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Baron Guttenberg

aus DER SPIEGEL 42/1972

Für die einen war er ein reaktionärer Standesherr, für die anderen einer der wenigen Gentleman-Politiker Westdeutschlands. Er selber entzog sich jeder Schwarzweißmalerei, verwirrte nicht selten Freund und Feind.

Der CSU-Baron bekämpfte bis zum letzten Atemzug die neue Ostpolitik Bonns und nannte doch deren Hauptarchitekten Herbert Wehner seinen Freund. Er hielt seinen Parteichef Franz Josef Strauß für ein nationales Unglück und nannte ihn doch eine »Zielscheibe Nr. 1 aller Weltverbesserer. Revolutionäre und Progressisten«.

Wo immer er agierte, kehrte er den Unabhängigen und Einzelgänger hervor; die betonte Eleganz der Kleidung, das modische Schnurrbärtchen, die leise Arroganz des ehemaligen Kavallerieoffiziers sollten bewußt Abstand schaffen. Denn er war einer der letzten reichen Amateure der Politik, ein Vertreter jenes untergegangenen Typs des aristokratischen

Honoratioren-Parlamentariers, dem wirtschaftliche Macht und klangvoller Name erlaubten, gegenüber Parteiapparaten eine unabhängige Existenz zu führen.

Doch die konservativ-katholische Feudalwelt, in die Karl Theodor Reichsfreiherr von und zu Guttenberg am 23. Mai 1921 geboren wurde, ließ ihm weniger Spielraum, als ihn selber dünkte. Nie konnte und wollte er vergessen, daß die oberfränkischen Guttenbergs, bis 1149 zurückreichend, eines der ältesten und reichsten Adelshäuser Europas (geschätztes Vermögen: 30 Millionen Mark) waren.

Entsprechend bilderbuchhaft hatte der junge Guttenberg die ersten Stationen seines Lebens durchlaufen: Jugendzeit auf dem burgähnlichen Schloß der Väter, Ausbildung in zwei Jesuitenkollegs, Eintritt bei den »Bamberger Reitern«, dem feudalen Kavallerieregiment 17.

Doch der Nationalsozialismus störte brutal die aristokratische Idylle. Guttenbergs Vater geriet kurze Zeit in Gestapohaft, Onkel Karl Ludwig gehörte zu den Widerständlern der ersten Stunde. andere Verwandte wie Stauffenberg und Stülpnagel starben den Märtyrertod. Auch Guttenberg rief in britischen Rundfunksendungen zum Sturz Hitlers auf, nachdem er 1944 in Gefangenschaft geraten war.

Das Erlebnis der NS-Herrschaft und das feudal-freiherrliche Selbstbewußtsein ließen in ihm einen fast abstrakten Freiheitsbegriff entstehen, den er zum zentralen Motiv jeder Politik im geteilten Deutschland erheben wollte. In diesem imponierend einfachen Weltbild sah er die Kommunisten in den Fußstapfen der Nazis, wollte er keine Differenzierung zwischen Hitler und Ulbricht gelten lassen.

Konsequent führte ihn der Weg in die CSU: Er wurde Landrat, schließlich Bundestagsabgeordneter. In seiner Jungfernrede 1959 rechnete er mit der Deutschland-Politik der SPD ab -- so schneidend und hochmütig, daß selbst Parteifreunde erschraken.

Von Stund an bekämpfte »der geistvollste und begabteste Schüler Adenauers« (so Golo Mann) alles, was er als Aufweichung von Bonns traditioneller Westblock-Politik sah. Er verurteilte Gerhard Schröders erste ostpolitische Gehversuche, er setzte auf die Karte de Gaulles, ohne zu merken, daß just der Franzose jene Auflösung der Blöcke betrieb, die Guttenberg so fürchtete.

Je mehr aber auch Bonn unter Willy Brandt den Weg der Versöhnung mit dem Osten einschlug, desto leidenschaftlicher wurde Guttenbergs Kreuzzug gegen die Entspannungspolitik. Im Kampf um die Ostverträge wurde vollends deutlich, daß er nicht der pragmatische Außenpolitiker war, als der er sich gerne sah: »Wir sind nicht bereit, sogenannte Realitäten zu achten oder gar anzuerkennen, die den Namen Unrecht tragen.«

Er war freilich zu vornehm, das Kesseltreiben der CDU gegen die Regierungsparteien mitzumachen. Er durfte des Respekts der Sozial-Liberalen sicher sein; betroffen hörten auch sie die letzte große Rede des vom Tode gezeichneten Mannes. Die Zeitgeschichte hat den Freiherrn widerlegt, doch seine Gegner werden ihn vermissen, weil jede wagende Politik des aufrechten Kontrahenten bedarf.

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