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FRAUENARBEIT BB

aus DER SPIEGEL 46/1966

Zu Kaiser Wilhelms Zeiten lebten

Deutschlands Frauen im Zeichen des dreifachen K. Küche, Kinder, Kirche hieß ihre Welt.

In Walter Ulbrichts Republik regiert das doppelte B. Bett und Betrieb heißt die Parole.

Denn die wirtschaftliche Zukunft der DDR hängt von der Bereitschaft der Frauen ab, ihre Zeit abwechselnd an der Werkbank und im Entbindungsheim zu verbringen. Der Grund: Die DDR hat weder genügend Arbeitskräfte noch genügend Kinder.

Bei steigendem Arbeitskräftebedarf stagniert - als Folge der ungünstigen Alterspyramide - die Zahl der erwerbstätigen DDR-Bürger seit Jahren bei 7,7 Millionen. Und die Zahl der Geburten je tausend Einwohner verminderte sich zwischen 1963 und 1965 von 17,6 auf 16,5. Im selben Zeitraum ging der Geburtenüberschuß von 4,7 auf 3,1 je tausend Einwohner zurück. (Zum Vergleich: 1964 betrug der Geburtenüberschuß je tausend Einwohner in der Bundesrepublik 7,2.)

Um diese bedrohliche Entwicklung zu stoppen, appellierte die Parteiführung per ZK-Ukas wieder einmal an »die Einsatzbereitschaft unserer Frauen und Mädchen«. In der Ost-Berliner Frauenzeitung »Für Dich« ließ sie fordern: »Die Zahl der Werktätigen in der DDR kann ... nur durch Geburten ständig vermehrt werden.« Zugleich schickte sie Werber über Land, um die letzten Reserven an Nur-Hausfrauen für die Produktion zu mobilisieren.

Dabei gibt es schon heute kein Land der Welt mit einem so hohen Prozentsatz weiblicher Arbeitskräfte wie die DDR. Frauen und Mädchen stellen mit 3,6 Millionen fast die Hälfte (46,7 Prozent) aller Erwerbstätigen. (Zum Vergleich: Von den Erwerbstätigen der Bundesrepublik sind nur 36,2 Prozent Frauen.)

Und nicht einmal die Sowjet-Union, die ebenso wie die DDR Frauenarbeit als Zeichen der Gleichberechtigung propagiert, kann sich mit den Erfolgen Ost -Berlins messen. Denn in der DDR arbeiten 70 Prozent aller arbeitsfähigen Frauen, in der Sowjet-Union hingegen nur 47 Prozent.

Die ersten Ergebnisse der jüngsten »Frau komm«-Aktion der SED waren denn auch mangels Masse eher mager. In Borna bei Leipzig zum Beispiel, wo Arbeitskräfte für das Braunkohlenwerk gesucht werden, verschickten die Parteihelferinnen des »Demokratischen Frauenbundes« zwar persönlich gehaltene Einladungen zu Kontaktgesprächen bei Kaffee und Kuchen. Von jeweils 100 eingeladenen Hausfrauen aber kamen höchstens zwanzig.

Auch mußten sich Parteifunktionäre und Frauenbündlerinnen immer häufiger mit den Klagen bereits arbeitender Frauen auseinandersetzen, die sich über schlechte Behandlung im Betrieb und unzureichende Fortkommens-Chancen beschwerten. Dabei stellte sich, ganz im Gegensatz zur offiziellen Gleichberechtigungs-These, heraus, daß die Frauen zwar ständig zur beruflichen Weiterbildung ermuntert, dann aber meistens nicht ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt (und bezahlt) werden. So ist etwa nur die Hälfte aller weiblichen Beschäftigten mit Meisterprüfung auch tatsächlich als Meister tätig.

Unmut erzeugt ferner das Mißverhältnis zwischen der Zahl arbeitender Frauen und ihrer Repräsentation in der Führungsschicht des Staates und der Partei: Über die Hälfte aller DDR-Bewohner und fast die Hälfte aller Werktätigen ist weiblichen Geschlechts. Der Frauen-Anteil an Führungsfunktionen aber erreicht kaum mehr als zehn Prozent.

Beispiele:

- Staatsrat: 23 Mitglieder, darunter

fünf Frauen.

- Ministerrat: 49 Mitglieder, darunter

drei Frauen.

- Politbüro: 14 Mitglieder, darunter keine Frau; fünf Kandidaten, darunter eine Frau.

- Zentralkomitee: 121 Mitglieder, darunter 16 Frauen; 60 Kandidaten, darunter vier Frauen.

Bei diesem Widerspruch zwischen der propagierten und der praktizierten Gleichberechtigung konnte es höchstens Parteigenossen verwundern, was DDR -Soziologen ermittelten. Die Wissenschaftler stellten bei einer Umfrage fest, daß weibliche Arbeitskräfte in der Regel nur durch materiellen Anreiz, nicht aber durch Ideologische Tiraden zu gewinnen sind: 70,7 Prozent aller befragten Ehefrauen gaben an, daß sie eine Stellung nur angenommen hätten, »um die Wohnungseinrichtung modernisieren zu können«.

Demoskopen sollen nach diesem, wenngleich peinlichen Erfolg soziologischer Wahrheitserforschung nun auch der weitaus heikleren Frage nachspüren, weshalb immer weniger DDR -Frauen dem Ruf der Partei ins Kindbett Folge leisten und warum - wie eine Fragebogenaktion schon vor zwei Jahren ergab - mehr als die Hälfte aller Ehepaare nur ein einziges Kind haben möchte.

Die nächstliegende Erklärung für diese Abstinenz zu akzeptieren, weigert sich die Partei vorerst noch. Dabei hat eine junge, berufstätige DDR-Ehefrau in einer Zuschrift an das Frauenblatt »Für Dich« höchst plausibel dargetan, weshalb der Staat entweder viel Arbeit oder aber viel Kinder, nicht aber beides verlangen kann.

Sie schrieb: »Mir tun jedenfalls Frauen sehr leid, die vier oder sogar fünf Kinder haben, kaum Pausen und keinen Feierabend kennen, von Erholung, (beruflicher) Qualifizierung, Theaterbesuch usw. ganz zu schweigen. Das ist alles andere als ein kulturvolles, sozialistisches, Leben, das wir doch anstreben.«

Frauenkongreß in Ost-Berlin

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