Kredite Bargeld per Post
Professor Udo Reifner, Geschäftsführer des Instituts für Finanzdienstleistungen in Hamburg, entschloß sich zu einem scharfen Schnitt. Der bei Banken als Beistand von Schuldnern bekannte Wissenschaftler kündigte vor zwei Wochen seine Konten bei der örtlichen Sparkasse - aus Protest.
Reifner ist stinksauer auf das Geldinstitut. Der Grund: Die Banker verweigerten einem afrikanischen Freund der Familie einen Kleinkredit über 6000 Mark, obwohl der Petent gerade eine mit monatlich 4500 Mark dotierte Stelle angetreten hat.
Der Mann braucht das Geld dringend für eine Wohnung. Allein 2500 Mark Kaution sind fällig. Bringt er die nicht bei, entgeht ihm die Unterkunft. Doch die Hamburger Sparkassenmitarbeiter haben eine klare Vorgabe: Darlehen bis 6000 Mark werden in der Regel nicht mehr vergeben. Derart geringe Summen bietet die Bank als Dispositionskredit an. Den erhält aber nur, wer schon geraume Zeit ein regelmäßiges Einkommen nachweisen kann.
Die Banken scheuen sich, in Zeiten der Flaute risikoreiche Kredite zu vergeben. Wer etwa noch in der Probezeit ist, hat kaum Chancen. Arbeitslose brauchen gar nicht erst nachzufragen.
Mit der Massenarbeitslosigkeit erlebt deshalb die Branche der unseriösen Kreditvermittler einen neuen Boom. Helmut Sehnert, seit 20 Jahren Schuldnerberater im Ludwigshafener Rathaus, wird beinahe täglich mit den Finanznöten von Menschen konfrontiert, die auf skrupellose Geldverleiher hereingefallen sind.
Ob in Hamburg, München oder Berlin - die Abzocker ködern überall mit den gleichen unseriösen Versprechungen: »Bargeld per Post«, »Spezialkredite auch ohne Ehepartner«, »Darlehen auch für Arbeitslose, ohne Schufa-Auskunft«.
Sehnert und sein Ludwigshafener Kollege Michael Gerbes kennen die Masche. Gerbes: »Die meisten Kreditvermittler werben nur, um lukrative Nebengeschäfte machen zu können.« Bevor es Geld gebe, müßten die Kunden häufig teure Lebensversicherungen oder Bausparverträge abschließen. Einem Analphabeten in Ludwigshafen drehte ein Kreditvermittler 39 Unfallversicherungen an.
Die Papiere seien notwendig, argumentieren die Geldgeber, um die erforderliche Bonität herzustellen. Die Provisionen und die erste Jahresprämie werden gleich vom Darlehen abgezogen. Häufig bekommen die Schuldner gerade mal die Hälfte der Kreditsumme (Standardhöhe: 4000 Mark) ausbezahlt.
Schon seit Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankenthal gegen die Firmengruppe Volandt, zu der unter anderen die Schweizer Credit-Vermittlungsgesellschaft, die Delta Creditvermittlungsgesellschaft, die Domas Assekuranz und die UGV-Inkasso GmbH gehören. Nach Einschätzung des Schuldnerberaters Christian Klaus Maltry vom Landratsamt Main-Spessart in Karlstadt ist das in Rheinland-Pfalz laufende Verfahren »das umfangreichste, das je wegen Kreditvermittlungsbetruges angestrengt« wurde. Bei Durchsuchungen stellte die Kripo umfangreiches Datenmaterial sicher.
Die Fahnder gehen vor allem zwei Vorwürfen nach: Mitarbeiter der Volandt-Gruppe sollen Kredite versprochen haben, obwohl sie wußten, daß diese nicht gewährt würden. Dennoch hätten sie jeweils 400 Mark Vermittlungsgebühr kassiert. In anderen Fällen seien von den Kreditvermittlern Versicherungen als Sicherheiten verkauft worden, obwohl ihnen klar gewesen sei, daß keine Bank auf die Policen auch nur eine Mark Kredit geben würde. Firmenchef Heinz Volandt bestreitet die Vorwürfe. Es würden »keine Zusagen hinsichtlich einer problemlosen Kreditbeschaffung und zügigen Kreditauszahlung« gemacht, sondern »nur die für die Beurteilung der Bonität erheblichen Umstände ermittelt«.
Kreditvermittler wie die Hannoversche Allfinanz oder die Rothschild Spar- und Darlehnskasse Limited mit Sitz im nordirischen Londonderry bereichern sich schon am Telefongespräch. Unter 0190-Anschlüssen bieten sie Kreditsuchenden eine »Bargeld-Hotline rund um die Uhr« an - zum Preis von 3,60 Mark pro Minute.
Anrufer der Nepp-Nummern müssen oft minutenlang in einer mit Musik unterlegten Warteschleife ausharren, ehe ein Kreditberater antwortet. Der erfaßt dann zeitraubend die Daten »in Form einer Haushaltsanalyse«. Ob am Ende ein Kredit gewährt wird oder nicht, der Kunde hat neben dem teuren Telefonat auch noch eine Bearbeitungsgebühr zu zahlen, bei der Allfinanz 395 Mark.
Bis vor wenigen Jahren verdienten Kreditvermittler und Banken, häufig Schweizer Institute, hauptsächlich an Wucherzinsen, die nicht selten 200 Prozent über dem Marktpreis lagen. Der Bundesgerichtshof dämmte dieses Geschäft in den achtziger Jahren ein.
Seitdem dürfen die Gelddealer wegen ihres höheren Risikos bei finanzschwachen Kunden maximal das Doppelte der üblichen Konditionen verlangen. Im derzeitigen Zinstief sind das immerhin noch 23 Prozent.
In der Theorie schützt auch das 1991 in Kraft getretene Verbraucherkreditgesetz (VKG) Schuldner vor Ausbeutung. Laut VKG dürfen Kreditprovisionen nur dann berechnet werden, wenn das Darlehen tatsächlich ausgezahlt wurde.
Kommt kein Kreditvertrag zustande, darf der Vermittler lediglich solche Auslagen verlangen, die ausdrücklich vereinbart und tatsächlich entstanden sind.
In der Praxis werden diese Regeln jedoch oft mißachtet. Manche Geldverleiher verschicken Unterlagen für ein Darlehen nur per Nachnahme - dafür müssen die Kunden dann erst mal 300 oder 400 Mark vorlegen.
Die bayerische HMC Finanzierungsvermittlungs GmbH verlangt für die Bearbeitung von Anträgen, die per Post eingehen, von ihren Kunden »eine einmalige Gebühr in Höhe von DM 402,50«. Bescheidener ist die Frankfurter Apollon Finanz Blain: Dort hat jeder Brief-Bittsteller einen »Aufwandersatz von DM 295,30« zu zahlen.
Ob ein Kredit vermittelt wird oder nicht, die Gebührenfalle schnappt immer zu. Obschon sein »Darlehenswunsch leider« nicht erfüllt werden könne, verlangte die Petra Stock GmbH von einem Hamburger Kaufmann 165 Mark. Mit der Absage verband die Firma ein neues Angebot. Dem klammen Kunden könne womöglich eine »Barclaycard« vermittelt werden. »Als Inhaber dieser Kreditkarte«, lockte die Stock-Beraterin, habe der Antragsteller »einen Sofort-Kredit-Anspruch« in Höhe »von mindestens DM 3000«.
Natürlich platzte auch der Kartentraum, und wieder war eine Gebühr von 165 Mark fällig. Als der Kunde nicht zahlte, reagierte die Kreditfirma prompt: Ultimativ forderten Geldeintreiber aus Osnabrück den Säumigen auf, den »Auslagenersatz für Antrag auf eine Kreditvermittlung, unabhängig von dessen Gewährung« zu zahlen.
Beliebt sind auch hohe Spesenrechnungen. Der Mitarbeiter einer Hamburger Maklerfirma etwa berechnete einer Familie in Darmstadt für Fahrtkosten, Übernachtung, Telefon und ein »Finanzgutachten« insgesamt 935 Mark. Dazu kamen noch diverse Versicherungen. Aus dem Kredit wurde trotzdem nichts.
Nur selten befassen sich Gerichte mit der Abzockerei. Die meisten Schuldner scheuen den Gang zum Richter.
Mehr als tausend Geldhändler gibt es nach Angaben des Instituts für Finanzdienstleistungen derzeit in der Bundesrepublik. Die neuen Bundesländer sind ein Eldorado für Kreditvermittlungsbetrüger. Ostdeutsche, die sich nach der Wende durch Autokauf oder neue Möbel überhoben haben, werden besonders leicht Opfer. Allein die Berliner Staatsanwaltschaft verfolgte in den letzten Jahren Fälle mit insgesamt 6000 Geschädigten: 36 Betrüger sollen 70 Millionen Mark kassiert haben.
Auf dem lukrativen Markt tummeln sich nach Erkenntnissen des Hamburger Professors Reifner »in zunehmendem Maße auch ausländische Kreditvermittler«. Diese Firmen operieren vornehmlich von Luxemburg, der Schweiz, Brasilien oder von St. Petersburg aus. Die internationalen Vermittler arbeiten mit den gleichen Tricks wie die deutsche Konkurrenz.
Angesichts der Schuldenexplosion - 1,5 bis 2,5 Millionen der 37 Millionen deutschen Haushalte gelten als überschuldet - fordert der Ludwigshafener Sozialdezernent Fritz Heiser (SPD), das Insolvenzrecht sofort zu ändern: »Wenn der ''private Konkurs'' nicht schnellstens eingeführt wird, werden wir dramatische Verhältnisse erleben.«
Heisers Genossen andernorts indes ist eine rasche Gesetzesänderung zu teuer. Die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen wollen eine für 1999 bereits beschlossene Einführung des Konkurses auch für Privatpersonen aus Kostengründen hinausschieben.
Um das Gesetz zu vollziehen, so die Sozis, müßten die Justizminister der Länder zusätzliche Mitarbeiter einstellen, die das Entschuldungsverfahren überwachen. Das aber sei derzeit nicht finanzierbar - weil die Länder so verschuldet sind wie viele ihrer Bürger.
* Mit Raten-Terminlisten.