ÖSTERREICH / AFFÄREN B 12 verordnet
Hinter den dick wattierten, schalldichten Türen der geschlossenen Abteilung B 12 (schwerste Fälle) in der Wiener psychiatrisch - neurologischen Universitätsklinik des Professors Dr. Hans Hoff lag, den sehnigen Körper nach ungewohntem Elektroschock in künstlichem Dauerschlaf hingestreckt, Prinz Abdallah Ibn Dschallawi, 19.
Im Aufnahmebuch der Klinik befand sich unter dem Datum vom 5. Juni der Bleistiftvermerk »freiwillig« - freilich
ohne die Unterschrift des jungen Patienten.
Zweieinhalb Wochen später, am Montag letzter Woche, meldete ein von Österreichs Innenminister Olah eingesetztes Kriminalistenteam: Es bestehe der dringende Verdacht, daß das Gesetz bei der Aufnahme des Prinzen in der Klinik Professor Hoffs verletzt wurde.
Professor Hoff wurde am Tag darauf ins Wiener Polizeipräsidium zitiert und eineinhalb Stunden lang verhört. Daran schlossen sich eingehende kriminalistische Untersuchungen in seiner Klinik.
Die Kriminalbeamten untersuchten die Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Elektroschock des Prinzen Abdallah und einer Privataudienz, die Saudiarabiens König Saud dem Elektroschock-Experten Hoff gewährt hatte. Dr. Hoff hat mehrere Jahre in Bagdad praktiziert und spricht fließend Arabisch.
Prinz Abdallah gehört nicht der direkten Linie der Saud-Dynastie an, sondern ist Erbe der Dschallawi-Familie, die seit 1913 über die arabische Ostprovinz el-Hasa herrscht, das Zentrum der saudiarabischen Erdölvorkommen mit einem Ausbeutungspotential von vielen Milliarden Dollar.
Abdallahs Urgroßvater, Abdallah Ibn Dschallawi, gehörte zu der kleinen Schar von Getreuen um den Saudiarabien -Gründer Ibn Saud - Vater von 48 Söhnen, darunter der jetzige König Saud -, dem er 1902 bei der Eroberung der Hauptstadt Riad das Leben rettete. Zum Dank verlieh ihm Ibn Saud 1913 die erbliche Würde des Gouverneurs von el-Hasa. Der älteste Sohn des Lebensretters Dschallawi, Emir Saud Ibn Dschallawi, 73, regiert seit 1930 die Erdölprovinz.
Die eigenwilligen, stolzen Bewohner el-Hasas, durch Dattelanbau und Textilindustrie lange vor der Entdeckung des Erdöls wirtschaftlich unabhängig, fühlen sich von jeher den nomadisierenden Beduinenstämmen des Hinterlandes überlegen.
So hat sich el-Hasa in den letzten Jahren zum Kern der Reformbewegungen gegen das Königshaus in der saudiarabischen Hauptstadt Riad entwickelt. Die Nähe der selbständigen Ölscheichtümer am Persischen Golf läßt in jüngster Zeit in el-Hasa Sezessionstendenzen aufkommen. Die reiche Ostprovinz könnte somit das Katanga des arabischen Wüstenreichs werden. König Sauds Bemühungen sind daher seit langem darauf gerichtet, das Emporkommen eines saudiarabischen Tshombé zu verhindern.
Im April dieses Jahres wurde Abdallahs
Vater, Prinz Abd el-Asis Ibn Dschallawi, in der Bar des Pariser Luxushotels »Claridge« von seinem algerischen Sekretär ermordet.
Daß König Saud nun in Wien an der Internierung des jungen Dschallawi -Prinzen gelegen war, behauptete Abdallahs Begleiter, der in Kairo als Nachtklubbesitzer gescheiterte Syrer Fais Ajjas: »Seine Majestät König Saud ordnete an, den Patienten Herrn Professor Hoff zu überweisen. Nach der Untersuchung durch Professor Hoff wurde beschlossen, die Behandlung an der Universitätsklinik durchzuführen.«
Elektroschock - Experte Hoff versicherte: »Der Patient leidet an einer Geistesstörung. Er ist ein Killer. Er hat daheim schon einen Menschen ermordet. Diverse Gewaltaktionen gehen auf sein Konto. Ich habe ihn bereits vor fünf Jahren untersucht. Damals schon wurde er für geisteskrank befunden.«
Und: »Auch sein Vater war wegen einer Geistesstörung bei mir in Behandlung. Er blieb dann lange Zeit wieder normal.« Der Prinz sei im übrigen nur nach Wien gekommen, um sich von ihm, Hoff, behandeln zu lassen.
Tatsächlich konsultierte Abdallah Ibn -Dschallawi, nachdem er sich am 22. Mai zusammen mit drei Begleitern, darunter Fais Ajjas, in dem Wiener Hotel »Terminus« niedergelassen hatte, den Wiener Internisten Dr. Josef Schmid. Dozent
Schmid - er war mit Abdallahs Vater eng befreundet - sollte ein Leberleiden und die chronische Mittelohrentzündung des jungen Prinzen behandeln.
Fais Ajjas tauchte anschließend allein bei Dr. Schmid mit dem Angebot auf: »Sie bekommen eine Million Schilling oder auch mehr, wenn Sie Prinz Abdallah auf zwei bis drei Jahre in ein Irrenhaus bringen. Dort ist er am besten geschützt.«
Dr. Schmid lehnte das Angebot ab und machte statt dessen mit Abdallah einen Autoausflug nach Kitzbühel. Schmid: »Dabei bestätigte sich mir, voran ich ohnehin keinen Zweifel hatte: Der Prinz war, vollkommen normal. Natürlich konnte ich keine eingehende psychiatrische Untersuchung anstellen.«
Diese wurde, wieder auf Drängen des Syrers Ajjas, von einem Fachmann durchgeführt: von Professor Dr. Herbert Reisner, dem Leiter der ersten neurologischen Abteilung der Wiener Städtischen Nervenheilanstalt Rosenhügel. Diagnose abermals: Völlig normal.
Der Prinz sollte nunmehr von seinem Mittelohrleiden befreit werden. Der Wiener Ohrenarzt Dr. Friedrich Krejci erklärte sich bereit, die Behandlung zu übernehmen.
Am 5. Juni fragte jedoch die Hoff -Klinik bei Krejci an, ob medizinische Gründe gegen einen Elektroschock sprächen. Als der Ohrenarzt seinen Patienten kurz darauf besuchte, fand er den Prinzen bereits im Elektroschock -Dauerschlaf, nur mit einem Leinentuch bedeckt.
Am selben Tag reisten Fais Ajjas und die beiden anderen Begleiter des Prinzen mit unbekanntem Ziel ab. Zuvor hatte Ajjas ein Telegramm mit dem Namen des Abdallah-Großvaters, Emir Dschallawi, erhalten: »Mit Behandlung des Prinzen einverstanden. Kosten bis eine Million Schilling jährlich 0.K.«
Nun genügte nach den österreichischen Rechtsvorschriften für die Einweisung des Prinzen in die Klinik des Dr. Hoff dieses Telegramm keineswegs: Nach österreichischem Gesetz darf ein Kranker in der geschlossenen Abteilung einer Nervenheilanstalt nur untergebracht werden, wenn er eine Einverständnis -Erklärung unterschreibt oder ein Polizeiarzt die Notwendigkeit der Behandlung attestiert.
Nichts von beiden war bei dem Araberprinzen in Dr. Hoffs B-12-Abteilung zunächst der Fall. Im Aufnahmebuch stand lediglich jener unterschriftslose »Freiwillig«-Vermerk. Erst zwei Tage später - am 7. Juni - sanktionierte der Wiener Polizeiarzt Dr. Tesarek nachträglich, daß der Prinz in Abteilung B 12 festgehalten wird.
Zweimal, am 10. und 19. Juni, tagte eine Gerichtskommission unter Leitung von Oberlandesgerichtsrat Dr. Galas, denn Prinz Abdallah verlangte energisch, entlassen zu werden. Die Kommission hörte Professor Hoff und entschied nach einigem Zögern, der Aufenthalt des Prinzen in der Klinik sei für zwei weitere Monate gerechtfertigt«.
Österreichs Kriminalisten setzen jedoch ihre Nachforschungen im Auftrage des Innenministers fort. »Was dahinter steckt«, spornte Wiens unabhängiger »Kurier« die Gesetzeshüter an, »erscheint geheimnisumwittert und wäre einer Aufklärung wert.«
Wiener Psychiater Haff
In der Klinik...
Hoff-Patient Abdallah
... eine Spezialbehandlung