MINISTER Ballast abwerfen
Der Minister setzte Maßstäbe. In einem »gemeinsamen Appell« müßten sich die Nuklearstaaten auf der Wiener Reaktorsicherheits-Konferenz über die Konsequenzen aus der Atomkatastrophe von Tschernobyl im September am »höchsten Sicherheitsstandard ausrichten. Den aber, entschied er, »haben wir«.
Die Prahlerei kam nicht aus deutschem Politikermund. So sprach am Dienstag der vergangenen Woche in Paris der französische Industrieminister Alain Madelin zu Walter Wallmann, der sich als Bonns neuer Umweltminister in Paris und danach in London und Washington vorstellte.
Mit dem Orden des höchsten Sicherheitsniveaus hatten sich zuvor Bundeskanzler Helmut Kohl, sein Forschungsminister Heinz Riesenhuber, vor allem aber Innenminister Friedrich Zimmermann geschmückt. Eilig erklärten die Bonner sich nach der Kernschmelze in Tschernobyl selbst zu Weltmeistern der Reaktorsicherheit, um nur ja zu belegen, daß zwischen russischer Primitivtechnik und germanischer Wertarbeit Welten lägen.
Ihr Ziel, ein Aufflammen der Atomdiskussion im eigenen Land mit Eigenlob zu ersticken, verfehlten Kohl und seine Mannschaft. Die unerwarteten Folgen dieser Taktik aber hatte Wallmann an der Seine auszubaden.
Gastgeber Madelin und dessen Kollege, Ausrüstungsminister Pierre Mehaignerie, empörten sich, die Deutschen stellten die französischen Atommeiler rufschädigend in die Ecke von Tschernobyl: Kernkraftkritiker, aber auch Offizielle wie die Saar-Regierung und einige Gemeinden im Grenzgebiet hatten nach dem Unfall in der Sowjet-Union verstärkt gegen das brandneue französische Nuklearzentrum Cattenom protestiert.
An diesem Vorgehen, das sie auch Bonn anlasten, verbittert die Partner in Paris besonders, daß die Deutschen während der fast zehnjährigen Bau- und Planungszeit von den zuständigen Gremien in alle Details eingeweiht wurden, ohne daran Anstoß zu nehmen. Vor Tschernobyl hatten sich die Experten von Bund und Ländern auch mit der aus französischer Sicht verbindlichen Zusage begnügt, man werde sich beim Betrieb des Kraftwerks, anders als im Genehmigungsbescheid ausgewiesen, an weit engere, den deutschen Vorschriften entsprechende Grenzwerte für das Einleiten _(Vorige Woche in Paris. )
verseuchter Abwässer in die Mosel halten.
Bonns Emissär bemühte sich, die »Verärgerung« (Wallmann) der Franzosen vor allem durch Bescheidenheit zu überwinden. Dem Anspruch Madelins, die sichersten Reaktoren stünden in Frankreich, widersprach er nicht. Er war, aus guten Gründen, damit zufrieden, daß sein Gastgeber den Deutschen wenigstens zubilligte, »vergleichbar« gute Ergebnisse zu erzielen. Wallmann in Paris: »Ich hielte es für anmaßend, wenn wir unsere Kraftwerke als sicherer ansehen.«- Seine Erkenntnis: »Schneidige Formulierungen helfen nicht weiter.«
Diese Bescheidenheit von Kohls neuem Kabinettsherrn (Lieblingswort: Nachdenklichkeit) ist wohlkalkuliert und nicht auf den Umgang mit Ausländern beschränkt. Wallmann weiß: »Es geht nicht nur um eine Vertrauenskrise in der Atomtechnik, sondern auch um eine Vertrauenskrise im Staat.« Diesen rasanten Vertrauensverlust, den völligen Niedergang der Kernenergie in der Bundesrepublik zu verhindern, das ist, neben Stimmenfang, Wallmanns Auftrag.
In der Einschätzung, daß die Kernenergie auf keinen Fall aufgegeben werden darf, ist sich der neue Mann mit seinem an Tschernobyl gescheiterten Vorgänger Zimmermann nämlich einig. Doch um in der Sache zu retten, was zu retten ist, gibt er sich, als stünde er für eine gänzlich neue Politik. »Der Mann tritt auf«, wundert sich ein Kabinettskollege, »als wollte er den Antityp zu Zimmermann darstellen.«
Nicht nur in Paris, London und Washington hob sich Wallmann für seine Gesprächspartner angenehm von dem stets aggressiven Zimmermann ab, der, wie etwa in der Debatte über das Umweltauto, gern mit Drohungen oder schroffen Forderungen arbeitet. Auch auf heimischem Boden hat sich der Umgangston verändert. So pflegt er - zum Beispiel - das Koalitionsklima.
Vorgänger Zimmermann hatte für seine liberalen Partner Gerhart Baum und Burkhard Hirsch nur Verachtung übrig ein Gespräch waren sie ihm nicht wert. Anders Wallmann, der im Herbst 1987 hessischer Ministerpräsident werden will und schon bald auf die Freidemokraten angewiesen sein könnte.
Trotz der Belastung mit dem Aufbau seines neuen Ministeriums suchte er rasch Kontakt zu Baum. Auf dessen Empfehlung berief er den jetzigen Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, Walter Hohlefelder, zu seinem Abteilungsleiter. Der angesehene Beamte ist nicht nur Freidemokrat, er arbeitete auch fünf Jahre lang für Zimmermanns Intimfeind Hirsch, als der noch Innenminister im sozialliberalen Nordrhein-Westfalen war.
Ein neuer Stil allein aber bringt es nicht. Das Volk, vom Zweifel an die Kernenergie angekränkelt, soll bis zum Wahltag im Januar Taten sehen. Drei Dinge hat Wallmann sich vorgenommen: *___Der Wirrwarr nach Tschernobyl soll durch eine klar ____geregelte Bun deskompetenz zum Festsetzen ver ____bindlicher Grenzwerte für Milch oder Blattspinat ____vergessen gemacht wer den, *___die vom Kanzler angeregte Konfe renz der über 100 ____Mitgliedsstaaten der Internationalen Atomenergiebe ____hörde in Wien soll das Vertrauen zum Atomstrom stärken, *___die heimischen Reaktoren werden noch einmal überprüft ____und - viel leicht- nachgerüstet.
Doch diese Taktik ist voller Tücken, Fehlschläge sind eher wahrscheinlich.
Die SPD-geführten Länder sind entschlossen, Wallmann vor der Bundestagswahl auf keinen Fall einen Hit zu liefern und einheitlichen Grenzwerten zuzustimmen. Also muß er die Unionsmehrheit im Bundesrat einsetzen und die SPD überstimmen - eine willkommene Gelegenheit, den Umweltminister als lasch und industriehörig vorzuführen.
Auch die Mammutkonferenz von Wien wird kaum die reine Freude werden. Verbindliche Sicherheitsstandards für alle Kernkraftwerke nach deutschem Muster, von denen Kanzler Kohl einst öffentlich träumte, wird es nicht geben. Wallmann nach seinem Blitztrip um die halbe Welt. »Eine verbindliche Internationalisierung wird nicht akzeptiert.«
Bleibt ihm schließlich ein Tätigkeitsnachweis bei den Atommeilern von - so ein Spottvers der Kernkraftgegner - »Stade, Ohu und Anderswohu«. In der Reaktorsicherheitskommission wie in seinem Ministerium suchen Experten nach einem Weg, das angeblich Sichere publikumswirksam noch sicherer und damit akzeptabler zu machen.
Die deutsche »Sicherheitsphilosophie« ist darauf fixiert, einen Kernunfall durch technische Vorrichtungen unmöglich zu machen. Der Schadensbegrenzung für den Fall, daß er dann doch eintritt, widmeten die Konstrukteure weniger
Aufmerksamkeit, weil dieser Fall ja eben nicht vorkommen dürfte.
Ein Risiko ist beispielsweise, daß der Beton- und Stahleinschluß des Reaktors nach einem Unfall dem Druck in seinem Innern nur einige Tage standhielte, dann aber schließlich doch birst. Dem könnte man durch den Einbau eines Ventils vorbeugen, durch das gefilterte Luft abgelassen wird, wenn Berstgefahr droht; das technische Problem ist der Filter.
Solch eine Nachrüstung, aber auch Verbesserungen an den Fundamenten von Reaktoren könnte Wallmann den Stromerzeugern in der Bundesrepublik zur Auflage machen. Sollte er sich dazu entschließen, will er auch ganz streng sein. Alte Atomstromfabriken, die den neuen Standard nicht erreichen, müßten dann abgeschaltet werden.
Um die Nutzung der Atomenergie im Kern zu sichern, ist er sogar bereit, weiteren Ballast abzuwerfen. Anhänger des plutoniumerzeugenden Schnellen Brüters können nicht auf Wallmann bauen, wenn es ernst wird.
Bewußt sucht der Minister, der den Nuklearstrom retten will, den Krach mit der Industrie.
Als erste seiner vertrauensbildenden Maßnahmen hatte Wallmann angeboten, alle bundesdeutschen Reaktoren von besonderen Teams der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien überprüfen zu lassen. Arglos hatte KWU-Mann Wolfgang Braun verlangt, die Hersteller sollten daran beteiligt werden. Öffentlichkeitswirksam erklärte Wallmann dem Atomexperten, daß es bei ihm eine Vermischung von Industrieinteressen und Staat nicht geben werde.
Anlaß zur Furcht aber bestand wirklich nicht. Als Zimmermann noch für die Umwelt zuständig war, hatte auch er die Frage von Prüfungen mit IAEA-Generaldirektor Hans Blix erörtert. Dessen Erkenntnis: Wären seine Inspektoren 14 Tage vor dem Unfall in Tschernobyl gewesen, so hätten sie dem Katastrophenmeiler höchstwahrscheinlich ihren amtlichen Segen gegeben.
Vorige Woche in Paris.