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»Bedienen Sie sich nur«

Sie reden vom Sparen und geben doch Jahr für Jahr mehr aus. Milliarden versickern im Staats- und Beamtenapparat, Milliarden werden für unsinnige Projekte verplempert: Die große Verschwendung ist ein Teil des politischen und bürokratischen Systems - und nur durch radikale Reformen zu vermeiden.
aus DER SPIEGEL 39/1994

Die Zeiten sind hart, das Geld ist knapp, da wollte auch der Kanzler seinen Beitrag zum Sparprogramm leisten.

Gewiß, Betten, Duschen und Komfortklos in den drei Airbussen, die für den Transport von Regierungsmitgliedern umgebaut wurden, mußten schon sein. Insgesamt aber sollte die ganze Aktion bescheidene 282 Millionen Mark kosten.

Das konnte nicht gutgehen, und so addiert sich der erforderliche Betrag inzwischen auf 1,1 Milliarden Mark.

Schon 1990 hatte der damalige Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg, als eiserner Sparkommissar bekannt, drei gebrauchte Airbusse der DDR-Gesellschaft Interflug für Regierungszwecke gekauft. Im Gegenzug wollte er drei 25 Jahre alte Boeing 707 ausmustern - und so eine Menge Geld sparen.

Der Umbau der Ost-Maschinen fiel dann allerdings etwas komfortabler aus als eigentlich geplant. Fortan konnten zwar Mitglieder der Bundesregierung standesgemäß und bequem in die weite Welt fliegen. Aber für den Transport von Soldaten zu den Truppenübungsplätzen waren die umgebauten Jets nun viel zu eng und, weil in ministerialem Dauereinsatz, selten verfügbar. Die alten Maschinen, angeblich fast fluguntauglich, werden deshalb weiter eingesetzt.

So starten nun alle sechs Flugzeuge regelmäßig vom Köln/Bonner Militärflughafen, und der Flugbetrieb kostet dreimal mehr als gedacht.

Es ist wie verhext: Wann immer Politiker sparen wollen, am Ende wird es sündhaft teuer.

Kleine Beschaffungen summieren sich plötzlich zu Großeinkäufen, bescheidene Investitionen enden in Milliardengräbern, der penibel korrekte Etatposten enthüllt sich mit Zeitverzug als pure Verschwendung öffentlicher Gelder.

Dem Staat fehlen zig Milliarden für die Erfüllung seiner notwendigsten Aufgaben, die Arbeitslosenhilfe wird gekürzt, das Bafög kann nicht, wie geplant, erhöht werden - doch für viele Bürokraten spielt Geld keine Rolle.

Die Industrie hat sich eine Schrumpfkur verordnet, um wieder zu gesunden; ein Großteil der Bürger muß sich einschränken, um über die Runden zu kommen - doch viele Behörden machen weiter wie bisher.

Der Bürger wird geschröpft wie nie zuvor, die Steuerlast hat neue Rekordhöhen erreicht; die Kommunen pressen den Bürgern immer mehr Gebühren ab - doch das Geld wird mit vollen Händen ausgegeben.

Rund 55 Milliarden Mark, so schätzt der Bund der Steuerzahler, werden Jahr für Jahr verschleudert. Das ist doppelt soviel, wie der von der Regierung geplante Solidaritätszuschlag in die Staatskasse bringen soll.

Eine Menge Geld, und doch längst nicht alles, was im Staats- und Bürokratenapparat versickert. Denn daß der große Rest der reichlich über 1000 Milliarden Mark, die dem Bürger abgenommen werden, sparsam und effizient verwaltet wird, ist kaum wahrscheinlich.

Da hilft es auch wenig, wenn Recht und Gesetz formal eingehalten, Aufträge ausgeschrieben und Investitionen kalkuliert werden: Die öffentlich Bediensteten kaufen teurer, bauen teurer, verwalten teurer als nötig.

Wirtschaftlichkeit und staatliche Verwaltung scheinen einander auszuschließen. Der aufgeblähte Staatsapparat verwaltet sich zum großen Teil selbst; Vorschriften, deren Sinn kein Mensch mehr zu erkennen vermag, treiben Kosten in abenteuerliche Höhen, deutscher Perfektionswahn verschlingt zusätzlich Geld.

Nichts ist in der Industrie deshalb so begehrt wie ein öffentlicher Auftrag. Im Geschäft mit dem Staat lassen sich Traum-Renditen erzielen. Besonders die Waffenindustrie hat damit jahrzehntelang bestens gelebt.

Vorbildlich sparsam, so schien es, ließ die Bundeswehr gebrauchte Schützenpanzer der ehemaligen DDR-Volksarmee umbauen, um sie noch einige Jahre zu nutzen. Die Geräte konnten nicht richtig schießen, auf der Straße fahren durften sie auch nicht. Sie wurden wieder ausgemustert - 30 Millionen Mark sind verschwendet.

Für 300 Millionen Mark ließ sich die deutsche Luftwaffe ein eigenes Landesystem entwickeln. Niemand konnte es brauchen.

Etliche Jahre zahlte der Bund der Herstellerfirma jeweils eine Million dafür, daß sie die Geräte, die niemand haben wollte, bei sich lagerte. Am Ende wurde der Schrott für insgesamt 15 315 Mark, zum Teil an den Produzenten, verschleudert.

Doch das ist nahezu nichts gegen den »Jäger 90«, der jetzt »Eurofighter 2000« heißt. Seine Entwicklung war einmal mit 6 Milliarden Mark veranschlagt, nun werden es eher 10 Milliarden Mark. Im Vergleich zu diesem Aufpreis von 4000 Millionen Mark sind die 375 Millionen Mark fast Peanuts, die bisher in dem vom Rheinhochwasser überfluteten Schürmann-Bau versunken sind.

Die Masse macht's bei den vielen kleinen Verschwendern im Dienst am Volk: Das Wirtschaftsministerium hebt ab mit einem Amphibienflugzeug für 11 Millionen Mark, die Bundesbahn verfeuert Millionen in einer Hausbrandversorgung für ihre Mitarbeiter, die sich bei privaten Händlern billiger eindecken könnten.

Die Bundespost verbaute 60 Millionen Mark für ein Frachtzentrum, das der damalige Postchef Christian Schwarz-Schilling (CDU) bei der Grundsteinlegung zwar rühmte, das aber schon vor dem Richtfest für unbrauchbar erklärt wurde: Als »Schwarz-Schillings Unvollendete« verrottet das Millionengrab im Zentrum Augsburgs.

Die Roten könnten nicht mit Geld umgehen, hieß es vor Jahren im Wahlkampf der Konservativen. Wieder ist Wahlkampf, und diesmal sind es die Sozialdemokraten, die denselben Vorwurf gegen eine konservativ-liberale Regierung erheben.

Zu Recht: Die Staatsschulden haben sich binnen weniger Jahre verdoppelt - auf 2000 Milliarden Mark. Gewiß, das liegt auch an der deutschen Einheit und an den Hunderten von Milliarden Mark, die seither nach Ostdeutschland flossen. Und doch: Die Schulden könnten wesentlich geringer sein, wenn ernsthaft gespart würde.

Von Jahr zu Jahr wird, allen wohltönenden Reden zum Trotz, mehr Geld ausgegeben. Der »Sparhaushalt 1995«, mit dem sich Finanzminister Theo Waigel im Bundestag und vor den TV-Kameras brüstete, ist tatsächlich nur durch neue Schulden gedeckt. 68,8 Milliarden Mark will Waigel im kommenden Jahr zusätzlich pumpen.

»Konsolidieren« - das Politikerwort klingt so ähnlich wie »sparen«. Aber es meint im besten Fall: weniger zusätzliche Schulden machen als im vergangenen Jahr.

Die Bonner Koalition verspricht das seit Jahren. Das Ergebnis: 1982 beliefen sich sämtliche vom Staat aufgenommene Kredite auf 38,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 1990 waren es 43,2 Prozent. Im kommenden Jahr werden es 62 Prozent sein.

Keine Partei will nach den Wahlen die Steuern erhöhen. Das jedenfalls behaupten sie alle im Wahlkampf. Doch welche Partei auch die Regierung stellen wird: Sie muß das Versprechen brechen - wenn nicht endlich ernsthaft gespart wird.

Wie aber soll das gehen? Verschwendung und Selbstbedienung sind doch längst zum Bestandteil des politischen Systems geworden.

Oder ist es etwa schlicht Unfähigkeit, wenn FDP-Chef und Vizekanzler Klaus Kinkel »massivstes Sparen« empfiehlt - und im Auswärtigen Amt das Gegenteil praktiziert?

Dort wird, zum Beispiel, seit vielen Jahren versucht, ein funktionierendes Programm zur Text- und Datenkommunikation zu installieren und dafür passende Geräte zu besorgen. Bis heute ohne Erfolg. Die Programme laufen nicht, die Geräte passen nicht. Allein für das erste Projekt, »Lokales Kommunikationssystem im Auswärtigen Amt«, waren rund 10 Millionen Mark vergeudet, als es abgebrochen wurde.

Dem Parlament rechnete Kinkel vor, daß er durch »den Wegfall des Kaufpreises für das Projekt« 35 Millionen eingespart habe. Dazu kämen ersparte Wartungskosten, weitere 3,5 Millionen jährlich, und zu allem noch die ansonsten fälligen Zinsen, denn der Bund hätte die Geräte ja auf Pump kaufen müssen. Es sei also »nicht nur kein Schaden, sondern eine Ersparnis eingetreten«.

Auf solch wundersame Weise reich geworden, kann das Auswärtige Amt natürlich aus dem vollen schöpfen.

Für mehr als 20 Millionen Mark ließ Bonn 1991 dem deutschen Uno-Botschafter in New York, Detlev Graf zu Rantzau, eine repräsentative Residenz kaufen. Nicht weit entfernt, in bester Manhattan-Lage, 58 Park Avenue, stand ein noch größeres Haus, mit 1800 Quadratmetern, zur Verfügung: die Uno-Botschaft der Ex-DDR, mit der Einheit in Bonner Besitz übergegangen.

Bis heute weiß Kinkel mit dem kostbaren Besitz nichts Rechtes anzufangen. Drei Jahre stand das Häuschen leer, dann mußte es das nahe gelegene Generalkonsulat »zwischennutzen«, der Optik wegen. »In den nächsten Wochen« (ein AA-Sprecher) soll nun über die Verwendung der Immobilie entschieden werden. Auf reichlich 3 bis 4 Millionen Mark an Mieteinnahmen hat der deutsche Staat inzwischen verzichtet.

Das »Krebsübel der öffentlichen Haushalte«, wie der Bund der Steuerzahler die Verschwendungssucht von Politik und Bürokratie nennt, hat sich auf allen Ebenen des Gemeinwesens breitgemacht. So freizügig und liederlich wie Bonn gehen auch Länder und Gemeinden mit dem Geld der Bürger um, ganz gleich, wer da gerade regiert.

Der Münchner Flughafen sollte, als sein Bau beschlossen wurde, 2 Milliarden Mark kosten - er kam am Ende auf 8,5 Milliarden Mark.

Der Düsseldorfer Landtag war für 191 Millionen Mark konzipiert, abgerechnet wurden 320 Millionen. Bei der Überprüfung von 26 Großbauprojekten in Nordrhein-Westfalen addierte der Bund der Steuerzahler Kostenüberschreitungen von 3 Milliarden Mark.

Dabei ist an Baufachleuten in NRW wahrlich kein Mangel. Ein internes, sorgfältig unter Verschluß gehaltenes Gutachten der Düsseldorfer Landesregierung belegt: Von den 3000 Beschäftigten der staatlichen Bauverwaltung an Rhein und Ruhr sind 40 bis 50 Prozent überflüssig.

Und, das lehrt die Erfahrung, wer nichts zu tun hat, entwirft neue Vorschriften, Regeln und Normen. Wen wundert es da noch, daß allein die Beleuchtung eines Kindergartenraums heute 10 000 Mark kostet. Treppen, Klos und Fenster verschlingen, streng nach Vorschrift, Unsummen: Kein Kindergarten bekommt ein preiswertes Norm-Fenster, alles ist Maßarbeit. Die maximale Höhe jeder einzelnen Treppenstufe ist vorgeschrieben. »Man faßt es nicht«, empört sich der SPD-Haushaltsexperte Rudolf Purps, »die öffentliche Verwaltung ist wie ein Zauberlehrling, man wird mit ihm nicht mehr fertig.«

Die Folgen sind skurril, aber in Zeiten, in denen die Sozialhilfe gekürzt wird, kaum zum Lachen: In NRW sollen Polizisten künftig verstärkt mit dem Fahrrad auf Streife.

Das sei näher am Bürger, sagt die Regierung, das muskelgetriebene Gerät sei zudem billiger und ökologischer als das spritfressende Auto.

Das klingt gut und richtig. Und doch haben es, so Purps, die Bürokraten geschafft, das Dienstfahrrad der Polizei in großen Stückzahlen »für jeweils 2300 Mark zu kaufen, wo jeder normale Bürger ein vergleichbares Rad für 1000 Mark weniger bekommt«.

Besonders leicht läßt sich das Geld ausgeben, das aus fremden Kassen kommt. Wenn die Kommunen das Land, das Land den Bund und alle zusammen die EU-Kasse plündern können, dann wird Geldausgeben zur lustvollen Pflicht.

In fünf Minuten, ruck, zuck, haben städtische Bedienstete Mietverträge zur Unterbringung von Asylbewerbern unterschrieben. Der Preis war Nebensache, auch Wuchermieten schreckten nicht, denn die Kosten werden zu hundert Prozent vom Land übernommen. Windige Pensionsbesitzer wurden so zu Millionären - zu Lasten der öffentlichen Kassen.

Jetzt kommen zwar immer weniger Asylsuchende ins Land, die Kosten in den Ländern aber steigen. Die Kommunen haben die üppigen Verträge langfristig abgeschlossen, sie müssen hohe Abfindungen zahlen, wenn sie den Raum nicht mehr brauchen. Parallel haben sie Neubauten für die Unterkünfte in Auftrag gegeben. Die werden vielfach nicht mehr benötigt, müssen aber bezahlt werden.

Ein typisches Beispiel für den dreisten Griff in fremde Kassen beschreibt der Bund der Steuerzahler in seinem diese Woche erscheinenden Schwarzbuch. Für den Bau einer Sporthalle hatten sich die Ratsherren der kleinen holsteinischen Gemeinde Oldenburg (10 000 Einwohner) etwas besonders Sparsames ausgedacht: Sie beantragten beim Bund 9,5 Millionen Mark.

Das Geld gibt's natürlich nicht für eine Sporthalle, beantragt wurde deshalb ein Hilfskrankenhaus für den Katastrophen- oder Kriegsfall. Das bauten die cleveren Oldenburger in die Tiefe. So kamen sie für ihre Sporthalle gratis zu Fundament und Kellergeschoß, die sonst die Stadtkasse 400 000 Mark gekostet hätten.

Natürlich zahlt das teuerste Turnhallenfundament der Republik der Steuerzahler - wie immer, wenn öffentliche Gelder verschwendet werden.

Daß die EU die europäische Landwirtschaft zu einem System der Geldvernichtung ausbaute, wird seit Jahrzehnten beklagt. Geändert hat sich nichts.

Im Wirtschaftsjahr 1993/94 sind, nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, Obst und Gemüse für 1,2 Milliarden Mark vernichtet worden. Der deutsche Anteil lag bei 360 Millionen. Unter anderem wurden 980 Millionen Kilogramm Äpfel, 690 Millionen Kilogramm Pfirsiche und 312 Millionen Kilogramm Orangen zermatscht, um die Verbraucherpreise auf hohem Niveau zu halten.

Über solchen und anderen Wahnsinn regen sich die meisten gar nicht mehr auf. Gelegentlich mahnt der Bund der Steuerzahler, ab und zu rügt der Bundesrechnungshof. Für die Millionen und Milliarden, die in kleinen Kommunen und in Brüssel, in Bonn und in Berlin versickern, fühlt sich niemand verantwortlich.

»Effizienz, Kostenkontrolle, Sparsamkeit«, so die Erfahrung des SPD-Wirtschaftsexperten und Vizepräsidenten der europäischen Investitionsbank, Wolfgang Roth, »in Wahrheit will das kein Mensch in den Administrationen.«

Bürokratische Gesetze verhindern den sparsamen Umgang mit Geld, beflügelnd beim Ausgeben wirkt auch der deutsche Hang zur Perfektion. Doch schon die Dimensionen des öffentlichen Sektors treiben dessen Kosten: Je größer eine Organisation, das scheint ein ehernes Gesetz, desto höher die Kosten, desto unwirtschaftlicher der Betrieb.

Was der kleine Handwerker en passant und umsonst erledigt, kostet im Großunternehmen ein paar Hunderter. Besorgt sich die kleine Alternativbühne das Dutzend Birken für die Abend-Show beim Bauern für einen Kasten Bier und eine Flasche Schnaps, ordert der Einkaufssachbearbeiter des Großstadt-Schauspielhauses die Bäume selbstverständlich bei der Baumschule, für den zehnfachen Preis.

Größe macht unflexibel und teuer - der deutsche Öffentliche Dienst, mit sieben Millionen Bediensteten die kopfstärkste Organisation Europas, belegt die These immer wieder neu.

Benebelt vom Umgang mit großen Zahlen, ist den Verwaltern der öffentlichen Kassen die Vorstellung vom Wert des Geldes längst abhanden gekommen. Die Million wird zur kleinsten Einheit, das für einen Normalverdiener Unvorstellbare für den öffentlichen Finanzier zur Normalität.

Das Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg, vor den Toren Bonns, verschlang rund 137 Millionen Mark - für das Geld hätte man 500 Wohnungen bauen können. Der bloße Umbau des Reichstages in Berlin wird das Vierfache kosten.

In Kalkar am Niederrhein steht eine Atom-Ruine, einst als »Schneller Brüter« beschlossen, in der sind über 7000 Millionen Mark verbaut worden. Die gigantische Fehlinvestition scheint niemandem ein schlechtes Gewissen zu bereiten.

Beim Umzug von Parlament und Regierung vom Rhein an die Spree steht, so der Berliner Senator Peter Radunski, »Sparsamkeit an erster Stelle«. Ein Neubau, allenfalls drei Neubauten sind geplant, ansonsten nichts als Renovierungen. Und der »kostengünstige Umzug« soll doch 20 Milliarden Mark kosten dürfen: 20 000 Millionen.

Um solche Summen zu erreichen, müssen sich die Verantwortlichen schon einiges einfallen lassen. Für die Außenstelle des Wirtschaftsministeriums, das dem Bundestag weichen muß, wurde etwa das ehemalige Regierungskrankenhaus in der Scharnhorststraße 36 zum Ausweichquartier umgebaut und vergangene Woche eingeweiht. Weil es bei dem geplanten Fertigungstermin 1996 offenbar auf wenige Tage oder Wochen ankam, wurden 1992 allein »für terminsichernde Maßnahmen, wie z. B. Wochenend- und Nachtarbeit«, 23 Millionen Mark eingeplant.

Im Ex-Krankenhaus hatte sich eine Reihe von Ärzten niedergelassen, die mußten verjagt werden. »Das hat etwas Geld gekostet, war aber nicht weiter schwierig«, beruhigt Bauministerin Irmgard Schwaetzer, »schwieriger war es, einen Saunabetrieb umzusiedeln. Da mußten üppig Ablösungen gezahlt werden.«

In der freien Wirtschaft zwingt der Druck des Wettbewerbs zu wirtschaftlichem Handeln; wer die Kosten nicht im Griff hat, wird in der Marktwirtschaft ausgesondert. Die öffentliche Hand kennt keinen Wettbewerb. Sie erhöht einfach die Einnahmen.

1960 steuerte der deutsche Staat dem Durchschnittsbürger 6,3 Prozent seines Einkommens weg. 1990 brauchte er mehr als das Dreifache. Schaffte er für das viele Geld mehr Sicherheit, Bildung oder Gerechtigkeit? Wohl kaum.

Die Bürger wurden noch mehr ausgepreßt, als sich die deutschen Staaten vereinten. Steuern und Abgaben erklimmen seitdem jährlich neue Rekorde - und zugleich wird das öffentliche Geld von den Organisatoren der Einheit, der Treuhandanstalt, freizügig verteilt. Die Bediensteten selbst kamen dabei auch nicht zu kurz.

»Keine Hemmungen«, spottete ein Vorständler der Berliner Treuhandanstalt, als ein hoher Ministerialbeamter aus Bonn zur Berliner Privatisierungsbehörde kam und über die Höhe seines neuen Einkommens staunte, »bedienen Sie sich nur, es ist genug da!«

Die Grundgehälter der Treuhand-Mitarbeiter übersteigen nach Recherchen des Bundesrechnungshofes »ihre bisherigen Bezüge bis zu 160 v. H.«. Dazu kommt ein leistungsbezogener Bonus, der bei den Direktoren und Abteilungsleitern der Berliner Behörde leicht noch einmal 20 Prozent des Grundgehaltes zusätzlich brachte. Kommentar des Rechnungshofes: »Nicht nachzuvollziehen.«

Für 1482 Mark im Monat darf sich der Direktor einen BMW der Fünferreihe, für 1140 Mark der Abteilungsleiter einen Mercedes E 200 leihen. Auch höhere Leasingraten für Spitzenmodelle wurden, auf Antrag, in mehreren Fällen übernommen. Wer keinen Mietwagen will, bekommt das Geld bar.

Beamte, die in führender Position bei der Treuhand unterkamen, mußten sich im Schlaraffenland wähnen: Verpflegungszuschuß, bezahlte Familienheimfahrten, Trennungsgeld, die Übernachtungskosten im Hotel, alles übernimmt der Arbeitgeber. Oder er zahlt Mietzuschüsse, pauschal und üppig - ohne Kostennachweis. Auch Mitarbeiter, die schon vor ihrem Treuhand-Engagement in Berlin wohnten, bekommen die Tausender als Draufgabe.

Wenn sich die Treuhänder so üppig aus der Staatskasse bedienen, muß sich niemand wundern, daß Verschwendung, Selbstbedienung und bürokratische Protzsucht im Osten Schule machen. Die Folgen sind in den neuen Ländern überall zu besichtigen.

In Magdeburg wird derzeit eine Straße zur »historischen Promenade« umgebaut: Die Pflaster-Intarsien sind aus weißem italienischen Marmor, feinste handbehauene Sandsteine verzieren die Mauern der Vorgärten, darüber leuchten noble Kandelaber - Kosten: mindestens 10 Millionen Mark. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Luxuriös geht es seit Anfang Mai auch im sächsischen Annaberg zu. Da wird der Arbeitsmangel nun in einem nagelneuen fünfgeschossigen Glaspalast verwaltet. Etwa 60 Millionen Mark verschlang der Prunkbau, 500 000 Mark kostete allein ein »fast zehn Meter hoher Eisenklumpen«, den der Bund der Steuerzahler entdeckte. Etatposten: Kunst am Bau.

Mit der Unerfahrenheit der neuen Verwaltungen in Ostdeutschland läßt sich solches Verhalten nicht erklären. Sonst gäbe es im Westen nicht so viele vergleichbare Fälle.

Ein Berg von Gutachten beschreibt die Misere, an Reformvorschlägen ist kein Mangel. Jeder weiß, im groben, was geschehen muß: Der Öffentliche Dienst muß abspecken, die Vorschriftenflut eingedämmt werden, Abertausende von Normen und Richtlinien müssen gestrichen werden.

»Mehr Eigenverantwortung, leistungsgerechte Bezahlung, ein modernes Rechnungswesen« empfiehlt vordringlich Hermann Hill, Verwaltungswissenschaftler aus Speyer, »alles Selbstverständlichkeiten in der Privatwirtschaft - im Öffentlichen Dienst unbekannt«.

In einigen Kommunen haben Reformer, unter dem Diktat der leeren Kassen, bereits begonnen, die Verwaltung zu entschlacken. Und immer mehr Politiker propagieren den schlanken Staat, der sich auf wenige Aufgaben konzentriert und nach wirtschaftlichen Kriterien arbeitet.

Bisher aber hat es noch kein Politiker gewagt, sich mit den Interessengruppen, die einer Totalreform des Öffentlichen Dienstes im Wege stehen, anzulegen. Beamte haben eine mächtige Lobby, und sie können, dank ihrer Masse, Wahlen beeinflussen.

»Noch ist die Not nicht groß genug«, beschreibt SPD-Haushälter Purps die Lage, »daß die Politik sagt, Schluß, so geht es nicht mehr.«

Solange dem Steuerzahler, dem Post- und Bahnkunden, dem Hundehalter und dem Autofahrer noch mehr Geld aus der Tasche gezogen werden kann, wird die Verschwendung weitergehen. Y

Für viele Bürokraten spielt Geld keine Rolle

Üppige Ablösungen für einen Saunabetrieb

Ein zehn Meter hoher Eisenklumpen kostet 500 000 Mark
*BUECHERSPIEGEL *

1,1 MRD. Mark teurer wurde der regierungseigene Flugbetrieb, unter anderem in komfortabel umgebauten Airbus-Maschinen.
*BUECHERSPIEGEL *

2300 Mark kostet ein Dienstfahrrad der Polizei in Nordrhein-Westfalen.
*BUECHERSPIEGEL *

60 MIO. Mark verbaute die Bundespost in einem Augsburger Frachtzentrum, das nicht benutzbar ist.
*BUECHERSPIEGEL *

10 MIO. Mark genehmigte sich Magdeburg für eine Promenade in Marmor.
*BUECHERSPIEGEL *

9,5 MIO. Mark teuer war das Fundament einer Sporthalle in Oldenburg (Holstein) - im Keller ist ein Not-Hospital.
*BUECHERSPIEGEL *

60 MIO. Mark kostete das Arbeitsamt Annaberg, 500 000 Mark nur die Kunst.
*BUECHERSPIEGEL *

320 MIO. Mark wurden am Ende für den Düsseldorfer Landtag abgerechnet, 191 Millionen Mark waren vorgesehen.
*BUECHERSPIEGEL *

8,5 MRD. Mark betrug die Schlußrechnung für den Münchner Flughafen, geplant waren 2 Milliarden Mark.

[Grafiktext]

__41_ Öffentliche Verschuldung in Milliarden Mark

__43_ Verbrauch- u. Mehrwertsteuern

_____ / Abgaben an d. Staat in Prozent d. Verkaufspreises

[GrafiktextEnde]

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