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KRIMINALITÄT Basar im Netz

Ein paar Gymnasiasten schocken Deutschlands Fahnder: Die Hacker haben gezeigt, wie leicht sich Firmen, Privatleute und Behörden überlisten lassen.
aus DER SPIEGEL 23/2008

Die Preise waren moderat im Netz: Einen gefälschten Pass etwa bot einer der Hacker für 550 Euro an, einen Führerschein gab es für 600 Euro. Kopierte Kreditkarten verschacherte man mit Mengenrabatt: 5 Euro für eine, 120 Euro für 30 Stück.

Das Geschäft lief über Monate, und es war einträglich für elf junge Hacker - neun Schüler und zwei Arbeitslose - aus ganz Deutschland: Bis zu 2000 Euro Taschengeld monatlich blieben bei jedem hängen, auch mal ein Laptop, ein iPod, eine Kamera oder ein Mountain-Bike, auf Kosten nichtsahnender Bürger gekauft in Online-Shops.

Mit einfachen Tricks und in einer Geschwindigkeit, die selbst erfahrene EDV-Fahnder staunen ließ, gelangten die Mitglieder der Internet-Community Hacksector über Monate hinweg an die Daten von Privatleuten, Firmen und Behörden, sie spähten Bankkonten aus und amüsierten sich über die Sicherheitssysteme von Online-Kaufhäusern.

Durch Zufall kam ihnen im vergangenen Herbst ein junger Augsburger Kriminalbeamter auf die Spur, der auf der Suche nach heißer Ware aus einem Internet-Auktionshaus war. Dabei gelang ihm einer der bislang größten Schläge gegen Internet-Kriminalität in Deutschland. Denn für das Wissen der Gymnasiasten interessierten sich bundesweit rund 33 000 Nutzer. Auf der Web-Seite www.hacksector.cc besorgte sich mancher illegale Tipps oder gefälschte Dokumente, getarnt mit echten Daten von Behörden.

Der Fall ist eine Premiere: Dass die Augsburger Staatsanwaltschaft nun gegen die Computerfreaks zwischen 15 und 22 Jahren ermittelt, wurde erst vor knapp einem Jahr durch eine Änderung im Strafrecht möglich. Die neuen »Hackerparagrafen« 202 a und c verbieten das Ausspähen von Daten sowie die Weitergabe entsprechender Programme.

Doch gegen die kriminellen Machenschaften im World Wide Web wirken die Paragrafen eher kläglich: Kriminelle Organisationen, warnt das Bundeskriminalamt (BKA), wenden sich zunehmend dem Internet zu. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet mit Sorge vermehrte Angriffe auf geheimes Wissen deutscher Unternehmen - deren Firewalls nicht einmal den Angriffen der Halbwüchsigen standhielten.

Um 6,4 Prozent auf knapp 63 000 Fälle stieg die polizeilich registrierte Computerkriminalität 2007 im Vergleich zum Vorjahr, 180 000-mal wurde das Internet zum Tatort. Die Hacker werden immer besser, immer dreister. BKA-Präsident Jörg Ziercke warnt vor Profis, die »in Lohnarbeit« für osteuropäische Banden Konten knacken.

Matthias Gärtner vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik registriert eine »deutliche Zunahme der Qualität der Angriffe«. Deutschland sei ein Lieblingsziel der Internet-Piraten. In kaum einem anderen Land sei die Computerdichte so hoch, viele Geräte seien hierzulande dank Flatrate ständig online - allzeit bereit, gekapert zu werden.

Wie leicht das ist, zeigen die Augsburger Ermittlungen. Die Fahnder hatten es dabei mit zwar hochtalentierten, aber noch ziemlich leichtsinnigen Nachwuchs-Hackern zu tun. »Sie haben Fehler gemacht und Spuren hinterlassen«, sagt ein Augsburger Internet-Fahnder. Tatsächlich wurden die kriminellen Geschäfte in der Community so offen betrieben wie in einem Bazar.

Gegen geringe Gebühr verkauften die Kids etwa Druckvorlagen, mit denen sich in Minutenschnelle ein gefälschter Personalausweis herstellen lässt. Zwei Clicks weiter gab es Kontodaten von Privatleuten - so konnten Surfer auf Kosten der Kontoinhaber im Internet shoppen gehen. Die Bankdaten wurden nach Brauchbarkeit sortiert. Hochwertig war etwa das »Konto von 'nem Bonzen«, so das Angebot der Hacker, auf dem 20 000 Euro verfügbar seien.

Wer selbst Daten aus dem Netz fischen wollte, konnte sich bei den Teenagern auch sogenannte Trojaner besorgen, fertige Programme, die sich auf Rechnern einnisten und dort die Dateien nach Brauchbarem wie Passwörtern durchstöbern.

Unter falschem Namen mieteten die Jungs sogar Wohnungen an und ließen dort Waren aus E-Bay-Shops anliefern - bezahlt mit gefälschten Kreditkarten. Sie halfen Altersgenossen auch bei speziellen Problemen: Einem Schüler, der Unterlagen aus seiner Schule klauen wollte, gaben die Hacker Tipps für spezielle Einbruchwerkzeuge.

Dabei galten die Jungs ihren eigenen Eltern als brav und harmlos - wie ein 16-jähriger Gymnasiast aus Hamburg, der es bei Hacksector immerhin zum Co-Administrator der Internet-Seite brachte. Der junge Computermagier ist ein guter Schüler und nimmt nachmittags brav Unterricht in Standardtänzen.

An der Uni Hamburg belegte er einen Informatikkurs, den Rest seiner Freizeit verbrachte er zu Hause am PC oder ging auf Lan-Partys. Der Junge nutzte sein Talent ohne Gewissensbisse, wie sein Anwalt Klaus Friedrich sagt: »Unrechtsbewusstsein gibt es da keines.« CONNY NEUMANN,

ANDREAS ULRICH

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