AFFÄREN »Bankrott der Justiz«
Die Verlegenheit war dem Zeugen deutlich anzumerken. »Da habe ich es ganz schwer«, antwortete er, als der SPD-Abgeordnete Frank Hofmann wissen wollte, ob es denn im Verfahren gegen den bayerischen Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber »politische Einflussnahmen« gegeben habe. Als der Abgeordnete fragte, ob denn der Eindruck täusche, dass vor allem der ebenfalls beschuldigte Max Josef Strauß, ältester Sohn des einstigen CSU-Chefs, »Schutzengel hat, und zwar nicht nur im Himmel«, stöhnte der Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier: »Sie fragen mich ganz schwierige Sachen.«
Schließlich rang sich Maier, 41, doch zu einer sibyllinischen Auskunft durch. Feinsinnig formulierte er Ende Februar vor dem Parteispenden-Untersuchungsausschuss des Bundestages: »Ich bin ein Staatsanwalt ganz unten. Über mir gibt es einen Behördenleiter, dann gibt es einen Generalstaatsanwalt und einen Minister. Ob es da interne Vorgänge gibt, müssen Sie diese Personen fragen. Was weiß ich, was alles dazwischen ablaufen kann.« Eine »unmittelbare Einflussnahme« eines Ministers, Ministerpräsidenten »oder wie auch immer« könne er jedenfalls »nicht bestätigen«.
Nach fast sieben Stunden Befragung wünschte der Ausschussvorsitzende Volker Neumann (SPD) dem Zeugen »Erfolg bei Ihrem weiteren Aufstieg«. Und scherzte noch: »Vielleicht werden Sie einmal Justizminister in Bayern.«
Nichts als blanke Ironie. Denn mit seinen Ermittlungen gegen den Kauferinger Kaufmann Schreiber, die Politikern wie Helmut Kohl und Walther Leisler Kiep ein Verfahren einbrachten und die CDU-Finanzaffäre auslösten, hat sich der hartnäckige Staatsanwalt bei seinen Vorgesetzten mehr als unbeliebt gemacht. Als er vor fünf Wochen nicht ganz freiwillig ins Richteramt wechselte, bekam das so gern bemühte Bild der reibungslos funktionierenden Justizmaschinerie im Freistaat Risse. Jetzt lässt sich im Detail nachvollziehen, welch merkwürdige Dinge sich seit dem Beginn der Ermittlungen gegen den CSU-Amigo und Strauß-Freund Schreiber vor knapp fünf Jahren abspielten.
Loyal verkündet der Chef der Augsburger Staatsanwaltschaft Reinhard Nemetz öffentlich, seine Behörde sei bei ihren Ermittlungen »nicht behindert worden. Druck von oben hat es nie gegeben«. Doch in Wirklichkeit ist das Strafverfahren 501 Js 127135/95 ein Paradebeispiel dafür, wie vorgesetzte Behörden die Arbeit eifriger Staatsanwälte - mal eher subtil, mal richtig grob - in die Richtung zu drängen versuchen, die ihnen genehm ist. Meist gelingt dies, das lehrt das Verfahren auch, sogar ohne förmliche Weisungen.
Immer wieder mischte sich bei den Augsburgern die Behörde des Münchner Generalstaatsanwaltes Hermann Froschauer massiv in die Ermittlungen ein. Insbesondere in den vergangenen Monaten, als die CDU wegen ihrer illegalen Geldtransaktionen die größte Krise ihrer Geschichte durchmachte, trugen Maiers Vorgesetzte dazu bei, dass den Christdemokraten im fernen Berlin frühzeitig noch größerer Ärger erspart blieb.
Bereits unmittelbar nach der Vernehmung des langjährigen CDU-Schatzmeisters Kiep am 17. November vergangenen Jahres hatten es die Augsburger Ermittler für notwendig gehalten, sowohl die CDU-Zentrale in Bonn als auch deren Außenstelle in Berlin zu durchsuchen. Sogar Ex-Kanzler Helmut Kohl sollte als Zeuge befragt werden. So wollten die Fahnder klären, ob die berühmte Million aus dem Koffer Schreibers 1991 tatsächlich - wie von Kiep angegeben - eine Spende an die CDU war. Sie vermuteten, dass es auch Schmiergeld für den einstigen Kassenwart gewesen sein könnte, eine Belohnung für Kieps Einsatz für den von Schreiber vermittelten Export von »Fuchs«-Panzern der Bundeswehr nach Saudi-Arabien.
Den bereits fertig formulierten Antrag für den Durchsuchungsbeschluss der CDU-Bundesgeschäftsstelle sandte Behördenleiter Nemetz am 22. November 1999 per Fax an den Generalstaatsanwalt in München. Noch am selben Tag erhielt Sachbearbeiter Maier von dort jedoch die Weisung, einen neuen Bericht zu fertigen - ohne Durchsuchungsabsicht. Und auch der Altkanzler solle nicht vernommen werden.
Darauf wollten die Augsburger aber höchst ungern verzichten, wie Nemetz in einem Schreiben an seinen Vorgesetzten Froschauer deutlich machte. Doch den Brief mit Datum 29. November sandte Nemetz nicht ab. Stattdessen musste er gemeinsam mit den beiden sachbearbeitenden Staatsanwälten, Maier und dessen Kollegin Barbara Pöschl, tags darauf um 14.30 Uhr in München antreten. Das Schreiben hatten die Augsburger mitgebracht. Froschauer las es durch - doch es passte ihm nicht. Noch im Beisein der drei Augsburger Staatsanwälte habe der Generalstaatsanwalt daraufhin, heißt es in einem Vermerk Maiers, den Bericht selbst neu abgefasst. Von einer Vernehmung des Altkanzlers war darin nicht mehr die Rede.
Die Schwaben freilich blieben hartnäckig. Knapp eine Woche später, am 6. Dezember, ließ Nemetz den vorgesetzten Generalstaatsanwalt per Fax wissen, wegen möglicherweise unvollständiger Rechenschaftsberichte der CDU bestehe nunmehr »Anlass zur Prüfung eines Anfangsverdachts wegen Betruges durch Täuschung der Bundestagsverwaltung«.
Die Reaktion kam prompt. Unmittelbar nach Erhalt des Faxes rief ihn Generalstaatsanwalt Froschauer an, wie Nemetz in einem Vermerk festhielt: »Er teilt mit, dass der Bericht nicht seine Billigung findet.« Froschauer habe argumentiert, für ein Betrugsverfahren in Sachen CDU sei nicht die Staatsanwaltschaft Augsburg zuständig, sondern die in Bonn.
Die Interventionen von oben begannen in dem politisch heiklen Verfahren allerdings nicht erst, als sich für die Ermittler im CSU-regierten Freistaat das Desaster für die Unionsfreunde in Berlin abzeichnete. Von Anfang an spürten die Augsburger Beamten, dass ihr Verfahren gegen Schreiber, Strauß, Kiep, den einstigen Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls (CSU), den mittlerweile ausgeschiedenen CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Riedl sowie die beiden Thyssen-Manager Winfried Haastert und Jürgen Maßmann in München mit großem Argwohn verfolgt wurde.
So klagte der Ende April vergangenen Jahres tödlich verunglückte Augsburger Behördenleiter Jörg Hillinger noch kurz vor seinem Unfall, er und seine Beamten würden von München »so mit Berichtspflichten zugeschüttet, dass wir zeitweise kaum mehr zum vernünftigen Arbeiten kommen«.
Bis dahin hatte Hillinger schon viel erlebt, was ihn misstrauisch und verstimmt auf die Oberen gemacht hatte. Als seine Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht im April 1999 Haftbefehle gegen Pfahls und die beiden Thyssen-Manager beantragte, informierte Hillinger die Generalstaatsanwaltschaft vorher absichtlich nicht.
Kaum hatten die Augsburger die vom Ermittlungsrichter erlassenen Haftbefehle nach München geschickt, meldete sich schon Froschauer und wies die Behörde am 28. April an, »dass die Haftbefehle derzeit nicht vollzogen werden«. Darauf bestehe er, da er, Froschauer, »die Angelegenheit sorgfältig prüfen« wolle. Diese Anordnung gab Hillinger an Maier weiter.
Maier wandte ein, Haftbefehle seien »grundsätzlich sofort zu vollziehen, um sich nicht dem Vorwurf der Strafvereitelung im Amt auszusetzen«. Solle er die Verhaftungen aufschieben, bestehe er auf einer schriftlichen Weisung. Hillinger telefonierte abermals mit dem Generalstaatsanwalt, Maier erhielt seine Weisung und stoppte die bereits in Gang gesetzte Polizei. Unmittelbar nach diesem Telefonat mit Froschauer setzte sich Hillinger ins Auto und verunglückte auf einer Dienstfahrt.
Nach dem Tod des widerborstigen und trickreichen Behördenleiters wurde es für Staatsanwalt Maier noch schwieriger. Während er sich mit Hillinger ausgezeichnet verstanden und von diesem stets volle Rückendeckung erhalten hatte, wähnte sich Maier von dessen Nachfolger Nemetz immer mal wieder allein gelassen. Und auch der Generalstaatsanwalt fühlte sich anscheinend plötzlich ermutigt, noch forscher in die Augsburger Ermittlungen einzugreifen. Er bestellte Maier und Nemetz für den 27. Mai nach München. Die Initiative zu diesem Treffen, behauptete der stellvertretende Generalstaatsanwalt Veit Sauter vorigen Freitag, sei von Nemetz ausgegangen, dessen Behörde das Mammutverfahren über den Kopf zu wachsen drohte.
Anlass und Inhalt des Gesprächs schilderte Maier den mit ihm zusammenarbeitenden Beamten der Augsburger Steuerfahndung damals freilich anders: Sauter habe ihm, Maier, gegen seinen Willen »aus Fürsorgepflicht die zwingende Anregung« gegeben, das Verfahren gegen die insgesamt sieben Beschuldigten in mehrere Einzelverfahren zu zerschlagen und diese dann größtenteils an andere Behörden abzugeben. Riedl und Strauß sollten von der Staatsanwaltschaft München I, Pfahls von München II und Kiep in Frankfurt weiter bearbeitet werden. Die Ermittlungen gegen den ins Ausland geflüchteten Schreiber sollten vorläufig eingestellt werden, da dieser derzeit nicht greifbar sei. Für Maier sollte demnach nur das Verfahren gegen die zwei Thyssen-Manager übrig bleiben - die beiden einzigen Beschuldigten ohne parteipolitischen Bezug.
Damit nicht genug. Sauter und sein eigener Behördenleiter Nemetz, so Maier gegenüber den Steuerfahndern, hätten ihn zudem aufgefordert, »einen Bericht an die Generalstaatsanwaltschaft in München in der Form zu erstellen«, dass er, Maier, »von sich aus zuständigkeitshalber die Ermittlungsverfahren« gegen Riedl, Strauß, Pfahls und Kiep abgeben wolle - also genau das Gegenteil seiner Intention.
Der Chef der Augsburger Steuerfahnder war zum »erbitterten Widerstand« bereit. In einem Vermerk für das Münchner Finanzministerium beklagte er, die von der Generalstaatsanwaltschaft genannte »Fürsorgepflicht« gegenüber Maier sei »als Argument nur vorgeschoben«. Die meiste Ermittlungsarbeit sei geleistet. Der Vorgang sei nichts anderes als »eine Bankrotterklärung der Justiz«. WOLFGANG KRACH,
GEORG MASCOLO