Zur Ausgabe
Artikel 80 / 84

Briefe

Beengte Lebenssicht
aus DER SPIEGEL 43/1976

Beengte Lebenssicht

(Nr. 35/1976, Bücher: Gabriele Wohmann über Jean Amérys Selbstmord-Buch; Nr. 36/1976, DDR: Selbstmord des Pfarrers Brüsewitz; Protestantische Theologen über den Suicid; Nr. 41/1976, Bundeswehr: Selbstmorde)

Ich wende mich gegen die undifferenzierte Weise, Dietrich Bonhoeffers Stellungnahme zum Selbstmord vorzuführen. Nicht nur, daß Bonhoeffer 1943 die Selbsttötung für sich einmal ernsthaft in Betracht gezogen hat, als es darum ging, die Freunde im Widerstand gegen das Hitlerregime und ihre Sache zu schützen. Er hat ausdrücklich auch ganz andere Dinge gesagt, die sehr wohl auch den Fall Brüsewitz decken können. Ich zitiere aus Bonhoeffers »Ethik":

Nur weil der Mensch frei ist zum Tode, kann er sein leibliches Leben um eines höheren Gutes willen hingeben. Ohne die Freiheit zum Lebensopfer im Tode gibt es keine Freiheit für Gott, gibt es kein menschliches Leben ...

New York PROF. DR. EBERHARD BETHGE Union Theological Seminary Mc Giffert Hall

Améry hatte die Aufhebung des Tabus Selbstmord in Richtung auf eine Sympathie mit dem Tod und Fürsprache des Freitods angekündigt. Ich glaube, daß dieses Tabu in den meisten Kliniken noch indiskutabel ist. Und wenn Améry glaubt, auf psychosoziale Aspekte verzichten zu können, so ist er den 100 000 Suizidanten kein klärender Partner. Ich meine, daß die meisten Suizidanten nicht gewillt sind, aus der Gesellschaft auszubrechen, sondern daß sie hinausgestoßen und -geekelt werden, daß sie eine sehr beengte Lebenssicht haben müssen. Deshalb wage ich die Herausgabe eines Periodikums zur Theorie und Praxis der »Suizidprophylaxe«.

Göttingen DR. MED. M. HEINRICH Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Selbstmordverhütung

Böse, tumbe Einheitsführer? Gemach, aber auf unterster Ebene muß ausgetragen werden, was seit Jahren vorgeschlagen, gleichwohl in irgendwelchen Schubladen sich selbst einer Prüfung unterzieht. Warum steht man der Einführung des ständigen Truppenpsychologen ebenso arrogant wie gleichgültig gegenüber? Eine Aufgabe wäre die Beratung des Troupiers bei »schwierigen« Soldaten. Will man dies weiterhin mißbräuchlich überforderten Sozialarbeitern überlassen? Degenerieren engagierte Bundeswehrpsychologen zum Feigenblatt für gesellschaftsträchtige Erhebungen und kosmetisierende Bürokratie? Sträflich, denn merke: Zur Schlagkraft einer Armee trägt ganz wesentlich der Stand ihrer psychischen Hygiene bei -- auch sie will gepflegt und gewartet sein.

München SVEN D. ZEHETNER Oberregierungsrat/Bundeswehrpsychologe

Zur Ausgabe
Artikel 80 / 84
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren