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ISRAEL / NATIONALITÄT Bedauerlich begreiflich

aus DER SPIEGEL 52/1962

Samuel Rufeisen, Sproß jüdisch-polnischer Eltern, seit zwei Jahrzehnten Mönch im katholischen Karmeliter-Orden, erhielt Anfang Dezember vom Obersten Gerichtshof Israels den befremdlichen Bescheid, daß er sich Rechtens nicht Jude nennen dürfe.

Das Urteil schien der »New York Times« bedeutsam genug, um es - nur unwesentlich gekürzt - im Wortlaut zu veröffentlichen. Und der britische »Guardian« erinnerte daran, daß dies Problem genug Sprengstoff enthalte, »um in Israel eine Regierungskrise auszulösen«.

Dem Gericht selbst schien nicht ganz wohl bei seinem Spruch: »Ich persönlich«, so versicherte einer der fünf Richter, »würde nicht zögern, den Antragsteller wegen seiner außerordentlichen Verdienste in der Vergangenheit als Mitglied der jüdischen Nation anzuerkennen.«

Damit waren Ereignisse gemeint, die sich vor 20 Jahren in dem ostpolnischen Städtchen Mir abgespielt hatten. Die von der SS bedrängte Judengemeinde von Mir, die bereits von 2000 auf 800 Köpfe zusammengeschmolzen war, fand im Sommer 1942 einen unerwarteten Helfer: Der junge volksdeutsche Polizist Josef Oswald warnte die Getto-Insassen nicht nur vor allen drohenden Aktionen, sondern verschaffte ihnen sogar Waffen und organisierte schließlich kurz vor der endgültigen Vernichtung die Flucht von 120 Juden.

Dieses waghalsige Unternehmen drohte freilich dem Polizisten Oswald zum Verhängnis zu werden: Die Deutschen entdeckten, daß er in Wahrheit der aus Oberschlesien stammende Jude Samuel Rufeisen war, der sich in die Hilfspolizei eingeschmuggelt hatte, um seinen Glaubensgenossen zu helfen.

Oswald alias Rufeisen mußte fliehen. Er verbarg sich im Nonnenkloster von Mir; dort trat er zum Katholizismus über und ließ sich taufen.

Nach dem Krieg, dessen Ende er als Partisan in den ostpolnischen Wäldern erlebte, trat der Konvertit Rufeisen ins Karmeliterkloster von Krakau ein und erhielt dort als Bruder Daniel die Priesterweihe.

1959 kam Bruder Daniel nach Israel. Sein Orden hatte den jüdischen Mönch in das Karmeliterkloster »Stella Maris« auf dem Berg Karmel bei Haifa entsandt.

Ins Land seiner Väter heimgekommen, stellte der Karmeliter-Mönch beim israelischen Innenministerium den Antrag, aufgrund des israelischen Rückkehrergesetzes eingebürgert zu werden. Begründete Bruder Daniel: »Ich fühle mich nach wie vor als Jude.«

Das 1950 vom israelischen Parlament beschlossene Rückkehrergesetz stellt fest: »Jeder Jude hat das Recht, nach Israel einzuwandern und damit die Staatsbürgerschaft zu erwerben.«

Dem Bruder Daniel schlug indes die Behörde eine automatische Einbürgerung ab. Denn: Er sei Katholik, mithin kein Jude mehr.

Der kleinwüchsige Expartisan und streitbare Mönch focht diesen Bescheid vor dem Obersten Gerichtshof an. Die Verhandlung wurde zu einer langen, tiefschürfenden Diskussion über die seit Gründung des Staates Israel ebenso ungelöste wie explosive Frage »Wer ist Jude?«

Im Namen des Innenministers betonte der Staatsanwalt vor dem Hohen Gericht: »Es genügt nicht, wenn der Antragsteller erklärt, er fühle jüdisch. Ein Mensch, der sich vom jüdischen Glauben lossagt und zu einem anderen Glauben übertritt, löst sich völlig aus der jüdischen Gemeinschaft - auch weltlich.« Und: »Die Nation allein bestimmt, wen sie aufnimmt, nicht aber der Antragsteller.«

Fragte ein Mitglied des Gerichts: »Welcher Nationalität gehört Ihrer Meinung nach der Bruder Daniel an?« Der Staatsanwalt: »Gar keiner.«

Bruder Daniels Anwalt zitierte hingegen den ideologischen Vater Israels, den Zionisten Theodor Herzl, der erklärt hatte, im Judenstaat sollten alle Bürger frei in der Wahl ihres Glaubens und ihrer Nationalität sein.

»Das Rückkehrergesetz kennt den Begriff Jude nur als Nationalitäten-Bezeichnung und beschäftigt sich nicht mit der Frage, ob jemand Glaubensjude ist«, hielt der Rechtsanwalt den Richtern vor.

»Wenn der Grundsatz gelten soll«, so plädierte Bruder Daniels Rechtsbeistand weiter, »daß der Begriff sich aus der Übereinstimmung von Glaube und Nationalität ergibt, dann muß man Israel als rein theokratischen Staat betrachten.«

Die Attacke des Juristen gegen den nach Meinung vieler liberaler Israelis allzu großen Einfluß orthodoxer Religionsfanatiker auf den Staat vermochte indes die Richter nicht umzustimmen.

Am 6. Dezember wies das Tribunal Bruder Daniels Antrag auf Einbürgerung nach dem Rückkehrergesetz ab, da »ein getaufter Jude kein Jude ist«.

Einzig der aus Deutschland stammende Richter Chaim Cohen stimmte gegen den Spruch. Seine Begründung: »Es ist durchaus möglich, daß ein Mensch gleichzeitig Mitglied des jüdischen Volkes und einer nichtjüdischen Religion ist.«

Aber auch die anderen Richter, die gegen Bruder Daniel entschieden hatten, entschlossen sich zu ausführlichen Erläuterungen ihres Urteils:

- Gerichtspräsident Mosche Silberg, der an deutschen Universitäten studiert hat, argumentierte: »Wir würden das Erbe unserer Vorväter verleugnen und unsere historische Tradition brechen, wenn wir anders entschieden.«

- Eichmann-Richter Mosche Landau befand: »Ein Mensch, der die Glaubensfrage so ernst nimmt, daß er freiwillig seine Religion wechselt, kann nicht verlangen, daß er als Jude anerkannt wird, selbst wenn er dies seiner Abstammung nach bleibt.«

Freilich kann Bruder Daniel trotz dieser höchstrichterlichen Entscheidung, die er »bedauerlich, aber für das Gericht begreiflich« findet, noch israelischer Staatsbürger werden.

Er muß hierfür allerdings wie jeder nichtjüdische Einwanderer einen Einbürgerungsantrag stellen. In seinem Paß wird dann (falls diesem Antrag stattgegeben wird) stehen, daß er israelischer Bürger katholischen Glaubens ohne Nationalität ist.

Einigermaßen paradox erscheint freilich, daß dem zum Bruder Daniel gewordenen Juden Samuel Rufeisen die weltliche Anerkennung als Jude versagt wird, obgleich nach den jüdischen Religionsregeln ein geborener Jude, auch wenn er seinem Glauben abtrünnig wird, bis an sein Lebensende Jude bleibt.

Konvertit Bruder Daniel

Wer ist Jude?

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