Tante »in dieses Licht geträumt hat«;
- die ganze Wohnung antik möbliert
sei;
- zwar noch niemand von der Familie in Wien gewesen sei, sie aber »gerade deshalb ein Erinnerungsstück« benötige.
Weniger Gefühle verschwenden die berufsmäßigen Laternenjäger - vom holländischen »Groothandel in Lompen en Metalen« über ein Züricher Warenhaus bis zum »Vizepräsidenten der Gaspropaganda in Belgien«.
Sie fordern schlicht »umgehende waggonweise Lieferung«, locken mit »Abnahme des Gesamtpostens der unbrauchbaren Leuchten ungeachtet ihrer Stückzahl«, attackieren Eibl mit Telegrammen und mobilisieren Spediteure, ohne erst die Auftragsbestätigung aus Wien abzuwarten.
In Übersee ist die Firma »London and Paris Gas Lamps« aus Kanada in den Wiener Gaslaternen-Boom eingestiegen. »Hier ist ein Riesenmarkt für echte Gas-Straßenleuchten aus London, Paris und Wien«, drängt sie den Amtsrat.
Hoteliers, Besitzer von Privatvillen, Verwalter öffentlicher Gebäude, so meldet die Firma, reißen sich um die Jahrhundertwenden-Gemütlichkeit aus dem alten Europa. Preis und Transportkosten - die nach Aussage der in Kalifornien lebenden Wiener Opernsängerin Lotte Lehmann rund 150 Mark je Laterne betragen - sind unwesentlich.
Ein Photo des Firmenlagerplatzes in Ontario, auf dem eine Laternenmodellschau zu sehen ist, macht das Interesse der Kanadier an schnellen Massenlieferungen aus Wien deutlich: Alle abgebildeten Leuchten sind unverkäufliche Ausstellungsstücke; der internationale Handel mit Straßenlaternen hat just zur Zeit seiner Hochkonjunktur Lieferschwierigkeiten.
Die bisherigen Hauptlieferanten, London und Paris, haben nämlich, so will man in Wien erfahren haben, die Demontage ihrer Gaslaternen dem Fremdenverkehr zuliebe gestoppt, und Rom soll sogar ernsthaft erwägen, die Touristen aus Übersee auf ihrer Suche nach längst vergangener Romantik durch neumontierte Lampen mit altmodischem Gasbetrieb zu beglücken.
Wien ist somit im Augenblick tatsächlich ohne Konkurrenz. »Auf jeden Flimmerkandelaber, den wir ausgraben«, so kennzeichnet Amtsrat Eibl die Hausse in Beleuchtungsantiquitäten, »warten zehn Kaufwillige.«
Eine Wiener Privatfirma überlegt denn auch bereits, ob sie die Gunst der Stunde nutzen und Kandelaber à la 1862 mit Schnörkeln und Stadtwappen in Serienproduktion herstellen soll.
Ermutigendes Vorbild: die Fließbanderzeugung neugotischer Madonnen im Südtiroler Grödner Tal.
* Aus einem Gedicht von Alfred Schaffer, das die Wiener Tageszeitung »Neues Österreich« als Beitrag zur Debatte über die Demontage der Gaslaternen veröffentlichte.
Wiener Gaslaternen: Snob-Appeal mit Gnadengas