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PRIVAT-TV »Bauchgefühl reicht nicht«

Kulissenwechsel bei RTL: Der bunte TV-Zirkus des einstigen Direktors Helmut Thoma verwandelt sich unter seinem Nachfolger Gerhard Zeiler in ein kostenorientiertes Programm-Unternehmen. Bevorzugtes Werkzeug des neuen Chefs: das Skalpell.
Von Hans-Jürgen Jakobs
aus DER SPIEGEL 17/1999

Zum Abschied machte sich Geert Müller-Gerbes fein. Beim TV-Karneval trat der graue Star der RTL-Verbraucher-Show »Wie bitte?!« als Dschingis Khan auf, wollte aber nicht mal mehr seinen neuen Chef erobern. Mit Gerhard Zeiler, der als strammer Major der Prinzengarde einmarschiert war, wechselte er nur ein paar dürre Sätze. Das war''s.

Eroberer, das wußte Müller-Gerbes längst, sind nicht mehr gefragt. Es braucht Soldaten. Kurz darauf wurde das Ende von »Wie bitte?!« verkündet. Zeiler unternahm gar nicht erst den Versuch, es dem Moderator persönlich beizubringen. »RTL macht im Gegensatz zur landläufigen Meinung nicht mehr Fernsehen, sondern Gewinn«, wettert der Geschaßte. Das Programm werde nur »billigend in Kauf genommen«.

Das klingt verbittert, aber der Sender ist ohnehin nicht mehr seine Welt. Die hat Müller-Gerbes schon am 28. Oktober des vergangenen Jahres zu Grabe getragen, als er mit Hans Meiser seinen RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma, 59, im Studio 3 auf dem Kölner Firmengelände verabschiedete. Der TV-König weinte ein bißchen, nahm eine Nachbildung des »Goldenen Löwen« in Empfang als »Entdecker des Zuschauers« und erhielt im Kreise der alten Kämpen einen Film, der eine - seine - glanzvolle Ära illuminierte. Es war eine Ära, in der sein Privatsender immer eine Spur frivoler und frecher war als die Konkurrenz.

RTL lieferte die erste tägliche Seifenoper ("Gute Zeiten, schlechte Zeiten"), das erste Boulevard-Magazin ("Explosiv"), den ersten Tages-Talk ("Hans Meiser") und mit Thomas Gottschalk die erste Late-Night-Show. RTL, das war Boris Becker und Boxen, »Tutti frutti«, Kriegsreport und Rudelbumsen auf Mallorca. RTL war Thoma, und Thoma war gütig nach innen ("Machen''S des amol. Des probier ma") und gewitzt nach außen ("Der Wurm muß dem Fisch schmecken, nicht dem Angler").

Besonders gute Laune bekam der Chef, wenn er in seinem Büro ein elektrisches Mobile mit Zirkustieren anschalten durfte. Auf Knopfdruck sprangen Tiger durch Reifen. Helmut, der I., stand daneben und genoß die Rolle des Zirkusdirektors.

Ein halbes Jahr danach hat sich die Kulisse gewandelt. Der Kanal ist nur noch die Tochter einer Tochter des Medienriesen Bertelsmann. Statt der Aura einer familiären Zirkusmanege durchweht die TV-Firma neuerdings die Gemütlichkeit eines Operationssaals. Nun regiert Gerhard Zeiler, 43, einst Sprecher des Wiener Kanzleramts und ORF-Chef, den vor allem eines interessiert: daß die Kasse stimmt. Sein Vorgänger gab es gern aus, er nimmt es noch lieber ein. Zeilers Ziel: mehr Gewinn. Sein Credo: Ich kämpfe um jede Mark.

So sprechen Buchhalter. Sie essen viel Obst, schwören auf die reinigende Kraft von Mineralwasser und können auf dem Laptop jede Idee in Grund und Boden rechnen. Fest steht schon vorher: Fünf Prozent sollen überall eingespart werden.

Der neue Stil ist typisch für eine Branche, die ihren Zenit überschritten hat. Die Zeiten wuchernden TV-Wachstums sind vorbei. Dieses Jahr wird nur noch ein Plus von höchstens vier Prozent bei den Nettowerbeerlösen erwartet. »Das deutsche Fernsehen verdient im internationalen Vergleich zuwenig«, sagt Dieter Hahn, Geschäftsführer beim Münchner RTL-Rivalen und TV-Unternehmer Leo Kirch (Sat 1, DSF, Premiere, DF 1): »Wir müssen endlich auf jene 20 Prozent Umsatzrendite kommen, die anderswo üblich ist.«

Prompt greifen alle Fernsehmanager zu denselben Methoden: Kosten senken, Abteilungen verschlanken, billiger einkaufen und Partner suchen. Doch nirgendwo sonst tut der Umbau derzeit so weh wie in Köln. »Die Angst geht um«, sagt ein Produktionsleiter. »Sie schleicht durch jeden Flur.«

Nach den Vorgaben von Bertelsmann-TV-Vorstand Michael Dornemann soll der Vorsteuergewinn weiter steigen: von 290 Millionen Mark auf 330 Millionen in diesem Jahr - bei 2,4 Milliarden Mark Umsatz eine stolze Rendite von rund 14 Prozent. Zeilers bislang wichtigstes Werkzeug im Umgang mit Formaten und Verantwortlichen: das Skalpell.

Auf die Gründerphase folge eben die Epoche der »Optimierung«. So gefällt sich Zeiler: »Ich passe gut in die Rolle des Konsolidierers«, sagt er kühl in einer Firmenschrift. Es müsse jetzt einen Schnitt geben, sagen die Bertelsmänner. Also wird geschnitten.

Programmchef Marc Conrad: abgefunden. Einkäufer Erhart Puschnig: entsorgt. Marketing-Mann Matthias Schmidt: rausgekegelt. Generalsekretär Alexander Isadi: entmachtet. Nachdem Kommunikationschef Richard Mahkorn diese Meldungen verpackt oder dementiert hat, wurde er selbst in die Umlaufbahn als »Berater« geschossen. TV-Deutsch für: Das Schweigegeld war hoch.

Alles, was an den einst barocken Führungsstil erinnerte, flog raus. Selbst der Sender-Slogan »Wir zeigen''s Ihnen« soll demnächst ersetzt werden, womöglich durch »RTL - Ich kann nicht anders«, auch wenn das wie der Hilfeschrei eines Alkoholikers klingt. Nur Thomas Ex-Frau Danièle harrt als hochbezahlte Spendensammlerin auf ihrem Posten aus. Wie lange noch?

Fröhlich kappt Zeiler weiter: Die »Stadtklinik« wurde dichtgemacht, die Redaktion erfuhr es via Fax. Und das vor allem bei Senioren beliebte Vorabend-Ratespiel »Jeopardy« wurde mitsamt Altstar Frank Elstner ausgehebelt.

Dumm nur, daß auch einige der Neuheiten floppten: Die Mystery-Serie »Operation Phoenix« wurde nach nur zwei Folgen begraben. Die Doku-Seifenopfer »Das Clubschiff« soff sofort nach dem Stapellauf ab. Selbst »Veronas Welt« droht neuerdings der Untergang, auch wenn die schrille TV-Ikone bereits alle Welt wissen ließ, daß sie in ihrem Kalender unter dem 20. Juli stehen hat: »Achtung! Superwichtig: RTL-Boß Gerhard Zeiler hat Geburtstag.«

Zum Feiern ist niemandem so recht zumute: Angestaubte Samstagabendshows verkommen langsam. Der Sonntag, einst der stärkste Abend von RTL, ist heute vor allem gegenüber der ARD zurückgefallen. Der Vorrat an Spielfilmen ist begrenzt, gezeigt wird auch zweitklassige Ware, nicht selten als Wiederholung. Der Sport krankt immer mehr, denn Fußball ist teuer, und Boxen oder Tennis will niemand mehr sehen. Und Comedy-Freunde schauen gern bei Sat 1 oder Pro Sieben.

Trotzdem bilanziert Zeiler: »Von meinen sieben Programmentscheidungen haben sich sechs bewährt.« Künftig will er neue Comedy-Sendungen und Shows bringen. Drei Klassiker sorgen weiterhin für den vollen Gewinn: »Gute Zeiten, schlechte Zeiten«, »Explosiv« und die Formel 1.

Nach miesen Quoten im Januar und Februar war der Ex-Marktführer nur noch dritte Wahl bei den Zuschauern. »RTL - von der Siegerstraße in die Sackgasse?«, hämte »Bild am Sonntag«. Und die »Süddeutsche Zeitung« zitierte genüßlich Thoma: »Nur die alten Sachen laufen gut.« Der Analyse-Altmeister pflegt nun als Beichtvater die waidwunden Seelchen seiner alten Familienmitglieder.

Er habe »alles geerbt«, verteidigt sich Zeiler im Schatten des Vorgängers, »sehr gute und auch weniger gute Sachen«. Und über das Jahr hinweg werde sein Sender gegenüber der ARD insgesamt »die Nase vorn haben«. Trotzdem: Der mediale Gegenwind hat ihn offenbar überrascht. Die Kritik an seinem konsequenten Kommerzkurs wächst. Nun werde schon »um zehn Uhr vormittags bei Talkshows in die tiefsten Niederungen des Menschlichen vorgestoßen«, wettert Zeilers einst enge Mitarbeiterin Kathrin Zechner. Die ORF-Programmchefin meint die neue RTL-»Sabrina«.

Macher wie Thoma würden aussterben, bedauert Günter Müggenburg, Chef des RTL-Programmbeirats und Vertreter des WAZ-Konzerns. Unverhohlen stichelt er gegen die Bertelsmänner: »Controllertypen, die nur auf die Zahlen sehen, bestimmen zunehmend die Branche.« Die Kreativen aber seien vonnöten, »sonst bleibt den Erbsenzählern ja nichts zu zählen«.

Zeilers Truppe zählt derweil munter weiter. Bis April nächsten Jahres will sie aus RTL eine schlanke, schnelle Fernsehfirma machen. Ein Drei-Mann-Team rund um den US-Unternehmensberater und Ex-Senderchef Rick Spinner bastelt derzeit an den Details, während der Chef von »ganzheitlichem Management« träumt. Techniker, Kreative und Finanzleute sollen ihre Pläne besser abstimmen. Er wolle »die interne Kommunikation verbessern«, erklärt Zeiler. Nur er selbst kommuniziert bisher nicht allzuviel.

Zwar gibt es Ausnahmen: Rudi Carrell und seine »Sieben Tage, sieben Köpfe«-Stammcrew stattete der Neue nicht nur mit einem üppigen Drei-Jahres-Vertrag aus. Zeiler ließ sich gar im Studio blicken. Er könne nicht klagen, sagt Carrell, auch wenn Zeiler »manchen vielleicht zu direkt sei«.

Allzuoft sucht er jedoch nicht die Nähe seiner 900-Mitarbeiter-Familie, wenn er morgens pünktlich um acht mit seinem Dienst-Audi (Wunschkennzeichen: K-GZ-1000) in die Tiefgarage rollt. An der Doppelbelastung seiner zwei Jobs - Geschäfts-

* Mit Ehefrau Maryann.

führer und Programmchef - allein kann es nicht liegen, daß er sich gern in seinem kargen Büro verbarrikadiert und eine Konferenz nach der anderen abhält. Das sei »der Triumph des Hinterns über den Kopf«, spottet ein Insider.

Immerhin: Am Montag vergangener Woche öffnete sich Zeiler zum erstenmal einer größeren Runde von Managern und Redaktionsleitern. 15 Prozent Umsatzrendite seien das Minimum, forderte er im Kölner Schokoladenmuseum. »Buchhalterisch« sei es gewesen, resümiert einer der rund 80 Zuhörer die mit allerlei Grafiken garnierte Predigt, »aber durchaus fair«.

Der einstige Psychologiestudent Zeiler glaubt die Befindlichkeiten seines Senders zu kennen: »Viele bei RTL haben in ihrer beruflichen Laufbahn nur einen Chef gehabt - Helmut Thoma. Da kommt es leicht zu Verunsicherungen, wenn ein neuer da ist.« Schon deshalb will er seine Mannschaft beim Frühlingsfest Ende dieser Woche fröhlich stimmen. Gerüchte über ein bevorstehendes Blutbad bei RTL seien barer Unsinn.

Viele beginnen sich mit dem neuen Stil zu arrangieren. »Nachtjournal«-Moderator Heiner Bremer zuckt gelassen die Schultern: »Es ist jetzt die Zeit für redliche Kärrnerarbeit. Bauchgefühl allein reicht heute nicht mehr.«

Dabei planen auch Zeiler und Bertelsmann Großes rund um RTL. Nach ihren Blaupausen soll in Köln die Schaltzentrale eines großen Senderverbundes aufgebaut werden, der auf den Satellitenkanälen RTL 2 und Super RTL die üppigen Programmvorräte (Wert: 1,2 Milliarden Mark) abspielen kann. RTL-2-Chef Josef Andorfer soll, so ein Plan, als zentraler Programmchef wirken. Die Aktion spare mindestens 100 Millionen Mark an Sonderabschreibungen für Altfilme und katapultiere die RTL-Rendite nach oben.

Noch hat der Medienkonzern bei den beiden Töchtern nicht die Mehrheit. Sollte die neue Großfamilie irgendwann stehen, will Zeiler aus RTL eine große Marke machen - mit RTL-Lokalen ("Blue Box") in jeder Großstadt, mit Hans-Meiser-Tassen und einer RTL-Modelinie, Kinos und Erlebnisparks. Diesen Sommer rollt ein RTL-Verkaufsshop durch die Lande. Zeilers Vision: eine »World of Entertainment«.

Sein Schatten Thoma, selbst ein Freund großer Visionen, hält das nun wieder für spinnert. Sein Spott fiel schon vor Wochen drastisch aus: »Wer zu viele Visionen hat, muß zum Arzt.«

HANS-JÜRGEN JAKOBS, THOMAS TUMA

[Grafiktext]

Weiterhin gute Zeiten? ZUSCHAUERMARKTANTEIL Jahresdurchschnitte in Prozent, Zuschauer ab 3 Jahre »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« Daily Soap, montags bis freitags, jeweils 19.40 Uhr Jährlicher Gewinn: 160 Millionen Mark »Hans Meiser« Talkshow, montags bis freitags, jeweils 16.00 Uhr Jährlicher Gewinn: 50 Millionen Mark »Explosiv - Das Magazin« Boulevardmagazin, montags bis freitags, jeweils 19.10 Uhr Jährlicher Gewinn: 90 Millionen Mark ACTION PRESS Formel-1 Sport-Liveübertragung, zumeist sonntags, wechselnde Uhrzeit Jährlicher Gewinn: 80 Millionen Mark

[GrafiktextEnde]

* Mit Ehefrau Maryann.

Thomas Thuma
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