ERZIEHUNGSGELD Baby-Stopper
Helmut Kohls Krisenmanager sah keinen Anlaß zum Eingreifen. »Ich bin nicht dazu da«, sprach Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble, »Diskussionsprozesse zu verhindern.«
Dazu ist es auch zu spät, es gibt Streit in der Koalition. Vergangene Woche griffen die Liberalen den Familienminister Heiner Geißler an, diese Woche wollen Unionsabgeordnete aus Wirtschaftsrat und Mittelstandsvereinigung nachziehen.
Der Unternehmerflügel der Koalition tritt an, ein Kernstück aus dem vom Familienminister verkündeten Konzept des Erziehungsgeldes herauszunehmen: Die Arbeitsplatzgarantie für Mütter oder Väter, die sich ein Jahr lang ausschließlich ihrem Kind widmen, soll gekippt werden.
Der Zorn der Koalitionsrechten richtet sich nicht gegen das Erziehungsgeld. Bereits im Juli vorigen Jahres hatte das Kabinett sich darauf verständigt, allen Müttern oder Vätern den Entschluß zum Kind durch ein Handgeld von 600 Mark pro Monat zu erleichtern. Mindestens sechs Monate lang soll der Zuschuß überwiesen werden, ein weiteres halbes Jahr dann, wenn das Familieneinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liegt.
Schon bei der Vorbereitung des Referentenentwurfs hatte es Geißler allerdings schwer, sich durchzusetzen. So wollte Finanzminister Gerhard Stoltenberg das Erziehungsgeld auf Wohngeld und Sozialhilfe angerechnet sehen. Und Arbeitsminister Norbert Blüm gefiel nicht, daß eine neue, verwaltungsaufwendige Einkommensgrenze eingeführt wird. Er mißbilligte auch die Finanzierung aus drei Töpfen: Zahlen müssen Arbeitgeber, Krankenkassen und der Finanzminister.
Doch Stoltenberg und Blüm stimmten dem Referentenentwurf schließlich zu. Da sperrte sich auch Wirtschaftsminister Martin Bangemann nicht länger - ohne freilich jede Einzelheit des Gesetzes zu billigen.
Der Öffentlichkeit verkündete Geißler dann, was keineswegs Allgemeingut in der Koalition ist: Jeder Vater und jede Mutter, die das Erziehungsgeld in Anspruch nähmen, müßten die Garantie haben, nach einem Jahr wieder auf ihren früheren Arbeitsplatz zurückkehren zu können. Geißler: »Das muß einen hohen Stellenwert haben.« Ein Erziehungsgeld ohne Arbeitsplatzgarantie sei ein »Baby-Stopper«.
Der Vorstoß weckte bei den Liberalen Otto Graf Lambsdorff und Bangemann, aber auch beim Vorsitzenden des CDU-Wirtschaftsrates, Heinrich Weiss, offenbar das soziale Gewissen. Einhellig protestierten sie mit dem Argument, eine Arbeitsplatzgarantie werde nur dazu führen, daß junge Frauen im gebärfähigen Alter erst gar nicht beschäftigt würden. Lambsdorff: »Ein Einstellungshindernis par excellence.«
Das läßt Geißler nicht gelten. Ob seine Kritiker denn tatsächlich glaubten, fragt der CDU-Generalsekretär unschuldig, daß Deutschlands Unternehmer allesamt bereit seien, die Verfassung zu brechen. Darin stehe nämlich, daß Frauen nicht diskriminiert werden dürften. Außerdem habe die Arbeitsplatzgarantie für Wehrpflichtige und Zivildienstler bislang auch keinen Anstellungsstopp für junge Männer bewirkt.
Der Familienminister rechnet sich sogar einen positiven Einfluß auf den Arbeitsmarkt aus. Das geplante Beschäftigungsförderungsgesetz des Arbeitsministers erleichtere nämlich den Abschluß von Zeitkontrakten. Die Unternehmer könnten also für 12 bis 14 Monate Aushilfskräfte engagieren. Bei einer so langen Vertragsdauer lohne sich das, weil die kurze Einarbeitungszeit dann als Kostenfaktor nicht mehr ins Gewicht falle.
Dieses Argument aber will noch nicht einmal Geißler-Freund Blüm schlucken. Er will Zeitarbeitsverträge - gedacht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - nur für einige Jahre zulassen. Das müsse auch so bleiben, weil sonst die Gefahr bestehe, daß Dauerarbeitsplätze mit leicht kündbaren Zeitarbeitern besetzt würden.
Trotz des breiten Widerstandes in der FDP wie im eigenen Lager ist Geißler zuversichtlich: »Ich glaube nicht, daß dies ein Punkt ist, der in der Koalition nicht lösbar wäre.«
Die FDP will er an ihrem schwächsten Punkt packen. »Was mich bekümmert,« klagt der CDU-Generalsekretär, der auf eine Koalition mit den Liberalen auch nach 1987 setzt, »ist die mangelnde wahlstrategische Kompetenz der FDP.«
Mit ihrem Widerstand gegen die Familienpolitik der Union seien die Freidemokraten schon bei der baden-württembergischen Landtagswahl gescheitert: »Damit haben sie Lothar Späth eine große Freude gemacht.«
Die Liberalen dürften laut Geißler in dieser Frage nicht auf Otto Graf Lambsdorff hören. Sie sollten lieber einer »sehr weitsichtigen Frau« folgen, der FDP-Sozialexpertin Irmgard Adam-Schwaetzer. Die habe gleich erkannt, daß erst die Arbeitsplatzgarantie das Erziehungsgeld zu einem wirksamen Angebot mache.
Den Protest der eigenen Parteifreunde aus dem Unternehmerlager, sie hätten erst aus der Zeitung von seinen Plänen erfahren, kann Geißler »gar nicht verstehen«.
Seit zwei Jahren spreche er im Bundestag in jeder einschlägigen Rede von der Arbeitsplatzgarantie. Außerdem sei dieser Plan in den von Parteipräsidium und Vorstand gebilligten »Leitsätzen« der CDU verankert. Schon deswegen könne das von Kohl-Vertrauten verbreitete Gerücht, der Kanzler sei sauer auf ihn, natürlich nicht stimmen.
Auch Kohls Hausmeier Schäuble versucht, das Durcheinander in Koalition und Partei herunterzuspielen: »Das ist eine schöpferische Unruhe.«